Wissen
Kognitive Diagnostik im Fußball
Validierung einer fußballspezifischen Diagnostik zur Bestimmung des neurokognitiven Potenzials von Athleten
- Es wurden neuromotorische Diagnostika entwickelt, die es ermöglichen, die Fokussierung und kognitive Flexibilität in einem fußballspezifischen Umfeld mit einer fußballspezifischen motorischen Reaktion zu messen.
- Die Testverfahren wurden in zwei konsekutiven Studien an einer Population leistungsstarker Nachwuchsfußballer validiert.
- Die Testverfahren können von Trainer*innen in Vereinen und Verbänden zur kognitiven Diagnostik in einem fußballspezifischen Umfeld mit motorischen Reaktionen auf dem Feld bereits eingesetzt werden.
Abstract:
Der kognitive Fokus und die kognitive Flexibilität sind entscheidende Fähigkeiten im Fußball. Reliable Diagnostika zur Beurteilung dieser Fähigkeiten haben ihren Ursprung in der Psychologie und müssen für die kontextspezifische Verwendung im Spielsport erst modifiziert und validiert werden. In der vorliegenden Studie konnten zwei neue Testverfahren für die Überprüfung der kognitiven Fokussierung und Flexibilität innerhalb eines fußballspezifischen Umfelds für das Flanken und den Torschuss statistisch validiert werden. Die Verfahren sind somit geeignet, als kognitives Diagnoseinstrument mit fußballspezifischer motorischer Reaktion, sowohl von Trainer*innen als auch von Sportpsycholog*innen, eingesetzt zu werden. Ihre Anwendungsgebiete sind mannigfaltig und umfassen die Talentsichtung auf Verbandsebene sowie das Langzeitmonitoring einzelner Spieler*innen.
Kognitive Leistungsfähigkeit:
Kognitive Fähigkeiten sind wichtig für die Leistung im Fußball und werden von Sportpsycholog*innen, Trainer*innen und Spieler*innen gleichermaßen als entscheidender Teil des modernen Spiels anerkannt. Dass sich kognitive Fähigkeiten auch tatsächlich auf die sportliche Leistung auswirken, ist in der wissenschaftlichen Literatur bereits belegt. Relevante Schlüsselsituationen, in welchen kognitive Kompetenzen entscheidend sind, umfassen zum Beispiel das Fintieren im Spiel 1 gegen 1, das Passspiel oder das rasche Umschalten von Angriff auf Verteidigung.
Diagnostik zur Beurteilung der kognitiven Leistungsfähigkeit:
In der Diagnostik zur Beurteilung der kognitiven Leistungsfähigkeit wird zwischen zwei grundlegenden Testtypen unterschieden:
Erstens der Kognitive Fertigkeitsansatz, der keinen fußballspezifischen Kontext hat, sondern computergestützt die kognitive Kompetenz nach psychologischen Standards beurteilt. Die Exekutivfunktion ist im Wesentlichen durch den Fokus und die kognitive Flexibilität determiniert. In einer dynamischen Fußballsituation beispielsweise müssen die Spieler*innen die Handlungsoptionen abschätzen und irrelevante Reize durch adäquate Fokussetzung unterdrücken oder ignorieren. Als Reaktion auf die sich schnell ändernden situativen Anforderungen, benötigen die Spieler*innen darüber hinaus auch ein gewisses Maß an kognitiver Flexibilität, um möglichst schnell zwischen alternativen Handlungsoptionen wechseln zu können.
Zweitens der Expert-Performance-Ansatz, bei welchem Sportler*innen in für ihre jeweilige Sportart spezifischen kognitiven Aufgaben getestet werden und darüber ihre Leistungen beurteilt werden können. Die Sportartspezifität bezieht sich auf das entsprechende Setting (z. B. Prüfung in einer für die Sportart typischen Position oder Bewegungsspielraum), die dargebotenen Stimuli (z. B. Bilder oder Videos von für die Sportart relevanten Stimuli) und die geforderte Reaktion (z. B. Bewegung in ähnlicher Weise wie bei der Ausübung der Sportart, z. B. Flanke oder Torschuss). Dieser Ansatz wird verwendet, um die kognitiven Fähigkeiten zu bestimmen, die an fußballrelevanten Verhaltensweisen beteiligt sind, wie etwa das Blickverhalten, die Aufmerksamkeitszuweisung und die Antizipation.
Trotz ihrer unterschiedlichen methodischen Ansätze konnte für beide Diagnostika nachgewiesen werden, dass leistungsstarke Fußballspieler*innen in den Tests besser abschneiden als leistungsschwache Spieler.
Validierung zweier neuer diagnostischer Testverfahren:
In der vorliegenden Validierungsstudie wurde durch Kombination beider Diagnostika ein neues Testverfahren zur Beurteilung der kognitiven Leistungsfähigkeit im Fußball entwickelt (ABB. 01 und ABB. 02). Die entstandenen Aufgaben (z. B. Reaktion beim Flanken oder beim Torschuss) wurden anhand der Parameter der kognitiven Fokussierung und Flexibilität in einer Population von 77 leistungsstarken Nachwuchsfußballspielern im Alter von 15-17 Jahren validiert. Die Reliabilität der neuen Testverfahren wurde statistisch jeweils für die Reaktionszeit und die Präzision geprüft.
Das Ergebnis:
Die neuen diagnostischen Verfahren zur Bestimmung der kognitiven Leistungsfähigkeit zeigen in der Validierungsstudie folgende Ergebnisse:
- Fähigkeit zur Fokussierung: Der etablierte Flankentest wird in Kombination mit variablen visuellen Stimuli getestet (ABB. 01). Zwischen computergestützter und fußballspezifischer Flankenaufgabe ergaben statistische Analysen in zwei verschieden Untersuchungsmodi signifikante Korrelationen für die Reaktionszeit (r = 0,611, p < 0,01; r = 0,620, p < 0,01), nicht aber für die Präzision (r = 0,149, p = 0,243; r = 0,041, p = 0,749).
- Kognitive Flexibilität: Die etablierte Zahlen-Buchstaben-Aufgabe wird in fußballspezifischer Situation mit anschließendem Torschuss kombiniert (ABB. 02). Zwischen computergestütztem und fußballspezifischem Torschuss ergaben statistische Analysen in zwei verschieden Untersuchungsmodi signifikante Korrelationen für die Reaktionszeit (r = 0,534, p < 0,001; r = 0,436, p < 0,001) und für die Präzision (r = 0,534, p < 0,001; r = 0,530, p < 0,001).
- Beide neuen Diagnostika waren signifikant positiv miteinander verbunden: Je schwieriger es war und länger es für die Teilnehmer*innen dauerte, den Fokus zu setzen, desto schwieriger war es und desto länger dauerte es für sie, zwischen den Regeln in der Zahl-Buchstaben-Aufgabe zu wechseln.
Zusammenfassend belegen die Korrelationsmuster, dass die fußballspezifischen Testverfahren eine konvergente Validität mit den allgemeinen, computerisierten Testverfahren aufweisen und daher in der Praxis von Trainer*innen und Sportpsycholog*innen in Vereinen und Verbänden eingesetzt werden können.
Flankentest:
Die angepasste Version des Flankens wurde den Teilnehmern im SoccerBot360 präsentiert. Anstelle von Pfeilen wurden fünf Fußballspieler von der Seite präsentiert. In Übereinstimmung mit der Flankenaufgabe befand sich der Zielspieler in der Mitte, umgeben von zwei Spielern auf jeder Seite. Die Fähigkeit zur Fokussierung wurde wie folgt überprüft: Je nachdem, in welche Richtung der Zielspieler blickte, sollten die Teilnehmer den Ball in das linke oder rechte Tor schießen.
Zahlen-Buchstaben-Aufgabe:
Die fußballspezifische Version der Zahlen-Buchstaben-Aufgabe wurde den Teilnehmern im SoccerBot360 präsentiert. Die Kombination aus illustrierter Zahl (gerade oder ungerade) und illustriertem Buchstaben (Konsonant oder Vokal) definiert, in welches der beiden Tore der Ball geschossen werden muss.
Perspektive und praktische Relevanz:
Die Resultate zeigen überwiegend mittlere Korrelationen sowohl für die Reaktionszeit als auch für die Genauigkeit beider fußballspezifischer Diagnostika. Somit kann sowohl das fußballspezifische Testverfahren zur Beurteilung der Fokussierung als auch das Testverfahren zur Beurteilung der kognitiven Flexibilität als valide Messung angesehen werden. Die Tests sind somit geeignet, als kognitives Diagnoseinstrument mit fußballspezifischer motorischer Reaktion eingesetzt zu werden und können sowohl von Forscher*innen, Trainer*innen als auch von Sportpsycholog*innen verwendet werden. Die Anwendungsgebiete sind vielfältig und umfassen zum Beispiel die Talentsichtung auf Verbandsebene sowie das Langzeitmonitoring einzelner Spieler.
Das Anwendungs- und Entwicklungsgebiet zur kognitiven Felddiagnostik im Fußball ist breit und sollte in die Praxis implementiert und zukünftig weiter verbessert werden. Gerade weil die computergestützten und sportartspezifischen kognitiven Diagnostika nicht stark korrelieren, scheinen sich die neu entwickelten Testverfahren aufgrund der motorischen Reaktionen in geringem Maße vom Standardverfahren zu unterscheiden.
Die Inhalte basieren auf der Originalstudie „An Assist for cognitive diagnostics in soccer: Two valid tasks measuring inhibition and cognitive flexibility in a soccer-specific setting with a soccer-specific motor response.“, die 2022 in der Zeitschrift „Frontiers in Psychology" veröffentlicht wurde.
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Literatur
- Musculus, L., Lautenbach, F., Knöbel, S., Reinhard, M. L., Weigel, P., Gatzmaga, N., Borchert, A., & Pelka, M. (2022). An Assist for cognitive diagnostics in soccer: Two valid tasks measuring inhibition and cognitive flexibility in a soccer-specific setting with a soccer-specific motor response. Frontiers in Psychology, 13, 867849.Studie lesen