3 Fragen an
U-Torwarttrainer Nico Stremlau
Der ehemalige DFB U17 Torwarttrainer über den Umgang mit Torwartfehlern
Ehemaliger Torwarttrainer der U17-Nationalmannschaft
- Studierte Sportwissenschaft und Sportpsychologie.
- Spieler im Juniorenbereich für Hannover 96 und VfL Osnabrück, anschließend Wechsel zur U21 des 1. FC Köln.
- Beginn der Torwarttrainerkarriere bei Fortuna Köln. Über die Stationen Hallescher FC und Hamburger SV, wo er sowohl im Nachwuchs als auch im Lizenzbereich arbeitete. Wechsel zu Saison 2020/21 zu Hertha BSC als Sportpsychologe für den Torwartbereich.
1) Welche Arten von Torwartfehlern gibt es und wann sollte man mit den Torhüter*innen über einen Torwartfehler sprechen?
Gegentore unterteile ich in die Kategorien „unhaltbar“, „der Torwart ist am Gegentor beteiligt“ und „das Gegentor muss gehalten werden“. Eine Beteiligung oder ein Fehler bei einem Gegentor kann durch das falsche taktische Verhalten begründet werden oder es liegt ein Technikfehler vor. Die meisten Fehler passieren im taktischen Bereich. Zum Beispiel, wenn der Torwart keine optimale Position im Tor findet oder im Schussmoment nicht rechtzeitig steht. Aus psychologischer Sicht kann das falsche oder zu langsame Wahrnehmen der gefährlichen Spielsituation die taktischen Fehler begünstigen. Unkonzentriertheit etwa führt zu einer verlangsamten Wahrnehmung.
Auch hat dies Einfluss auf das Anwenden der Verteidigungstechniken (z.B. Tauchen, Abdruck usw.) des Torwarts. Hier spielt auch die motorische Umsetzung der Verteidigungsbewegung eine Rolle. Ist diese zu langsam oder nicht auf den Torschuss abgestimmt, kommt es zu technischen Fehlern.
Ich persönlich finde, dass zu meiner Tätigkeit als Torwarttrainer die Rolle als Vertrauensperson meiner Torwarte dazugehört. Im Falle eines bedeutenden Torwartfehlers ist es somit meine Aufgabe, ihm in seiner Situation zu helfen. Je nach Bedürfnis des Torwarts sollte man als Torwarttrainer wissen, wann man mit ihm/ihr darüber spricht und ob es eines emotionalen Begleitens bedarf oder einer sachlichen Analyse.
2) Welche Möglichkeiten gibt es, um den Torwart nach einem Torwartfehler wieder Selbstvertrauen zu geben?
Merkt der Torwart unmittelbar nach dem Gegentor, dass er dieses verschuldet hat, verringert sich sein aktuelles Selbstvertrauen. Wie intensiv dieser Selbstvertrauensverlust ist und wie lange es sich „im Keller“ befindet, kommt auf das grundsätzliche Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten an und auf die Wertigkeit, die der Torhüter dem Gegentor gibt. Faktoren, welche die empfundene Wertigkeit eines Torwartfehlers beeinflussen, sind z.B. die Bedeutung des Spiels oder der Spielstand.
Ist die Überzeugung in die eigenen Fähigkeiten hoch, wird ein Torwartfehler schneller verarbeitet. Der Torwart kann das Geschehene als „Missgeschick“ einordnen und sich auf die anstehenden Spielminuten konzentrieren.
Innerhalb eines Spiels muss der Torwart einen Fehler zunächst alleine bewältigen. Ein Torwarttrainer kann am Spielfeldrand aufmuntern und Unterstützung demonstrieren. Eine zielgerichtete Kommunikation ist jedoch nur in der Halbzeitpause und nach dem Spiel möglich. Im Vorfeld kann ein Torwart Bewältigungsstrategien erlernen, die ihm im Umgang mit einem Fehler helfen können. Die Unterstützung durch einen (sportpsychologischen) Experten hilft bei diesem Lernprozess.
Zu diesen Bewältigungsstrategien unter anderem:
- Der Zeitsprung: Der Torwart macht in Gedanken einen Zeitsprung (z.B. ein Jahr in die Zukunft). Das Gegentor und seine Folgen werden in einen größeren Kontext gebracht. Der zeitliche Perspektivwechsel kann das negative emotionale Erleben nach dem Fehler verringern. Eine Leitfrage für den Torwart kann sein: „Wie denkst du in einem Jahr über diesen Fehler?“
- Der Ortswechsel: Der Torwart verlässt unmittelbar nach dem Gegentor den Ort, an dem ihm der Fehler unterlief. Er verlässt z.B. den Strafraum, um Abstand vom Ort des Geschehens zu bekommen.
- Der Wohlfühlort: In Gedanken verlässt der Torwart auch hier den Ort des Geschehens. Welche Umgebung er sich vorstellt, ist ganz dem Torwart überlassen. Für einen positiven Effekt sollte der Ort mit intensiven positiven Emotionen verbunden sein. Er sollte sich dort „mental wohlfühlen“.
Alle diese Methoden haben ein gemeinsames Ziel:
- Distanz zwischen sich und dem fehlerhaften Verhalten zu bringen! Der Torwart „verlässt“ die negativ-emotionale Situation, in der er sich befindet und distanziert sich von dem Torwartfehler. Eine Neuausrichtung der eigenen Gedanken auf die anstehenden Spielminuten fällt so leichter.
Nach dem Spiel kann der Torwarttrainer durch eine Analyse der Spielsituation dem Torwart helfen, die Perspektive zu erweitern. Den negativen Emotionen sollte eine sachliche Betrachtung gegenüberstehen.
3) Wie kann man einen Torwart unterstützen, der plötzlich und unerwartet zur Nr. 1 wird?
Die Unterstützung der neuen Nr. 1 findet weit vor dessen Berufung statt. Zu jedem Zeitpunkt einer Saison sollte der Torwarttrainer seinen Spielern das Gefühl geben, überzeugt von ihnen zu sein. Ist der Moment des Torwartwechsels gekommen, hängt es von der Persönlichkeit der neuen Nr.1 ab, wie diese mit der neuen, unerwarteten Situation umgeht. Je nach Zeitpunkt des Torwartwechsels kann plötzlich eintretende Nervosität die Leistungsfähigkeit beeinträchtigen.
Die fußballspezifischen Bedürfnisse des Torwarts sind nun Sicherheit durch/und Unterstützung der Mitspieler und des Staffs. Durch die tägliche Nähe des Kleingruppentrainings hat der Torwarttrainer meist eine engere Bindung zum Torwart. Je nach Torwartpersönlichkeit treten die Rollen als Kommunikator, als Unterstützer der individuellen Routinen des Torwarts (z.B. in der Trainingswoche oder beim Aufwärmen vor dem Spiel) sowie als Motivator in den Vordergrund.
Vergessen sollte der Torwarttrainer dabei nicht die Enttäuschung des degradierten Torwarts. Um für die Zukunft ein leistungsförderndes "Betriebsklima" in der Torwartgruppe aufrecht zu erhalten, sollte er je nach Bedarf auch an dessen Seite stehen.