Spielanalyse
Gerd Müller – der Strafraumstürmer
Was zeichnete den deutschen Weltklassestürmer aus?
Marius Fischer
Marius Fischer, Redakteur der DFB-Trainerzeitschrift „Fußballtraining“, analysiert Qualitätsmerkmale im internationalen Fußball. Nebenbei ist er als Spielanalyst bei Viborg FF in der dänischen Superliga tätig.
In unserer neuen Serie werfen wir einen Blick in die Vergangenheit und analysieren die besten Teams, Spieler und Trainer der letzten 50 Jahre. In diesem Teil analysieren wir das Spiel von Gerd Müller, dem wohl besten deutschen Stürmer aller Zeiten. Müller, der am 15.08.2021 im Alter von 75 Jahren verstarb, hält noch heute viele deutsche und internationale Torrekorde.
Magische Zahlen
Gerd Müller erzielte in seiner Karriere eine Reihe von Rekorden. Zwei Zahlen blieben dabei besonders in Erinnerung: Die 40 und die 365. 40 Tore erzielte Müller in der Spielzeit 1971/72 – erst knapp 50 Jahre später in der Saison 2020/21 wurde diese Marke von Robert Lewandowski mit 42 Treffern geknackt. Die 365 Bundesliga-Tore insgesamt sind jedoch immer noch unberührt und werden es wohl auch für lange Zeit bleiben – der Zweite in der ewigen Torjägerliste, wiederum Lewandowski, liegt 53 Treffer zurück und spielt seit dieser Saison nicht mehr in der Bundesliga.
Großer Torinstinkt
Am besten konnte Müller seine Stärken im Strafraum ausspielen. Sein hervorragender Torinstinkt brachte ihn immer wieder in die richtige Abschlussposition und ermöglichte ihm viele Treffer aus kurzer Distanz. Diese Positionierungen waren jedoch kein Zufall, sondern Resultat seiner intelligenten Laufwege. Er las die Bewegung seines Gegenspielers und setzte dann im richtigen Moment zu einer Gegenbewegung an, die ihm anschließend genügend Raum für einen Torabschluss gab. Bekannt war Müller für seine Abschlüsse aus der Drehung heraus. Während sich viele Stürmer in diesen Situationen schwertun, den Schuss temporeich und platziert auszuführen, machte sich Müller seinen niedrigen Körperschwerpunkt zunutze und schoss die Bälle regelmäßig unhaltbar in die Ecke.
Hoeneß passt in den Strafraum zu Müller, der den Ball mit dem Rücken zum Tor annimmt.
Müller schießt aus der Drehung platziert ins rechte Eck.
Der rechte Mittelfeldspieler (RM) flankt in den Strafraum.
Der zentrale Mittelfeldspieler (ZM) köpft den Ball an den Fünfmeterraum. Müller antizipiert die Flugbahn des Balles ...
... und köpft aus kurzer Distanz ins Tor.
Tore mit allen Körperteilen
Neben seiner Positionierung war es auch die Art und Weise der Torerzielung, die Gerd Müller so besonders machte. Er traf mit sämtlichen Körperteilen aus den schwierigsten Lagen – oft akrobatisch. Was häufig glücklich und zufällig erschien, resultierte in Wirklichkeit aus Müllers hoher Qualität, die Flugbahn des Balles einschätzen und seinen Körper dementsprechend ausrichten zu können. So wusste er ganz genau, wann er den Kopf, den Fuß, die Hacke oder auch mal den Po für einen Torabschluss nutzen musste.
Unterschätzt im Kombinationsspiel
H äufig wird Gerd Müller nur auf seine Tore reduziert, dabei war er ein durchaus kompletter und moderner Stürmer, der keinesfalls nur am gegnerischen Strafraum auf Zuspiele wartete. So ließ er sich im Spielaufbau gerne fallen und nahm am Kombinationsspiel teil. Dabei agierte er vor allem als Wandspieler, der durch seine Laufwege Räume für Mitspieler öffnete und diese dann mit einfachen Pässen bediente, bevor er selber anschließend wieder mit Tempo in Richtung Tor startete. Trotz seiner eher geringen Körpergröße beherrschte er das Spiel mit dem Rücken zum Gegner sehr gut und setzte seinen robusten Körper effizient ein.
Der zentrale Mittelfeldspieler (ZM) passt nach einem Ballgewinn zu Müller.
Hoeneß startet einen Tiefenlauf und wird von Müller per Schnittstellenpass angespielt.
Hoeneß' Schuss wird vom Torhüter jedoch pariert.
Breitner passt in der Zentrumsspur ...
... zu Müller, der den Ball mit dem Rücken zum Gegner in die linke Außenspur weiterleitet und anschließend einen Tiefenlauf nach vorne startet.
Hohes Laufpensum
Im Spiel gegen den Ball war sich Gerd Müller nicht zu schade, weite Wege zu laufen. Er hatte ein sehr gutes Gespür für gefährliche Räume und ließ sich daher immer wieder mit in den Defensivverbund fallen und agierte als vorderster Pressingspieler. Ließ er sich ins Mittelfeld zurückfallen und verlor seine Mannschaft anschließend den Ball, agierte er auch in diesen Situationen sehr defensivstark und half mit, den Ball schnell wieder zurückzugewinnen.
Fazit
Seine Rekorde und Erfolge stehen in erster Linie in Verbindung mit seinen Toren. Doch Gerd Müller war darüber hinaus ein sehr kompletter und moderner Stürmer, der sowohl im Kombinationsspiel als auch in der Defensivarbeit sehr mannschaftsdienlich agierte. Sein Torinstinkt und seine Fähigkeit im Spiel mit dem Rücken zum Tor gelten bis heute als unerreicht und werden von vielen Trainer*innen als Paradebeispiel für ein modernes Stürmerspiel aufgeführt.