3 FRAGEN AN

den Koordinator Sportpsychologie CHRISTOPH HERR

Die Arbeit der Sportpsycholog*innen

    • studierte Sportpsychologie in Konstanz, Heidelberg und Wien
    • verantwortet den Performance-Bereich Sportpsychologie in der DFB-Akademie
    • betreut als Sportpsychologe die U21-Nationalmannschaft

Sportpsychologie zählt zu den Performance-Bereichen in der DFB-Akademie. In der Betreuung der DFB-Nationalmannschaften genießt das Thema einen hohen Stellenwert. Über die Arbeit in den Auswahlteams, die Vorzüge von mentalem Training sowie die vielfältigen Expertisen von Sportpsycholog*innen spricht Christoph Herr.

1) Wie sieht deine Arbeit als Sportpsychologe bei der U-21 Nationalmannschaft aus?

Wie in allen Nationalmannschaften sind wir sowohl für das Trainerteam als auch für die Spieler und das Funktionsteam ansprechbar. Durch einen engen Austausch mit den einzelnen Teammitgliedern bekommt man mit der Zeit einen guten Überblick über die Chancen und möglichen Risiken innerhalb einer Mannschaft, welche dann mit dem Trainerteam besprochen werden können. Hierbei können gegebenenfalls auch diagnostische Verfahren gute Anknüpfungspunkte liefern. 

Innerhalb der U21 ist uns eine gegenseitige Wertschätzung zwischen Spielern und dem Trainer- und Funktionsteam sehr wichtig. Diese trägt zu einer hohen Identifikation bei, die unseren Teamspirit der letzten Jahre ausgemacht hat. Meine Arbeit kann zu Beginn einer Saison beispielsweise durch Teamentwicklungsmaßnahmen mit der Mannschaft etwas aktiver sein, während ich im unmittelbaren Vorfeld eines Turniers dann die eher passivere Rolle des Beobachters einnehme. Einzelgespräche mit den Spielern zu ganz unterschiedlichen Themen bleiben in diesem Zusammenhang eine wichtige Aufgabe. Die Themen reichen von privaten Kontexten über leistungsfördernde Ansätze bis hin zum Umgang mit der aktuellen Lebens- und Leistungssituation. 

Ziel einer Nationalmannschaft ist es, den aktuellen Ist-Zustand so leistungsfördernd wie möglich zu gestalten und den Spielern Impulse zu geben, durch welche sie Möglichkeiten finden, mit den aktuellen Herausforderungen besser umgehen zu können. Wir haben jedoch auch die Verantwortung, die jeweiligen Ressourcen der Spieler zu kennen und aufrecht zu erhalten, wodurch eine langfristige gesunde Entwicklung der Spieler auch außerhalb der Nationalmannschaft gewährleistet werden soll. Hier stehen wir Sportpsycholog*innen auch im Austausch mit den jeweiligen Heimatvereinen der Spieler*innen. Darüber hinaus bin ich hinsichtlich dieser oder ähnlicher Themenfelder für das Trainer- und Funktionsteam jederzeit ansprechbar und kann beim individuellen Umgang und Coaching mit den Spielern unterstützen. Die Trainer*innen haben oft den größten Einfluss auf die Spieler*innen und können sich mit mir darüber austauschen, welche Botschaft wann und wie an die Spieler bzw. an die Mannschaft getragen werden kann.

2) Was sind zentrale Themen der Sportpsychologie und was versteht man unter mentalem Training?

Es gibt eine ganze Reihe verschiedener Themengebiete, die für die ressourcenorientierte Leistungsfähigkeit sowie für die Gewährleistung der mentalen Gesundheit verantwortlich sind. Die Sportpsycholog*innen haben eine hohe ethische und moralische Verantwortung gegenüber der mentalen Gesundheit der Spieler- und Trainer*innen. Der ganzheitliche und nachhaltige Ansatz legt seinen Fokus auf das Wohlbefinden, der Persönlichkeit und auf die jeweilige Lebenssituation der Spieler*innen abseits des Leistungskontext.

Neben Strategien zur Stresswiderstandsfähigkeit (Resilienz) spielt auch eine hohe Selbstwirksamkeit der Spieler- und Trainer*innen eine zentrale Rolle. Selbstbestimmtes und selbstfürsorgliches Handeln können einen positiven Einfluss auf die eigene Selbstwahrnehmung und dadurch auch auf die Leistungsfähigkeit haben. Diese lässt sich unter anderem auch durch richtige Zielsetzungen fördern, mit der motivationale Aspekte entscheidend beeinflusst werden können. Wir widmen uns diesbezüglich auch dem Thema Frustrationstoleranz und unterstützen die Spieler- und Trainer*innen im Umgang mit Misserfolg. Diagnostische Verfahren können helfen, mit den Spieler- und Trainer*innen ein besseres Verständnis für sich und ihre Leistungsfähigkeit zu entwickeln. Die Sportpsychologie unterstützt allerdings auch bei der Teamentwicklung und der Teamkultur. Oft geht es auch um Themen wie Kommunikation oder Umfeld- und Konfliktmanagement.

Einen entscheidenden Anteil auf die Leistung hat die Wettkampfvorbereitung, die wir ebenfalls beeinflussen können. Dieser Prozess lässt sich beispielsweise durch Routineabläufe, das Einbauen von Ritualen, Techniken zur Emotionsregulation sowie zur Regulierung des Erregungsniveaus (Konzentration / Entspannung / Achtsamkeit) und durch das mentale Training optimieren. Mentales Training ist ein weiter Begriff und umfasst neben kognitiven Aspekten hinsichtlich der Wahrnehmung und dem Entscheidungsverhalten vor allem den Bereich der Visualisierung. So lassen sich bestimmte Situationen und Bewegungsabläufe durch die Vorstellungskraft mental trainieren und optimieren, ohne die Situation tatsächlich erleben oder die Bewegung physisch ausüben zu müssen. Diese Art des Trainings kann beispielsweise auch sehr gut in Rehabilitationsprozessen eingesetzt werden.

3) Welche Kompetenzen und Eigenschaften zeichnet einen guten Sportpsychologen bzw. eine gute Sportpsychologin aus?

Grundsätzlich haben wir Sportpsycholog*innen eine beobachtende (passive) und analysierende Rolle, durch welche wir immer wieder in verschiedensten Kontexten, gegebenenfalls proaktiv, unsere Unterstützung anbieten können. Es gilt: So passiv wie möglich, so aktiv wie nötig. Wie bereits erwähnt, hat hierbei auch die Haltung und die berufsethische Verantwortung gegenüber den Menschen, die wir betreuen, absolute Priorität. So kann es vereinzelt auch zu Interessenkonflikten hinsichtlich der Arbeit mit Spieler*innen und Trainer*innen kommen, bei welchen wir in Härtefällen auf der Seite der Spieler*innen stehen sollten, denn sie sind im Zweifel der Hierarchie schutzlos ausgesetzt. Es ist darüber hinaus sehr wichtig, seine eigenen Kompetenzen zu kennen und diesen Kompetenzbereich nicht zu überschreiten. In leichten und eher seltenen Fällen kann es mal passieren, dass wir aus dem Affekt heraus unsere subjektive Wahrnehmung beispielsweise über taktische oder technische Themen äußern. Meistens geben uns die Trainer*innen mit einem zwinkernden Auge dann aber schnell zu verstehen, dass dies nicht unser primärer Aufgabenbereich ist. In schwerwiegenden Fällen geht es aber darum, zum Beispiel psychosomatische Störungen wie Angst- oder Schlafstörungen und tiefgreifendere Probleme zu erkennen und diese in Kooperation mit externen Expert*innen, wie z.B. Psychotherapeut*innen, abseits des sportlichen Geschehens vertraulich und diskret zu behandeln. Die Qualität von einzelnen individuellen Ansätzen wie zum Beispiel dem “Life - Coaching” kann hinsichtlich der Qualitätskriterien seitens des DFB sowie der ASP bzw. dem BDP in Bezug auf die mentale Betreuung von Personen nur in seltenen Fällen gewährleistet werden. Daher sollte die Expertise von Sportpsycholog*innen zur Prüfung eines vertrauensvollen und verantwortungsvollen Umgangs mit Menschen für Anfragen verwandter Themen miteinbezogen werden, da diese oft auch seitens der Sportpsychologie bedient werden können.

Auch wenn die Sportpsychologie ein sehr weites und oft komplexes Themengebiet abdecken kann, nehmen sich die Sportpsychologen*innen idealerweise nur den Themen an, für welche sie qualifiziert sind. Oft üben sich die Sportpsycholog*innen dadurch eher in Zurückhaltung, dürfen aber ihrer zertifizierten Expertise auch aufgrund ihres akademischen Werdegangs hinsichtlich fundierter psychologischer sowie sportwissenschaftlicher Inhalte aus Theorie und Praxis vertrauen. Viele besitzen Zusatzqualifikationen, wie zum Beispiel in Kontexten der Verhaltenspsychologie, die ihre Coaching- und Methodenkompetenzen untermauern und ihre evidenzbasierte Arbeit stützen. Ein weiteres besonderes Augenmerk liegt auf der Kompetenz der Gesprächsführung. Hier geht es weniger darum, dass die Sportpsycholog*innen aus subjektiver Wahrnehmungen Lösungen vorgeben. Vielmehr sind Spieler*innen und Trainer*innen gefragt, gemeinsam Lösungsansätze zu suchen und umzusetzen.

Neben diesen vielschichtigen Themengebieten sollten die Sportpsycholog*innen ein hohes Maß an Empathie, Herzlichkeit, Authentizität, Verschwiegenheit und Eigenverantwortung mitbringen und ausschließlich im Interesse der behandelten Personen agieren. Für die Spieler*innen soll ein Raum geschaffen werden, in dem sie offen und frei von Wertungen sein können. Diesbezüglich ist die Sportpsychologie ausschließlich für Entwicklungskontexte verantwortlich und dient keineswegs der Selektion. Idealerweise gelingt es, ein vertrauenserweckendes, aber auch freiwilliges, Angebot zu schaffen. Sportpsycholog*innen stehen auf Abruf und leisten in erster Linie Bereitschaftsdienst.

 
DFB U21 Nationalmannschaft – UEFA Under21 Euro 2021, Training auf dem Trainingsplatz in Gardony/HUN, Mergim Berisha #11, Christoph Herr (Sportpsychologe), Gardony/HUN, 26.03.2021, Foto: Thomas Boecker/DFB,

3 Umsetzungstipps

  • Es gibt Situationen, in denen Stress oder Emotionen zu ungewünschten Verhaltensweisen führen, die daruber hinaus unkontrollierbar scheinen. Methoden zur Selbstregulation können allerdings helfen, einen "kühlen Kopf" zu bewahren. Beispielsweise können drei bis fünf tiefe lange Atemzüge (7-10 Sekunden durch die Nase einatmen und im Anschluss die gleiche Zeit langsam durch den Mund ausatmen) regulierend bzw. entspannend wirken.
  • Wer aktiv sein eigenes Wohlbefinden stärken möchte, kann positive Attribute über sich selbst aufschreiben. Es kann dabei helfen sich zu fragen, welche positiven Dinge beispielsweise eine Freundin oder ein Freund über mich sagen würde? Diese Art von Selbstreflexion fördert auch den Selbstwert und kann zu einem stärkeren "Selbstbewusstsein" führen.
  • Das mentale Training kann dabei helfen, mit ungewohnten Situationen, die eine gewisse Nervosität hervorrufen können, besser umzugehen. So kreiert man für sich beispielsweise einen „Wenn…, dann… - Plan“ indem man sich vorab konkret mit der Situation mental auseinandersetzt und sich Lösungsansätze zurechtlegt. Diese werden dann vor dem geistigen Auge mehrmals wiederholt und zu einer Art „Notfallplan“ aufgestellt. Die bevorstehende Aufgabe kann dann mit mehr Zuversicht angegangen werden.

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