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Entscheidungshandeln im Elite-Nachwuchsfußball

Wie unterscheiden sich die Altersklassen U10 bis U14?

Psychologie
Talententwicklung
Spielformen des DFB-Talentförderprogramms
    • Die Anzahl sowie die Erfolgsquote der Entscheidungsfindungen steigen mit der Altersgruppe.
    • Das Spieltempo nimmt mit dem Alter zu, sodass das Entscheidungshandeln schneller wird und die Anzahl der Spielzüge abnimmt.
    • Die Veränderungen spielnaher Trainingsformen in der U12-Altersgruppe sollten dem biologischen Reifegrad entsprechend angepasst werden, um höhere Lerneffekte zu erzielen.
Abstract

Die Schulung der taktischen Fähigkeit des Entscheidungshandelns gewinnt im Elite-Jugendfußball zunehmend an Bedeutung und die Entscheidungskompetenz wird mehr und mehr zum Schlüsselelement bei der Talentsichtung. Vor diesem Hintergrund wurde in einer aktuellen Studie das Entscheidungshandeln der besten Nachwuchsspieler der U10, U12 und U14 eines spanischen Nachwuchsleistungszentrums in offiziellen Ligaspielen untersucht. Hierzu wurden über 1 000 Offensivaktionen hinsichtlich der Anzahl, Dauer und Effektivität der Entscheidungshandlungen analysiert. Der Vergleich der Altersklassen lässt Rückschlüsse auf die Gestaltung des Trainings sowie der Wettkampfbedingungen zu.

Fußball beginnt im Kopf

Kognitive Faktoren wie Wahrnehmen und Entscheiden sind leistungsbestimmend im Fußball. Folgerichtig konzentrieren sich Trainer*innen, neben technisch-taktischen und konditionellen Ausbildungsinhalten, vermehrt auch auf die kognitiven Fähigkeiten junger Spieler*innen, die in der Talententwicklung oft den entscheidenden Unterschied ausmachen [1, 2]. Wie aber wird die Entscheidungsfähigkeit richtig gefördert?

Spielerorientiert trainieren

In der aktuellen Sportspielforschung besteht Konsens bezüglich der großen Bedeutung kognitiver Aspekte für die Spielleistung junger Spieler*innen sowie der Notwendigkeit, unterschiedliche taktische Kontexte für Lehr- und Lernprozesse zu berücksichtigen. Zur optimalen Schulung der kognitiven Fähigkeiten wird empfohlen, die Trainingsbedingungen in einem spielorientierten Ansatz möglichst nah an die Wettkampfbedingungen anzupassen. Der sogenannte „Constraints-Led Approach“ stellt einen solchen Ansatz dar und erlaubt es den Spieler*innen, durch selbstständiges Denken und Handeln taktische und technische Kenntnisse sowie spielnahe Erfahrungen zu sammeln [3]. Möglich wird das durch die gezielte Veränderung der Spielbedingungen in Kleinfeldspielformen, etwa der Anzahl der Spieler*innen, der Spielfeldgröße, der Art der Kontakte oder der Torerzielung. Zahlreiche Studien belegen [4], dass solche spielnahen Trainingsformen für die Entwicklung des Entscheidungshandelns junger Spieler*innen besonders zielführend sind. Aber wie sollten Trainer*innen Trainingseinheiten zur Entscheidungsfindung altersgerecht an die Leistungsentwicklung ihrer jungen Talente anpassen?

Spielanalyse zum Entscheidungshandeln

Um diese Frage zu beantworten, haben Sportpsychologen drei Altersgruppen (U10, U12 und U14) eines spanischen Nachwuchsleistungszentrums untersucht. Aus der Gesamtstichprobe (97 Spieler) wurde eine Gruppe von 18 der talentiertesten Spieler ihrer Altersklassen basierend auf ihrer technisch-taktischen Fähigkeiten, ihrer Kreativität und ihres Engagements ausgewählt. In der Studie wurde erforscht, wie sich die offiziellen Wettspielformate auf die taktische Leistung der Spieler in den untersuchten Altersgruppen auswirken – abhängig von der Anzahl der Spieler und der Größe des Spielfelds. Hierzu wurden jeweils zwei Ligaspiele jedes Teams videotechnisch erfasst. Für jeden der 18 Spieler wurden jeweils die ersten 10 Minuten eines nach dem Zufallsprinzip ausgewählten Spiels ausgewertet. Diese wurden gemäß der offiziellen Spielordnung in den folgenden Formaten gespielt.  

  • U10: 8 vs. 8 (Feldgröße: 45 x 30 m, Spielzeit: 50 Minuten)
  • U12: 8 vs. 8 (Feldgröße: 45 x 30 m, Spielzeit: 60 Minuten)
  • U14: 11 vs. 11 (Feldgröße: 90 x 60 m, Spielzeit: 70 Minuten)

In den Videos der Spiele wurden insgesamt 1 087 Offensivaktionen identifiziert und hinsichtlich des Entscheidungshandelns mit dem sogenannten „Game Performance Evaluation Tool (GPET)“ [5] analysiert. Mithilfe dieses Tools wurde die Spielleistung auf zwei verschiedenen Ebenen bewertet: Zum einen wurden die Aktionen der Spieler einem taktischen Grundprinzip der Offensive (Ballbesitz, Vorrücken, Torerzielung) zugeordnet. Auf der zweiten Ebene wurde mittels des GPET die kognitive Entscheidungskomponente entkoppelt von der motorischen Ausführungskomponente betrachtet (vgl. TAB. 01).

Das zeigt der Vergleich der Altersgruppen:

Die U12 wies die größte Anzahl ausgewerteter Spielzüge auf (129), gefolgt von der U10 (105) und der U14 (90). Zugleich zeigte sich, dass die Dauer der Spielzüge von der U10 bis zur U12 zunahm, aber in der U14 wieder abnahm (vgl. ABB. 01). Die Zahl der Entscheidungsfindungen nahm bei den U14-Spielern indessen zu. Durchschnittlich wurden bei den Ältesten pro Ligaspiel 2,62 Entscheidungsfindungen gezählt. Bei den U12-Spielern waren es 2,5 pro Spiel und bei den Jüngsten 1,94 pro Spiel. Dass sich das Entscheidungshandeln in den älteren Altersgruppen verbessert, erklären die Autoren mit der zunehmenden Spielerfahrung, die die jungen Spieler während ihrer Entwicklung sammeln.

Zudem nimmt die das taktische Können im Laufe des Alters zu. Zwar weist die U12 in absoluten Zahlen die meisten Spielzüge mit längerer Dauer und die meisten Entscheidungsfindungen auf. Gemessen an der Effektivität des Entscheidungshandelns aber sind bei den U14-Spielern die technisch-taktischen Fähigkeiten, wie Aufrechterhaltung des Ballbesitzes und Torerzielung, am ausgeprägtesten (TAB. 01). Insgesamt aber, so die Autoren, verbessert sich das Entscheidungshandeln mit dem Alter. Eine weitere Erkenntnis: In dem Maße, wie mit dem Alter die Entscheidungsfindungen pro Spiel zu- und die Zahl der Spielzüge abnehmen, erhöht sich auch die Spielgeschwindigkeit.

Was die Studie auch zeigt: U12-Spieler machen die kleinsten Entwicklungssprünge im Entscheidungshandeln. Die Autoren machen das am Verhältnis zwischen Spielzügen und Entscheidungsfindungen aus, das in der Gruppe der U12 geringer ausfällt als in den anderen Altersklassen. Diese Beobachtung deckt sich mit älteren Studien [6, 7], die festgestellt haben, dass sich Unter-12-Jährige nicht gut an die gesteigerten physischen und physiologischen Anforderungen spielnaher Trainingsformen mit großem Spielfeld oder größerer Spielzahl anpassen können. Während U14-Spieler bei Kleinfeldspielen besser mit den Änderungen der Trainingsform zurechtkommen, gelingt das U12-Spielern weniger gut, was Wissenschaftler mit dem unterschiedlichen Grad der Reifeentwicklung begründen. Trainer sollten dies berücksichtigen und bei der Steigerung der Entscheidungsanforderungen in der U12 entsprechende Veränderungen (Anzahl der Spieler oder Größe des Feldes) besser an die Bedürfnisse der Altersgruppe anpassen.

Fazit

Die Autoren sehen die These bestätigt, dass der spielerorientierte Ansatz hilft, die Entscheidungsfähigkeit zu trainieren. Während U14-Spieler die größten Entwicklungssprünge zeigen und es ihnen besser gelingt, Spielsituationen zu reflektieren, Optionen zu erkennen und Entscheidungen zu treffen als jüngere Altersgruppen, legen die Erkenntnisse aus der Beobachtungsanalyse zur Entscheidungsfindung besondere Rücksichtnahme bei U12-Spielern nahe. Trainer sollten gerade in dieser Altersgruppe die Steigerung spielnaher Trainingsformen an den Lernprozess und den Reifegrad seiner U12-Spieler anpassen. Offenbar brauchen Spieler dieser Altersgruppe etwas länger, um gemachte Erfahrungen zu verinnerlichen, und müssen sie durch wiederholtes Trainieren festigen, bevor sie gesteigerte Anforderungen erfolgreich umsetzen können.

Die Inhalte basieren auf der Studie „Teaching and learning process of decision-making units in talented young players from U-10 to U-14”, die 2020 in „Frontiers in Psychology” veröffentlicht wurde.

Literatur

  1. Pastor-Vicedo, J. C., Prieto-Ayuso, A., Contreras-Jordán, O. R., Clemente, F. M., Nikolaidis, P. T., Rosemann, T. J., & Knechtle, B. (2020). Teaching and learning process of decision-making units in talented young players from U-10 to U-14. Frontiers in Psychology, 11, 600.
    Studie lesen
    1. Serra-Olivares, J., Clemente, F. M., & González-Víllora, S. (2016). Tactical expertise assessment in youth football using representative tasks. Springerplus, 5(1), 1-9.

    2. Williams, A. M., & Ford, P. R. (2013). ‘Game intelligence’: anticipation and decision making. In Science and soccer (pp. 117-133). Routledge.

    3. Renshaw, I., Davids, K., Newcombe, D., & Roberts, W. (2019). The constraints-led approach: Principles for sports coaching and practice design. Routledge.

    4. Sarmento, H., Anguera, M. T., Pereira, A., & Araújo, D. (2018). Talent identification and development in male football: A systematic review. Sports Medicine, 48(4), 907-931.

    5. García López, L. M., González Víllora, S., Gutiérrez, D., & Serra, J. (2013). Development and validation of the Game Performance Evaluation Tool (GPET) in soccer. Sport TK, vol. 2, nº 1, 89-99.

    6. Castellano, J., Puente, A., Echeazarra, I., Usabiaga, O., & Casamichana, D. (2016). Number of players and relative pitch area per player: comparing their influence on heart rate and physical demands in under-12 and under-13 football players. PLoS ONE, 11(1), e0127505.

    7. Martone, D., Giacobbe, M., Capobianco, A., Imperlini, E., Mancini, A., Capasso, M., Buono, P., & Orrù, S. (2017). Exercise intensity and technical demands of small-sided soccer games for under-12 and under-14 players: effect of area per player. Journal of Strength & Conditioning Research, 31(6), 1486-1492.