Wissen

Mit Erfahrung gegen Angst vor wichtigen Spielen

Welche Merkmale von Elite-Spielerinnen lassen auf Angstgefühle vor wichtigen Matches schließen?

Handshakes unmittelbar vor dem großen Champions League-Finale zwischen dem FC Barcelona und Olympique Lyon.
    • Generell können alle Spieler*innen (unabhängig von Erfahrung und Alter) Ängste entwickeln.
    • Die Hoffnung auf Erfolg übertrifft bei den meisten Elite-Spielerinnen als Leistungsmotivation die Angst vor Misserfolg.
    • Zwischen den Spielpositionen zeigten sich hinsichtlich psychologischer Parameter keine großen Unterschiede. 
    • Unter älteren und/oder Spielerinnen mit Erfahrung in der Nationalmannschaft waren Persönlichkeitsmerkmale der Ängstlichkeit eher seltener zu beobachten.
Abstract

Fußballspieler*innen kommen unterschiedlich gut mit dem Leistungsdruck vor wichtigen Spielen zurecht. Je nach Persönlichkeit und Erfahrung kann aus Nervosität und Lampenfieber vor wichtigen Spielen regelrechte Angst werden. Ein dänisch-deutsches Forscherteam hat untersucht, ob es Merkmale gibt, die bei Elite-Spielerinnen auf Angstgefühle vor wichtigen Matches schließen lassen. Während beispielsweise die Spielposition keinerlei Vorhersagekraft auf Angstzustände vor wichtigen Spielen besitzt, sind ältere Spielerinnen mit Nationalteamerfahrung am wenigsten von Angstgefühlen betroffen.

Lampenfieber oder Angst vor wichtigen Spielen?

Fußball auf Elite-Niveau verlangt Spielerinnen und Spielern nicht nur körperlich, sondern auch mental einiges ab. Viele Profis kämpfen vor Spielen mit Nervosität und Angstgefühlen. Ein gewisses Maß an Lampenfieber ist natürlich normal und der Konzentration zuträglich. Wenn Angst und Besorgnis vor wichtigen Spielen aber zunehmen, kann dies die Leistungsfähigkeit negativ beeinflussen [1].

Haben bestimmte Spielertypen einen Hang zu ängstlichem Verhalten? Können die „alten Hasen“ im Profigeschäft besser mit Nervosität und Angstgefühlen umgehen? Und gibt es Faktoren, die Angstzustände vor wichtigen Spielen begünstigen bzw. vorhersagen können? 

Diesen und weiteren Fragen hat sich ein dänisch-deutsches Forscherteam gewidmet. Die Sportwissenschaftler untersuchten in einer Studie mit Profifußballerinnen der dänischen Frauenliga zunächst, ob Zusammenhänge zwischen Charaktereigenschaften, ihrem Alter, der Spielposition sowie Nationalteamerfahrung bestehen. In einem zweiten Schritt versuchten die Forschenden herauszufinden, ob einer oder mehrere der genannten Faktoren Angstgefühle der Spielerinnen vor wichtigen Matches vorhersagen können. 

128 Spielerinnen der ersten dänischen Frauenliga nahmen an den Umfragen teil. Neben den allgemeinen Angaben zu Alter, Nationalteamerfahrung und Spielposition sollten die Fußballerinnen selbst einschätzen, ob sie sich als Startelf-Spielerin (immer, häufig, selten) sehen. Drei weitere standardisierte Fragebögen widmeten sich psychologischen Variablen:

Die Leistungsmotivation (Achievement Motive)

Ob und inwieweit sich Angstgefühle bei einem Menschen einstellen, hat immer auch damit zu tun, welche positiven oder negativen Konsequenzen der Mensch bei Erfolg oder Scheitern erwartet. Die Leistungsmotivation erwächst daher entweder aus der Hoffnung auf Erfolg oder der Angst vor Misserfolg. Sie kann definiert werden als eine unbewusste, wiederkehrende Präferenz für emotionale Belohnungserfahrungen, die mit der eigenen Leistungsverbesserung in Zusammenhang stehen [2]. Studien zeigen, dass die Leistungsmotivation eine relativ stabile Persönlichkeitseigenschaft darstellt, die große Vorhersagekraft bezüglich des zukünftigen Erfolgs junger Talente besitzt und dass speziell die Angst vor dem Scheitern der sportlichen Leistungsfähigkeit im Wege stehen kann [3, 4]. In der Umfrage sollten die Spielerinnen beispielsweise auf einer dreistufigen Skala Aussagen zustimmen bzw. ablehnen, wie „Ich mag die Konfrontation mit schwierigen sportlichen Aufgaben“ (Hoffnung auf Erfolg) oder „Es verunsichert mich, eine sportliche Aufgabe zu betreiben, bei der ich nicht sicher bin, ob ich sie schaffe“ (Angst vor Misserfolg).

Die Ängstlichkeit (Trait anxiety)

Ängstlichkeit gilt in der psychologischen Literatur als ein überdauerndes Persönlichkeitsmerkmal, das einen Menschen dazu veranlasst, auf verschiedene Stresssituationen stets mit einem gewissen Maß an Angst und Besorgnis zu reagieren [5]. Je nachdem, ob die Ängstlichkeit vor allem körperlich (z. B. Schwitzen, Zittern) oder mental (z. B. Grübeln) in Erscheinung tritt, lassen sich zwei Formen unterscheiden: eine somatische und eine kognitive Form der Ängstlichkeit [6]. Für die Einschätzung der Ängstlichkeit sollten die Spielerinnen in der Umfrage beispielsweise Aussagesätzen (nicht) zustimmen wie „Ich fühle mich angespannt“ und „Ich habe Selbstzweifel“.

Der Angstzustand (State anxiety)

Im Gegensatz zur Ängstlichkeit beschreibt der Angstzustand eine emotionale Reaktion auf eine bestimmte Situation. Der Angstzustand äußert sich durch Gefühle, wie Besorgnis, Angst, Anspannung, allgemeine Unruhe und kann sich von Situation zu Situation ändern bzw. gar nicht auftreten. Wie bei der Ängstlichkeit unterscheidet die Forschung somatische und kognitive Formen des Angstzustands. Eine Beispielaussage aus der verwendeten Umfrage zur Erfassung von Angstzuständen: „Ich fühle mich nervös/zittrig“.

Die Umfragebögen, die sich mit den allgemeinen Angaben sowie den psychologischen Komponenten Leistungsmotivation und Ängstlichkeit beschäftigten, erhielten die Spielerinnen eine Woche vor Beginn der Saison. Ein gesonderter Umfragebogen, der sich auf mögliche Angstzustände im Wettkampfbetrieb bezog und in drei bis fünf Minuten ausgefüllt werden konnte, wurde den Spielerinnen rund eine Stunde vor Anpfiff wichtiger Spiele von Mitarbeitern des jeweiligen Vereins ausgehändigt und wieder eingesammelt. 

Hoffnung auf Erfolg schlägt Angst vor dem Scheitern 

Fußballspielerinnen auf Elite-Niveau nehmen sportliche Situationen meist als positive Herausforderungen wahr und grübeln nicht allzu viel über Szenarien des Scheiterns. So lässt sich das Studienergebnis hinsichtlich der Leistungsmotivation zusammenfassen. Die Werte für das Merkmal „Hoffnung auf Erfolg“ überwogen klar die des Merkmals „Angst vor Misserfolg“. Allerdings beeinflussten weder das Alter noch Nationalmannschaftserfahrung die Ausprägung der Leistungsmotivation. Da die Leistungsmotivation für einen Großteil des zukünftigen Erfolgs junger (männlicher) Fußballspieler herangezogen wird [4], werten die Autoren dieses Studienergebnis als Hinweis darauf, dass auch bei den Frauen auf Elite-Niveau hohe Werte bei „Hoffnung auf Erfolg“ und gleichzeitig niedrige Werte bei „Angst vor Misserfolg“ eine natürliche psychische Grundvoraussetzung junger Talente sein könnten.

Erfahrung und Ängstlichkeit passen nicht zusammen

Die Faktoren „Alter“ und „Nationalteamerfahrung“ korrelierten negativ mit Ausprägungen der Ängstlichkeit. Das bedeutet: Unter den älteren Spielerinnen und solchen, die bereits im Nationalteam gespielt haben, fanden sich nur bei sehr wenigen Spielerinnen Persönlichkeitsmerkmale der Ängstlichkeit. Dieses Ergebnis steht im Einklang mit einer weiteren Studie [7], die „Erfahrung“ als Anzahl der absolvierten Spiele definierte. Hier zeigten die Spielerinnen mit den meisten gespielten Matches auch die geringsten Anzeichen von Ängstlichkeit in ihrer Persönlichkeitsstruktur. Um diese Studie ergänzt, schlussfolgern Madsen und Kollegen: Wenn Spielerinnen auf Elite-Niveau vielen Matches mit hohem Leistungsdruck, wie zum Beispiel Nationalteamspielen ausgesetzt sind, könnten sich körperliche und mentale („Besorgnis“, „Konzentrationsstörungen“) Ausprägungen der Ängstlichkeit reduzieren. 

Startelf macht selbstbewusst - Position spielt für die Psyche keine große Rolle

Die Forschenden fanden keinen Zusammenhang zwischen psychologischen Parametern und verschiedenen Spielpositionen. Leistungsmotivation und Ängstlichkeit unterscheiden sich also kaum zwischen Torhüterinnen, Abwehr-, Mittelfeldspielerinnen und Stürmerinnen. Ob sich eine Spielerin selbst zum Startelfstamm zählt oder das Gefühl hat, nur selten zu Matchbeginn aufgestellt zu werden, wirkt sich allerdings wohl auf den Grad der Ängstlichkeit aus. Es gab einen statistischen Zusammenhang zwischen Startelf-Selbsteinschätzung und dem Faktor Ängstlichkeit. Spielerinnen, die sich nur selten für die Startelf berücksichtigt fühlten, zeigten auch die höchsten Werte in puncto Ängstlichkeit. Verwandte Studien kommen zu einem ähnlichen Ergebnis: Fußballspielerinnen, die weniger Spielzeit erhielten, wiesen auch geringere Werte an Selbstbewusstsein auf [8].

Nationalteamerfahrung macht locker vor wichtigen Matches

Im zweiten Teil der Studie haben die Forschenden verschiedene Merkmale daraufhin überprüft, ob sie Angstzustände vor wichtigen Spielen vorhersagen können. Auch hier war die Nationalteamerfahrung ein Indikator für Angstabschwächung. Nationalspielerinnen hatten vor wichtigen Matches weniger das Gefühl aufgrund von Angst körperlich-somatisch angespannt zu sein. Das Leistungsmotivationsmerkmal „Angst vor Misserfolg“ und auch eine mentale Ausprägung ängstlicher Persönlichkeiten („Besorgnis“) zeigten umgekehrt körperliche Angstzustände von Spielerinnen vor wichtigen Matches mit einiger Sicherheit an. Das Alter, „Hoffnung auf Erfolg“ und – für die Forschenden einigermaßen überraschend – somatisch ausgeprägte Ängstlichkeit ergab keine nennenswerte Vorhersagekraft in die eine oder andere Richtung, ob sich eine Athletin vor wichtigen Spielen körperlich angsterfüllt zeigt. 

Was kognitiv ausgeprägte Angstzustände vor wichtigen Matches angeht, so waren das Leistungsmotivationsmerkmal „Hoffnung auf Erfolg“ in negativer Weise und körperlich wie auch mental ausgeprägte Ängstlichkeit in positiver Weise Indikatoren für mentale Angstzustände vor wichtigen Spielen.

Einschränkungen der Studie

Die Autoren weisen auf einige Punkte hin, die die Aussagekraft der Studie limitieren könnten: Zum einen sei die Rückgabe der Fragebögen nicht überall gleichmäßig erfolgt. Weil der Stichprobenumfang von 128 Spielerinnen zudem vergleichsweise klein sei, sollten die Ergebnisse nur im Rahmen eines Querschnitts interpretiert werden. Wichtig zu beachten sei außerdem, dass die Werte für psychologische Merkmale in der Studie auf Selbsteinschätzungen beruhten. Bei derartigen Fragebögen bestehe trotz Zusicherung der Anonymität immer die „Gefahr“, dass Antwortende sich in einem positiveren Licht darstellten als es in Wirklichkeit der Fall sei. 

Relevanz für die Praxis

Trainerteam und Sportpsychologen könnten aus den Studienergebnissen einige Schlüsse für die Spielpraxis ziehen. Den Ergebnissen zufolge stehen Ängstlichkeit als Charaktermerkmal und Nationalteamerfahrung in Zusammenhang mit Angstzuständen vor den Matches. Die Autoren der Studie empfehlen Trainern und Betreuerteam daher, aufmerksam zu sein und (eventuell vor allem aus dem Kreis der Nicht-Nationalspielerinnen) Spielerinnen zu identifizieren, die vor wichtigen Matches mit Angstzuständen kämpfen. Solche Spielerinnen sollten speziell unterstützt werden, indem man mögliche Ängste offen mit ihnen bespricht, um den Druck, der aus dem bevorstehenden Spiel erwächst, abzuschwächen. Auf längere Sicht empfiehlt es sich, mit ängstlichen Spielerinnen Bewältigungsstrategien (coping skills) zu entwickeln. In einem Trainingsumfeld, das von Vertrauen und Offenheit (auch gegenüber Leistungsdruck in Spielen) geprägt ist und in dem positives, bestärkendes Feedback vorherrscht, sind solche Entwicklungsschritte weg von Ängstlichkeit und Angst deutlich leichter zu gehen. 

Die Inhalte basieren auf der Studie "Can psychological characteristics, football experience, and player predict state anxiety before important matches in Danisch elite-level female football players?", die 2020 in der Fachzeitschrift „Scandinavian Journal of Medicine & Science in Sports" veröffentlicht wurde.

Literatur

  1. Madsen, E. E., Hansen, T., Thomsen, S. D., Panduro, J., Ermidis, G., Krustrup, P., Randers, M. B., Larsen, C. H., Elbe, A. M., & Wikman, J. (2022). Can psychological characteristics, football experience, and player status predict state anxiety before important matches in Danish elite-level female football players? Scandinavian Journal of Medicine & Science in Sports, 32(Suppl. 1), 150-160.
    Studie lesen
    1. Slimani, M., & Nikolaidis, P. T. (2017). Anthropometric and physiological charac- teristics of male soccer players according to their competitive level, playing position and age group: a systematic review. Journal of Sports Medicine and Physical Fitness, 59(1), 141-163.

    2. Atkinson, J. W. (1957). Motivational determinants of risk-taking behavior. Psychological Review, 64(6), 359-372.

    3. Höner, O., & Feichtinger, P. (2016). Psychological talent predictors in early ad- olescence and their empirical relationship with current and future performance in soccer. Psychology of Sport and Exercise, 25, 17-26.

    4. Feichtinger, P., & Höner, O. (2015). Talented football players' development of achievement motives, volitional components, and self-referential cognitions: a longitudinal study. European Journal of Sport Science, 15(8), 748-756.

    5. Singh, V., Prakash, S., Punia, S., & Kulandaivelan, S. (2017). Relationship between pre-competition anxiety and performance levels in inter-university women football teams. International Journal of Physical Education, Sports and Health, 4(5), 136-139.

    6. Cox, R. H. (2002). Sport Psychology: Concepts and Applications.

    7. Junge, A., & Prinz, B. (2019). Depression and anxiety symptoms in 17 teams of female football players including 10 German first league teams. British Journal of Sports Medicine, 53(8), 471-477.

    8. Haneishi, K., Fry, A. C., Moore, C. A., Schilling, B. K., Li, Y., & Fry, M. (2007). Cortisol and stress responses during a game and practice in female collegiate soccer players. Journal of Strength and Conditioning Research, 21(2), 583-588.