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Gesundheit weitergedacht: Psychische Gesundheit im Leistungssport
Übersichtsstudie zeigt vielfältige Risiko- und Schutzfaktoren im Leistungssport
- Übersicht von 43 Studien mit 11.475 Athleten (davon 2.857 weiblich) zu psychischer Gesundheit.
- 10 Schutzfaktoren (z. B. positive soziale Unterstützung und Erholung) und 15 Risikofaktoren (z. B. sportspezifische Stressoren und schlechte allgemeine Gesundheit) für die psychische Gesundheit von Leistungssportlern.
Trainer*innen und Teammitglieder können einen positiven Einfluss auf die psychische Gesundheit nehmen (z. B. durch soziale Unterstützung).
Abstract
Die psychische Gesundheit kann für Athlet*innen eine wichtige Komponente für eine langfristige und erfolgreiche sportliche Karriere darstellen. In einer Übersichtsarbeit werden 10 Schutz- und 15 Risikofaktoren für die psychische Gesundheit von Athlet*innen herausgearbeitet, welche sich in persönliche und umweltbezogene Faktoren unterteilen lassen. Das Erleben von Autonomie und Kompetenz, positive Beziehungen inner- und außerhalb des Sports und angemessene Erholung stellen Schutzfaktoren dar, während Verletzungen, Übertraining, Unzufriedenheit mit der Karriere sowie schlechte allgemeine Gesundheit als Risikofaktoren für die psychische Gesundheit identifiziert werden. Die Autoren stellen eine neue Definition für psychische Gesundheit im Leistungssport vor und betonen die Wichtigkeit von Basiswissen über psychische Gesundheit im Trainerkreis und Team sowie die Möglichkeit, psychische Gesundheit präventiv zu stärken und als Ressource zu nutzen.
Psychische Gesundheit – mehr als die Abwesenheit psychischer Erkrankung
Spitzensportlerinnen und –sportler1 gelten als mental stark – häufig mit der Begründung, dass mentale Stärke eine Voraussetzung für sportliche Spitzenleistung sei. Gleichzeitig zeigen wissenschaftliche Untersuchungen ähnliche Häufigkeiten psychischer Erkrankungen (wie z. B. Depression [1]) bei Leistungssportlern im Vergleich zur Normalbevölkerung. Im Leistungssport finden sich dabei spezifische Stressoren wie eine hohe Wettbewerbsdichte, intensiver Reiseaufwand sowie die Schwierigkeit der Vereinbarkeit von Sport und Familie, die die psychische Gesundheit gefährden können [2, 3]. Psychische Gesundheit stellt dabei nicht die Abwesenheit psychischer Krankheit dar, sondern laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) einen „Zustand des Wohlbefindens, in dem eine Person ihre Fähigkeiten ausschöpfen, die normalen Lebensbelastungen bewältigen, produktiv arbeiten und einen Beitrag zu ihrer Gemeinschaft leisten kann“ [4]. Dies bedeutet, dass (die Anwesenheit bzw. Abwesenheit von) psychische Gesundheit und psychische Krankheit zwei unterschiedliche – wenngleich verwandte – Dimensionen sind. Ein Athlet kann bspw. gleichzeitig psychisch gesund und psychisch krank sein, während ein anderer Athlet weder mental gesund noch psychisch krank sein kann (siehe z. B. Michael Phelps, u. a. dargestellt im Dokumentarfilm „Weight of Gold“) [5].
Neue Übersichtsarbeit nimmt Risiko- und Schutzfaktoren in den Blick
Eine neue Übersichtsarbeit, maßgeblich von Andreas Küttel – selbst ehemaliger Spitzensportler und heutiger Sportwissenschaftler – initiiert, stellt den aktuellen wissenschaftlichen Forschungsstand zu Risiko- und Schutzfaktoren psychischer Gesundheit im Leistungssport dar. Die Autoren fassen die Ergebnisse von 43 (quantitativen und qualitativen) Studien zusammen, in denen insgesamt 11.475 Leistungssportler (davon 2.857 Athletinnen) teilnahmen. Dabei stellt der Großteil (81%) aktuelle Studien dar, die nach 2012 veröffentlicht wurden. Die Autoren identifizieren insgesamt 82 relevante Risiko- und Schutzfaktoren und fassen diese in 25 übergeordnete Themen zusammen, welche sich wiederum in persönliche sowie umweltbezogene Risiko- und Schutzfaktoren unterteilen lassen (s. ABB. 01).
Was erhält die psychische Gesundheit von Athleten?
Die Autoren stellen 10 Schutzfaktoren für die psychische Gesundheit von Athleten fest. Diese reichen dabei von präventivem Verhalten, Kompetenz- und Autonomieerleben bis zu positiven sozialen Beziehungen und Unterstützung sowie Zufriedenheit mit der sportlichen Karriere auf der Ebene der persönlichen Schutzfaktoren. Umweltbezogene Schutzfaktoren beziehen dabei ein vertrauensvolles und lernzielorientiertes Klima, eine erfolgreiche Anpassung bei Karriereende, sportbezogene Freundschaften und soziale Unterstützung aus dem Sportkontext sowie Kenntnisse der Teammitglieder im Bereich psychische Gesundheit mit ein.
Was sind Risiken und Gefährdungen für die psychische Gesundheit von Athleten?
Ein Großteil der berücksichtigten Studien beschäftigt sich mit Risikofaktoren für die psychische Gesundheit im Sportkontext, sodass die Autoren insgesamt 15 Risikofaktoren identifizieren konnten. Auf der Ebene der persönlichen Risikofaktoren sind unter anderem Verletzungen und Übertraining, Risikoverhalten und ineffektives Bewältigungsverhalten, negative Lebensereignisse, schlechte allgemeine Gesundheit plus negative soziale Beziehungen und mangelnde Unterstützung zu nennen. Sportspezifische Stressoren sowie fehlende soziale Unterstützung der Teamkameraden und Stigmatisierung hilfesuchenden Verhaltens charakterisieren umweltbezogene Risikofaktoren.
Psychische Gesundheit bei Athleten
Auf Basis der Ergebnisse der Übersichtsarbeit und eigenen Erfahrungen in sportpsychologischer Betreuung schlagen die Autoren, in Anlehnung an die WHO-Definition, eine Definition sportspezifischer psychischer Gesundheit vor.
„Psychische Gesundheit ist ein dynamischer Zustand des Wohlbefindens, in dem Sportlerinnen und Sportler ihr Potential ausschöpfen, einen Sinn und Zweck im Sport und im Leben sehen, vertrauensvolle persönliche Beziehungen erleben, die üblichen Lebensbelastungen und die spezifischen Stressoren im Sport bewältigen und in der Lage sind, gemäß ihren Werten autonom zu handeln.“
Auf dieser Grundlage lässt sich psychische Gesundheit als eine Ressource für Athleten verstehen – sowohl während als auch nach der Karriere (sowie insbesondere in Karriereübergängen, z. B. während des Karriereendes). In dieser Hinsicht kann eine gezielte Förderung psychischer Gesundheit präventiv wirken und reaktive Maßnahmen bei einer bereits eingetretenen Einschränkung psychischer Gesundheit mindestens ergänzen.
Die meisten Screening-Tools zu gezielten Identifizierung von Risikogruppen kommen aus dem klinischen Kontext und sind deshalb nicht sport-spezifisch. Diese umfassen den WHO-5, ein Selbstauskunftsbogen mit fünf Fragen zum Wohlbefinden sowie den GHQ-12, ein Maß für die aktuelle psychische Gesundheit. Aus diesem Grund haben Wissenschaftler zwei Tools entwickelt, welche im Sportkontext genutzt werden können.
SMHAT – 1 (Sport Mental Health Assessment Tool 1). Ein Screening-Tool, welches von Experten für das Screening von Leistungssportlern, die 16 Jahre und älter sind, genutzt werden kann. Es besteht aus drei Komponenten: (a) allgemeine Ersteinschätzung, (b) sechs störungsspezifische Screening-Tools, (c) ein professionelles Interview von einem Experten durchgeführt [6].
SMHRT – 1 (International Olympic Committee Sport Mental Health Recognition Tool 1). Damit auch das Umfeld von Athleten (z. B. Freunde, Eltern, Trainer) eine Möglichkeit hat, die psychische Gesundheit tendenziell einschätzen zu können, wurde ein zweites Tool entwickelt, welches Gedanken, Gefühle sowie Verhalten und körperliche Veränderungen von potentiell betroffenen Athleten thematisiert. Bei Bedarf sollten die Athleten an Experten weiterverwiesen werden, welche die genaue Symptomatik abklären können [6].
Wie können Trainer und Teamkollegen unterstützen?
Trainer und Teams stellen sich berechtigterweise die Frage: Wie kann eine solche präventive Kultur, die auch die psychische Gesundheit der Spieler im Blick hat, aussehen? Die Risiko- und Schutzfaktoren (ABB. 01) können als Ausgangspunkt genommen werden, die psychische Gesundheit von Sportlern in den Blick zu nehmen. Im Rahmen der Möglichkeiten kann soziale Unterstützung geboten, die Erholung aktiv gesteuert sowie die Sportler befähigt werden, effektiv mit den Stressoren des leistungssportlichen Alltags umzugehen. Dabei ist insbesondere ein Wissen über psychische Gesundheit und Krankheit essentiell, wie z. B. das Wissen, dass auch psychisch kranke Personen Spitzenleistungen abrufen können.
Folgende Punkte können zusätzlich helfen:
- Aktiv bei Spielern nachfragen, ob und welche Unterstützung sie gebrauchen können,
- Gezielte Vorbereitung auf potentiell kritische Karrierephasen (wie z. B. Verletzungen) bspw. durch Möglichkeiten der Dualen Karriere oder der Förderung einer nicht-sportlichen Identität,
- Insbesondere in Phasen der Karriereübergänge (z. B. Junioren > Senioren, Vereinswechsel, Karriereende, Verletzungen) soziale Unterstützung anbieten,
- Autonomie- und Kompetenzerleben im Rahmen des Trainings fördern (z. B. durch Rückmeldungen, Trainingsgestaltung und Erholungsmaßnahmen),
- Für ausreichend Erholung und Regeneration sorgen (sowohl körperlich als auch psychisch), individuell mit Sportlern abstimmen.
Die Inhalte basieren auf der Originalstudie „Risk and protective factors for mental health in elite athletes: a scoping review”, die 2020 im Journal “International Review of Sport and Exercise Psychology” veröffentlicht worden ist.
1 Anmerkung zum Sprachgebrauch: Im Folgenden wird aus Gründen der besseren Lesbarkeit in der Regel nur noch die männliche Form verwendet. Es sind damit alle Personen unabhängig von ihrem Geschlecht gemeint.
Weiterführendes Wissen
Die Initiative Mental Gestärkt, die sich für psychische Gesundheit im Nachwuchsleistungssport einsetzt.
Die Robert-Enke Stiftung engagiert sich seit Jahren auf dem Gebiet der psychischen Gesundheit in verschiedenen Projekten.
Das Internationale Olympische Komitee (IOC) bietet eine Online Fortbildung für interessiere an: IOC Mental Health Online Lecture
Wissenschaftler haben mit dem IOC Screening-Tools für die psychische Gesundheit im Leistungssportkontext entwickelt: IOC Screening Tool
Auch beim Dachverband FIFA gibt es ein Online-Modul zur psychischen Gesundheit: FIFA Mental Health Modul
Hinweise vom IOC zur psychischen Gesundheit während Corona
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Literatur
- Küttel, A., & Larsen, C. H. (2020). Risk and protective factors for mental health in elite athletes: a scoping review. International Review of Sport and Exercise Psychology, 13(1), 231-265.Studie lesen
Nixdorf, I., Frank, R., Hautzinger, M., & Beckmann, J. (2013). Prevalence of depressive symptoms and correlating variables among German elite athletes. Journal of clinical sport psychology, 7(4), 313-326.
Studie lesenArnold, R., Fletcher, D., & Daniels, K. (2016). Demographic differences in sport performers’ experiences of organizational stressors. Scandinavian Journal of Medicine & Science in Sports, 26(3), 348-358.
Studie lesenRice, S. M., Purcell, R., De Silva, S., Mawren, D., McGorry, P. D., & Parker, A. G. (2016). The mental health of elite athletes: a narrative systematic review. Sports medicine, 46(9), 1333-1353.
Studie lesenWeltgesundheitsorganisation (WHO). Abgerufen von:
Studie lesenKeyes, C. L. (2002). The mental health continuum: From languishing to flourishing in life. Journal of health and social behavior, 207-222.
Studie lesenGouttebarge, V., Bindra, A., Blauwet, C., Campriani, N., Currie, A., Engebretsen, L., ... & Purcell, R. (2020). International Olympic Committee (IOC) Sport Mental Health Assessment Tool 1 (SMHAT-1) and Sport Mental Health Recognition Tool 1 (SMHRT-1): towards better support of athletes’ mental health. British Journal of Sports Medicine.
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