3 Fragen an
DFB-Torwartkoordinatorin Silke Rottenberg
Die DFB-Torwartkoordinatorin über die Torhüterinnenausbildung beim DFB
- ist seit 2009 beim DFB die verantwortliche Torwarttrainerin für die U15- bis U23-Torhüterinnen und Koordinatorin in diesem Bereich.
- gewann 2003 und 2007 die Weltmeisterschaft und wurde zudem dreimal Europameisterin.
- sie bestritt insgesamt 126 Länderspiele für Deutschland und ist seit 2019 Teil der Hall of Fame des deutschen Frauenfußballs.
1) Wie sieht dein Alltag als Torwartkoordinatorin für die Juniorinnen-Nationalmannschaften aus und was ist dir wichtig, wenn du mit den besten Nachwuchstorhüterinnen auf dem Platz stehst?
Als verantwortliche Torwarttrainerin der U15- bis U23-Nationalmannschaften bin ich in die Abläufe und Prozesse rund um die DFB-Lehrgänge und Länderspiele involviert. Daher führe ich im Vorfeld viele Telefonate und Videokonferenzen. Der Kontakt zu den Vereinen und den Verbänden ist extrem wichtig, daher versuche ich mich so oft wie möglich mit den Kolleg*innen auszutauschen. Insbesondere im U15-/U16-Altersbereich gibt es vieles zu organisieren. Das fängt manchmal bei einem Physiotherapietermin an und hört bei der Planung des Torwarttrainings auf. Wenn es von Kolleg*innen und Spielerinnen offene Fragen gibt, bin ich deren Ansprechpartnerin.
Auf dem Trainingsplatz habe ich bestimmte Prinzipien, die für mich aber auch für "meine" Torhüterinnen gelten. Die Mädels sollen wissen, warum sie auf dem Platz stehen und wofür sie auf einiges in ihrer knappen Freizeit verzichten. Zudem ist es mir wichtig, dass sie mit Freude trainieren und Spaß daran haben, sich weiterentwickeln zu wollen. Dies bedeutet, dass wir kurz- aber auch mittelfristige Ziele besprechen, an denen sie sich anschließend auch messen lassen müssen. Meine Verantwortung sehe ich darin, sie altersgemäß in den torwartspezifischen Abläufen besser zu machen, sie zu fordern, aber nicht zu überfordern. Natürlich darf der Spaß nicht zu kurz kommen und es soll natürlich auch gelacht werden. Ich bin davon überzeugt, dass man sich am besten entwickeln kann, wenn man Spaß hat. Aber – und das ist mir wichtig hervorzuheben – der Fokus darf nie verloren gehen! Und ich habe ein tolles DFB-Torwarttrainerinnenteam, die ihre Torhüterinnen in den Teams top betreuen – mit unserer gemeinsamen Philosophie und unserem „roten Faden“ einer einheitlichen Ausbildung.
In der Trainingsplanung bin ich ein Freund von einfachen, wettkampfnahen Übungen. Auf dem Platz muss die Kommunikation aber gegenseitig erfolgen. Ich mag es, wenn die Mädels auch mal Übungen hinterfragen und nicht alles abnicken.
2) Im Spätsommer 2024 fand die U20 Juniorinnen Weltmeisterschaft in Kolumbien statt. Eines von vielen Turnieren, die du als Torwarttrainerin begleitet hast. Wie sehen deine Aufgaben in Bezug auf eine Turnierbegleitung aus und gibt es Unterschiede hinsichtlich der Jahrgänge?
Ein Turnier beginnt immer mit einer sehr langen Vorbereitung. Die drei Torhüterinnen, die in Kolumbien dabei waren, sind seit ihrem 13. Lebensjahr "in meinen Fängen" und haben seitdem alle U-Teams durchlaufen. In Südamerika standen mit Lina von Schrader und Kiara Beck zwei Torhüterinnen des Jahrgangs 2004 und mit Rebecca Adamczyck eine Torhüterin des Jahrgangs 2005 im Kader. Alle drei sind sehr verschieden und verkörpern auf ihre Art das Torhüterinnenspiel. Diese Torhüterinnen-Profile über eine lange Zeit gemeinsam mit den Vereinen auszubilden, macht sehr viel Spaß – wobei in den Vereinen natürlich die Hauptarbeit geschieht. Ich kann die Entwicklung immer nur punktuell steuern und darauf Einfluss nehmen. Als Torwarttrainerin in der Nationalmannschaft gehört es zu meinen Aufgaben, dass ich Dinge, die mir im Training und Spiel auffallen, an die Kolleg*innen in den Vereinen weiterzugeben. Hier ist ein vertrauensvolles, offenes Verhältnis wichtig. Es geht immer um die Sache und vier "Trainer-Augen" sehen am Ende immer mehr als zwei.
Bei den Turnieren arbeite ich sehr viel mit Videoanalysen. Bilder zeigen eine eigene Sprache. Aufgrund meiner Erfahrungen und der Art, wie ich das Torhüterinnen-Spiel verstehe, möchte ich den Spielerinnen so viel Input wie möglich geben. Unabhängig von meiner Sichtweise auf das Spiel strebe ich nach einem engen Austausch mit den Spielerinnen und möchte beispielsweise wissen, wie sie eine Situation wahrgenommen haben. In der Vorbereitung auf ein Spiel geht es darum, auf die offensiven Stärken des Gegners einzugehen, aber auch auf unsere taktische Idee des Spielaufbaus. Diese Details schaue ich mir mit den Torhüterinnen an und richte das Training entsprechend darauf aus. In den wenigen Trainingseinheiten, die uns während eines Turniers zur Verfügung stehen, ist es meine Hauptaufgabe, den Torhüterinnen ein gutes Gefühl zu geben, ihnen die Abläufe zu verdeutlichen und ihnen Sicherheit zu geben. Durch die Gegneranalysen und den Transfer in das Training möchte ich ihnen sämtliche Informationen mitgeben, sodass sie wissen, was auf sie zukommt. Unser gemeinsames Ziel ist es, dass wir für jedes Spiel und jeden Gegner einen Plan haben – bestenfalls sogar einen Plan B.
Für alle Torhüterinnen, die bei einem Turnier im Kader stehen, möchte ich eine loyale und verlässliche Ansprechpartnerin sein – unabhängig davon, welche Torhüterin spielt. Alle sollen meine Wertschätzung spüren und sich als elementaren Bestandteil des Torhüterinnenteams verstehen.
3) Mädchen und Frauen gelten als vorsichtiger als ihre männlichen Altersgenossen. Worauf achtet ihr beim Training von 1-gegen-1-Situationen oder beim Agieren im Raum, um die Vorsicht in "positive Aggressivität" umzuwandeln?
Es mag sein, dass Mädchen in der Regel nicht ganz so aggressiv in Zweikämpfe gehen wie Jungs, die eine ganz andere Körperlichkeit und Athletik mitbringen. Für mich ist es wichtig, dass man mit altersgerechten Lernzielen arbeitet und die Mädchen vorrangig im Detail ausbildet.
Nach meiner Philosophie muss ein 13-jähriges Mädchen im 1 gegen 1 keinen durchgeschobenen Block beherrschen. Eine Torhüterin sollte erst einmal die Basics erlernen, wie eine isolierte kurze und lange Fußabwehr, den kurzen Block oder die Handabwehr. Zudem liegt ein Fokus auf der Stabilität, Mobilität und der Beweglichkeit. Anschließend können taktische Vorgaben mit einbezogen werden. Wichtig ist es, dass die Talente wissen, wann welche Technik gefordert ist.
Das Erlernen der torwartspezifischen Fähigkeiten ist ein Prozess, den die Torhüterinnen durch Trainings- und vor allem Wettkampferfahrung positiv beeinflussen können. Durch Wiederholungen bekommen die Torhüterinnen Sicherheit und die Angst schwindet. Allerdings ist es für die Trainingsgestaltung wichtig, dass altersgerecht und geschlechtsspezifisch trainiert wird. Häufig wird der Fokus zu früh auf Dinge gelegt, die die Muskulatur noch gar nicht umsetzen kann. Hierdurch erhöht sich nur die Verletzungsgefahr.
In der Raumverteidigung gehen wir ähnlich vor. Anhand von altersgerechten Lernzielen schulen wir die Bewegungsabläufe in allen Positionen. Für die Torhüterinnen gilt: Je besser deine Positionierung und dein Bewegungsablauf ist, desto leichter kannst du die geforderte Technik anwenden. Für mich ist es wichtig, alle Techniken im Training so gut auszubilden, dass die Torhüterinnen wiederkehrend erfolgreich sind und eine Aktion kein Zufall ist. Entscheidend dabei ist, dass mit den Abläufen taktische Ansätze hinzukommen: Wo ist der Ball, wann stehe ich und wie scanne ich die Umgebung am besten?
Um so wettkampfnah wie möglich zu trainieren, empfehle ich für das Torwarttraining Dummies. Durch situative Trainingsformen entstehen für die Torhüterinnen Bilder, die sie im Spiel wiedererkennen und wissen, welche Technik gefordert ist. So legen wir im Torwart- und Mannschaftstraining die Basis, damit die Torhüterinnen mit einer gefüllten "Werkzeugkiste" selbstbewusst in die Aktionen gehen können. Mutig in Aktionen zu gehen, wird dann Teil der Persönlichkeit. Deshalb würde ich auch nicht von Angst sprechen, sondern von unterschiedlichen "Bildern" und Erfahrungen.
Im Training wird der Raumverteidigung meist nicht so viel Aufmerksamkeit geschenkt, wie den Zielverteidigungstechniken. Würde sich dieses Verhältnis ändern, würden die Torhüterinnen den Raum vermutlich besser und erfolgreicher beherrschen. Aktuell fehlt es noch an Wiederholungen, wodurch der einen oder anderen Torhüterin noch etwas das Vertrauen fehlt.