Spielanalyse
Girona FC – keine Eintagsfliege
Wie nachhaltig ist der Erfolg des kleinen Vereins aus Katalonien?
Marius Fischer
Marius Fischer, Redakteur der DFB-Trainerzeitschrift „Fußballtraining“, analysiert Qualitätsmerkmale im internationalen Fußball. Nebenbei ist er als Spielanalyst bei Viborg FF in der dänischen Superliga tätig.
Zum Abschluss des 16. Spieltags kommt es am Sonntagabend (10.12.23) zum unerwarteten Topspiel in La Liga: Dritter gegen Zweiter. FC Barcelona gegen Girona FC. Die Rot-Weißen, erst vor zwei Jahren aufgestiegen, spielen eine überragende Saison und liegen mit 38 Punkten punktgleich einen Platz hinter Real Madrid. Wie lange können sie dieses Niveau noch halten?
Verdienter zweiter Platz
Überraschungsteams in den vorderen Plätzen gibt es immer mal wieder. Ein guter Saisonstart und ein daraus enstandenes Momentum können in Kombination mit dem nötigen Spielglück kurzzeitig für eine Überperformance von kleineren Vereinen sorgen. Daten zeigen jedoch, dass hinter Gironas Erfolg mehr steckt: Expected Goals, Ballbesitz, kreierte Großchancen – alles Werte, die in der Regel von den großen Teams dominiert werden. Nicht so in La Liga: Girona kommt im Schnitt auf 59% Ballbesitz und liegt in fast allen relevanten Offensivmetriken auf einem der ersten drei Plätze und spielt dabei einen attraktiven, begeisternden Fußball – obwohl die Mannschaft vor der Saison fünf Schlüsselspieler verloren hat und vom Kaderwert her nur im Mittelfeld der Liga rangiert.
Grundstruktur
Girona startete mit einem nominellen 4-1-4-1 in die Saison, wechselte nach der ersten und bisher einzigen Niederlage am achten Spieltag gegen Real Madrid jedoch zu einem 3-4-3 und blieb seitdem bei dieser Grundordnung. Dabei agieren sie sehr flexibel: Der nominelle linke Flügelverteidiger Miguel Gutiérrez rückt ins Zentrum – jedoch nicht nur als zusätzlicher "Sechser", sondern häufig sogar in eine noch offensivere Zehnerposition. Dadurch ergeben sich für die Gegner Probleme in der Zuteilung, die Girona durch schnelles, zielstrebiges Passspiel ausnutzt. Ziel dabei ist es, den Gegner auf eine Seite zu locken und anschließend durch eine Verlagerung die dribbelstarken Außenstürmer in 1-gegen-1-Situationen zu bringen.
Lopéz passt zu García.
García passt in die rechte Halbspur auf den entgegenkommenden Martín.
Martín dreht sich mit der Ballannahme und spielt einen diagonalen Flugball in die linke Außenspur auf ...
Savío, der sich in einer vielversprechenden 1-gegen-1-Situation befindet.
Lopéz passt zu García.
Der linke Flügelverteidiger Miguel startet aus seiner eingerückten Position heraus einen Tiefenlauf. García spielt einen Flugball hinter die Abwehrkette, ...
... wo der völlig freie Miguel nur knapp verpasst.
Zielstrebiges Offensivspiel
Im letzten Drittel agiert Girona mit sehr vielen Tiefenläufen. Immer wieder versuchen sie, in der Halb- oder Außenspur durchzubrechen, um anschließend mit Flanken oder flachen Rückpässen zu einfachen Torabschlüssen zu kommen. Hat Girona das Pressing erstmal überspielt, sind sie sehr direkt und progressiv in ihrem Passspiel. Trotz der hohen Ballbesitzzahl wird der Ball nämlich nur selten unnötig lange zirkuliert und offene Passwege sofort genutzt. Girona spielt die zweitmeisten progressiven Pässe in Relation zur Anzahl der Gesamtpässe.
Herrera spielt einen Doppelpass mit García und befindet sich anschließend in einer Überzahlsituation mit Tsygankov wieder.
Tsygankov startet einen Tiefenlauf hinter die Abwehrkette, wird von Herrera angespielt ...
... und passt flach in den Rückraum auf Dovbyk, der ein Tor erzielt.
Lopéz passt in die linke Außenspur auf Savío. Miguel startet einen Tiefenlauf.
Savío passt in den Lauf von Miguel, ...
... läuft selber in die Tiefe und wird von Miguel wiederum angespielt.
Savío passt flach zu Tsygankov, der anschließend ein Tor erzielt.
Aggressives Pressing
Girona presst zumeist hoch und intensiv, wartet dabei jedoch erst auf einen Pressingtrigger und läuft nicht ununterbrochen an. Der linke Flügelverteidiger Miguel schiebt gegen den Ball wieder zurück in die Fünferkette, verteidigt von dort aus jedoch aggressiv nach vorne. Grundsätzlich versucht Girona, den Gegner in die Außenspur zu lenken, um ihn dort zu isolieren und zu Ballverlusten zu zwingen. Wird der Ball erobert, wird schnell nach außen auf die dribbelstarken Flügelspieler gepasst.
Der gegnerische ZM passt zum RV. Dieser wird sofort von Miguel unter Druck gesetzt und zum Rückpass gezwungen.
Mit dem Rückpass und zwei weiteren Verlagerungspässen rücken Dovbyk und Martín auf und erhöhen den Druck, ...
... sodass der Gegner von Martín zu einem ungenauen Flugball gezwungen wird.
Meisterschaftsanwärter?
Wie bereits im Eingangstext erwähnt, sind kurzzeitige Überraschungen an der Tabellenspitze keine Seltenheit. Girona wird fast wöchentlich der Einbruch prophezeit – doch selbst die deutliche Niederlage gegen Real Madrid und Rückstände in den Spielen danach konnten die Mannschaft nicht aus dem Konzept bringen. Obwohl die Daten auf keinen plötzlichen Einbruch Gironas schließen lassen, wird abzuwarten sein, wie das Team sich an die neue "Favoritenrolle" anpasst. Denn bereits in den vergangenen Spielen hat sich abgezeichnet, dass Gegner Girona mittlerweile nicht mehr unterschätzen und der Überraschungseffekt verflogen ist – und gegen tiefstehende Gegner tut sich Girona etwas schwerer.