Wissen
Forschungsobjekt Jugendfußball
Wie aussagekräftig sind die Bewertungsmethoden für die taktische Leistung von Nachwuchsspieler*innen?
- In der Forschungsliteratur wird die Terminologie zum taktischen Wissen und Können nicht einheitlich verwendet, was die Vergleichbarkeit und Verallgemeinerung von Ergebnissen erschwert.
- Zur Evaluierung des taktischen Wissens eignen sich Fragebögen und halbstrukturierte Interviews.
- Für die Bewertung des taktischen Verhaltens werden Testformen in kleinen Spielformen empfohlen.
- In der Vielfalt der Methoden und Tests zur Bewertung taktischer Kompetenzen entsprechen nicht alle dem gleichen wissenschaftlichen Standard.
Abstract
Wissenschaftliche Erkenntnisse bringen den Jugendfußball voran. Kognition, Entscheidungshandeln, Spielintelligenz sind wichtige Themen, die für die Trainingspraxis relevant sind. Doch wie genau wird taktisches Wissen und Können getestet und bewertet? Ein Überblick über den Stand der Forschung zeigt: Die angewendeten Methoden zur Bewertung taktischer Kompetenzen junger Fußballspieler*innen sind noch sehr neu, sprechen nicht die gleiche Sprache, fokussieren auf unterschiedliche Eigenschaften oder Merkmale taktischer Fähigkeiten und erfüllen nicht alle den gleichen Standard. Nur eine Handvoll erweisen sich als valide. Praktiker*innen sollten daher Bewertungsmethoden sorgfältig mit Blick auf die spezifischen Bedürfnisse und Ziele der Spielerbeurteilung sowie der verfügbaren Ressourcen wählen.
Spielen mit Köpfchen
Auf dem Rasen müssen Entscheidungen in Sekundenschnelle getroffen werden. Gleichzeitig müssen Spitzenspieler*innen auch in komplexen Situationen technisch-taktische Bestlösungen finden. Fußball ist eben auch Kopfsache. Taktische Fähigkeiten sind für Nachwuchstalente genauso wichtige Leistungsfaktoren wie für Profis. Wie man das Spielen mit Köpfchen am besten lernt und trainiert, ist eine wichtige Forschungsfrage. Immer mehr Sportwissenschaftler*innen beschäftigen sich mit der Diagnostik und der Schulung von psychologisch-kognitiven und taktisch-technischen Fähigkeiten. Wie aber wird Taktikwissen und taktisches Können am besten gemessen, bewertet und trainiert?
Obwohl die Kognitionsforschung ein relativ junges Thema ist, gibt es inzwischen zahlreiche Methoden und Instrumentarien, um die taktischen Fähigkeiten von jungen Nachwuchstalenten in verschiedenen Situationen zu bewerten und Trends oder Muster ihrer Entscheidungsfindung und ihrer taktischen Handlungsweise zu analysieren. Trainer*innen können solche Tests nutzen, um die taktischen Fähigkeiten ihrer Spieler*innen zu beurteilen, Schwachstellen zu identifizieren und spezifische Bereiche des Spiels zu verbessern. Der Forschung steht dafür ein breites Methoden-Set zur Verfügung: Fragebögen, Interviews, Videoanalysen und Leistungsbeobachtung in standardisierten Spielsituationen. Was für Laien nicht auf den ersten Blick erkenntlich ist: Wie verlässlich sind die Bewertungsmethoden? Erfassen sie tatsächlich, was gemessen werden soll? Liefern sie allgemeingültige, verallgemeinerbare Erkenntnisse?
Übersichtarbeit überprüft die Validität von Bewertungsmethoden
Eine brasilianische Forschungsgruppe ist diesen Fragen nachgegangen. Aus den bislang veröffentlichen Studien zum Thema wurden 24 Forschungsarbeiten aus den Jahren 1997 bis 2020 herangezogen. Die darin insgesamt verwendeten Tests und Bewertungsinstrumente wurden anhand eines Kriterienkatalogs hinsichtlich ihrer Qualität und Glaubwürdigkeit analysiert. Mit interessanten Ergebnissen.
„Taktisches Wissen“ – kein einheitlicher Begriff
Die Auswertung zeigt, dass das das Thema Taktik im Jugendfußball vor allem europäische Forscher interessiert. Die meisten Studien wurden in Spanien und Portugal angestellt, gefolgt von Brasilien. Allerdings besteht in der Literatur erhebliche Unterschiede, was genau „taktisches Wissen“ ist. Einige Studienautoren unterscheiden theoretisches Taktik-Sachwissen oder deklaratives taktisches Wissen von intuitivem, nicht bewusstem Handlungswissen oder prozeduralem taktischen Wissen. Andere verstehen unter „Wissen“ sehr uneinheitliche Konzepte wie zum Beispiel „Spielverständnis“, „taktisches Verständnis“, „taktisches Verhalten“, „Spielleistung“ und „Entscheidungsfindung“.
So wenig wie Forscher*innen die gleiche Sprache sprechen und die gleichen Begrifflichkeiten benutzen, so uneinheitlich ist auch die Operationalisierung oder die Messbarkeit, um abstrakte Konstrukte oder nicht direkt beobachtbare Eigenschaften wie zum Beispiel „Spielintelligenz“ zu messen – und das möglichst nah am realen Spielgeschehen. Die verwendeten Kriterien zur Objektivierung der taktischen Leistung betrafen Entscheidungsfindungen in offensiven und defensiven Spielsituationen (mit und ohne eigenen Ballbesitz des zu bewertenden Spielers) und ließen sich sowohl gruppen- als auch individualtaktischen Verhaltensweisen zuordnen.
Stichproben werden gut beschrieben
Ein wichtiges Kriterium für die Aussagekraft einer Studie ist die Stichprobe. Damit Erkenntnisse einer Studie als übertragbar gelten können, kommt es auf die Auswahl der Teilnehmenden an. Relevant ist nicht nur ihre Größe, also die ausreichende Anzahl von Spieler*innen, sondern auch die Bandbreite des Leistungs- oder Kompetenzniveaus und der Altersgruppen. Oft wird auch mit Kontrollgruppen (z. B. Anfänger oder Ungeübte) gearbeitet, um zum Beispiel auffällige Leistungsunterschiede mit der Erfahrenheit einiger Teilnehmenden mit der Aufgabenstellung erklärbar zu machen. Anforderungen an das Stichprobendesign werden in der Forschungsliteratur zum Thema mehrheitlich erfüllt, stellt die Überblicksstudie fest.
Weitere Gütekriterien für wissenschaftliche Qualität sind Glaubwürdigkeit (Validität) und Zuverlässigkeit (Reliabilität). Methoden zur Bewertung von taktischem Wissen und taktischen Fähigkeiten sind dann valide, wenn sie tatsächlich das messen, was sie messen sollen. Tatsächlich kommen in der Breite der beurteilten Methoden nicht alle an die gleichen Standards heran. Forscher*innen legen zum Beispiel ihr methodisches Vorgehen Expert*innen vor, die als unabhängige Dritte prüfen, ob das Messinstrumentarium alle relevanten Aspekte der zu messenden Eigenschaft oder Fähigkeit angemessen abdeckt. Nur eine Handvoll der eingeschlossenen wissenschaftlichen Arbeiten ziehen dafür die Meinung von Trainer*innen oder die Spielklasse bzw. die erreichte Platzierung heran, stellt die Überblicksstudie fest. Positiv fällt hingegen auf, dass die meisten Studienautoren darum bemüht sind, durch wiederholte Durchführung der Tests sicherzustellen, dass ihre erzielten Ergebnisse konsistent und zuverlässig sind.
Welche Tests sind aussagekräftig?
Viele Studien und Tests werden den Ansprüchen an die wissenschaftliche Qualität nicht gerecht, lautet das Fazit der Überblicksstudie. Praktiker*innen sollten daher Bewertungsmethoden sorgfältig mit Blick auf die spezifischen Bedürfnisse und Ziele der Spielerbeurteilung sowie der verfügbaren Ressourcen wählen. Um taktisches Wissen zu beurteilen, spricht sich die Überblicksstudie für solche Methoden oder Tests aus, die mit Interviews, Fragebögen und Videoanalyse arbeiten. Geht es um die Leistung und das taktische Handeln, sollten Methoden oder Tests mit kleinen Spielen angewandt werden.
Um taktisches Wissen zu bewerten eignen sich folgende Methoden.
TCTOF („Test de Conocimiento Táctico Ofensivo en Fútbol“ [bzw. Offensivtaktischer Wissenstest im Fußball]) [1]: Die Methode bewertet die taktischen Kompetenzen von jugendlichen Fußballspielern, indem sie den spezifischen Spielkontext und die individuellen Entscheidungen und Handlungen des Spielers berücksichtigt.
TACSIS („Tactical Skills Inventory for Sports“) [2]: Die Methode nutzt computergestützte Simulationen, um in spezifischen Spielsituationen die taktische Entscheidungsfindung und Handlungsweise eines Spielers zu analysieren.
- Teilstrukturiertes Interview [3]: Basierend auf einem vorgegebenen Interviewleitfaden bzw. Fragenkatalog, ermöglicht es diese Methode dem Interviewer dennoch, flexibel auf die Antworten des Befragten einzugehen, zusätzliche Informationen zu erfragen und bestimmte Themen genauer zu erkunden.
Um die taktische Leistung oder das Entscheidungshandeln zu beurteilen, eignen sich Test in Form von Kleinfeldspielen.
- TCTP-OE [4, 5]: eine Variante des TCTOF, mit Schwerpunkt auf die beobachtende Analyse.
GPET („Game Performance Evaluation Tool“) [6]: Die Methode zielt darauf ab, die Gesamtleistung eines Fußballspielers während eines Spiels zu analysieren. Es werden sowohl taktische Aspekte wie auch technische Fähigkeiten, körperliche Leistungsfähigkeit und psychologische Merkmale betrachtet.
FUTSAT („Football Tactical Skills Assessment Tool“) [7]: Die Methode nutzt Videoaufnahmen von Spielen oder Trainingseinheiten, um die taktischen Fähigkeiten von Fußballspielern zu bewerten. So können verschiedene taktische Aspekte wie Positionierung, Kommunikation und Spielverständnis strukturiert bewertet werden.
Künftige Forschungsbemühungen und die Weiterentwicklung der Methoden sollten Tests so beschreiben und zur Verfügung stellen, dass sie von Trainern und Forschern angewendet werden können.
Die Inhalte basieren auf der Studie „Scoping review of tests to assess tactical knowledge and tactical performance of young soccer players”, die 2021 im „Journal of Sports Science” veröffentlicht wurde.
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Literatur
- Rechenchosky, L., Menegassi, V. M., Jaime, M. O., Borges, P. H., Sarmento, H., Mancha-Triguero, D., Serra-Olivares, J., & Rinaldi, W. (2021). Scoping review of tests to assess tactical knowledge and tactical performance of young soccer players. Journal of Sports Sciences, 39(18), 2051-2067.Studie lesen
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