Spielanalyse
FC Nordsjaelland – die jungen Wilden
Wie den Dänen der Spagat zwischen Talententwicklung und Erfolg gelingt.
Marius Fischer
Marius Fischer, Redakteur der DFB-Trainerzeitschrift „Fußballtraining“, analysiert Qualitätsmerkmale im internationalen Fußball. Nebenbei ist er als Spielanalyst bei Viborg FF in der dänischen Superliga tätig.
Der FC Nordsjaelland stellt mit einem Altersdurchschnitt von 22.1 Jahren den jüngsten Kader der Liga und spielte dennoch in der vergangenen Saison bis zum Ende um die dänische Meisterschaft mit.
Right to Dream Akademie
2016 wurde der FC Nordsjaelland von den Eigentümern der Right to Dream Akademie in Ghana übernommen. Seitdem hilft der Verein vor Ort bei der Ausbildung der größten Talente des Landes, die er anschließend in den eigenen Kader integriert, weiterentwickelt und im besten Fall an eine europäische Topliga weiterverkauft. Im Trainerteam befindet sich unter anderem Michael Essien, einer der besten ghanaischen Fußballer aller Zeiten. Mohamed Kudus (Ajax Amsterdam), Kamaldeen Sulemana (FC Southampton) oder Simon Adingra (Brighton & Hove Albion) sind einige erfolgreiche Beispiele dieses Systems. Wir zeigen, wie es der Verein aus dem Norden Kopenhagens trotz dieses Ausbildungsfokus schafft, attraktiven und erfolgreichen Fußball zu spielen.
Attraktives Offensivspiel
Im Ballbesitz agiert Nordsjaelland sehr geduldig und wartet auf offene Räume. Es wird konsequent flach von hinten aufgebaut. Damit das permanent gelingt, positionieren sich die Außenverteidiger im 4-3-3 System zumeist sehr flach und sorgen mit den zwei Innenverteidigern und tiefstehenden zentralen Mittelfeldspielern für einen 4-2-Aufbau. Lässt sich situativ auch noch der eigentlich höherstehende Zehner fallen, baut Nordsjaelland mit sechs bis sieben Spielern auf – eine zumeist deutliche Überzahl gegenüber dem gegnerischen Pressing, die sie gerne mit langen Passstaffetten ausnutzen. Sobald der Gegner jedoch einmal nicht korrekt verschiebt oder einen Passweg in die Tiefe offen lässt, erhöht Nordsjaelland sofort das Tempo und spielt zielstrebig in die Offensive. Dafür lässt sich oft der Mittelstürmer in den Halbraum fallen und setzt von dort aus die schnellen Flügelstürmer in Szene.
1-gegen-1-Duelle
Wenn die erste Pressinglinie überspielt wurde, landet der Ball schnell in der Außenspur – Nordsjaelland sucht immer wieder 1-gegen-1-Duelle ihrer talentierten Flügelspieler. Ibrahim Osman und vor allem Ernest Nuamah sind in diesen Duellen häufig nicht zu verteidigen, so dass der Gegner mit einem weiteren Spieler doppeln muss. Der dadurch entstehende Raum wird von den zentralen Mittelfeldspielern und den offensiven Außenverteidigern angelaufen. Besonders der als Zehner agierende Mohammed Diomande zeigt dabei ein sehr gutes Timing bei Tiefenläufen hinter die gegnerische Abwehr und nimmt dadurch sehr häufig die Rolle des "freien Spielers" an.
Variable Pressinghöhe
Gegen den Ball agiert Nordsjaelland im klassischen 4-3-3 und weicht nur selten von dieser Grundordnung ab. Variabel ist jedoch die Pressinghöhe. Während sie vor allem zu Beginn der vergangenen Saison häufig sehr hoch pressten und den gegnerischen Abstoß permanent zustellten, agieren sie mittlerweile etwas flexibler und lassen sich auch gerne in ein tieferes Mittelfeld- oder sogar Abwehrpressing fallen. In allen Varianten ist Nordsjaelland gut darin, Pässe abzufangen und Passwege zuzustellen. Dabei nehmen die Flügelstürmer zumeist eine aktivere Rolle ein und pressen die gegnerischen Innenverteidiger, während der Mittelstürmer das Zentrum schließt. Die kopfballstarke Innenverteidigung um Routinier Kian Hansen und dem jungen Adamo Nagalo sorgt darüber hinaus für die nötige Präsenz in der Luft bei hohen Hereingaben.
Schnelles Umschaltspiel
Trotz des Ballbesitzfokus zeigt sich Nordsjaelland auch im Umschaltspiel und bei schnellen Kontern sehr gefährlich. Hierbei spielen wiederum die schnellen Flügelstürmer eine entscheidende Rolle: Werden sie nach einem Ballgewinn angespielt, setzen sie sofort zum Tempodribbling an und attackieren die gegnerische Abwehrkette. So hat der Gegner in der Restverteidigung nur wenig Zeit, sich zu orientieren und kann nur selten zusätzliche Spieler hinter den Ball bringen. Im letzten Drittel nutzt Nordsjaelland in diesen Situationen häufig Cutbacks auf die Stürmer, um einfache Tore zu erzielen. Mit dem erfahrenen Marcus Ingvartsen, der vom FSV Mainz 05 verpflichtet wurde, befindet sich seit dieser Saison ein in diesen Situationen sehr abschlussstarker und cleverer Stürmer. Besonders mit dem Ghanaer Ernest Nuamah verfügt Nordsjaelland jedoch auch über einen Unterschiedsspieler, der Konterangriffe durch seine Dribblingstärke und den präzisen Torschuss im Alleingang abschließen kann.
Ausblick
Nach dem Ausreißer nach unten in der Saison 2021/2022 gehört der FC Nordsjaelland aktuell wieder zu den Topteams in Dänemark. Mit den Transfers von Ingvartsen und dem 30-jährigen Jeppe Tverskov hat der Verein zudem ein Signal an den Rest der Liga gesetzt, dass auch der kurzfristige Erfolg neben der Talententwicklung weiterhin im Fokus steht und die Startelf nicht ausschließlich aus U21 Spielern bestehen soll. Schafft es Nordsjaelland weiterhin, pro Saison ein bis zwei neue Toptalente aus der Right to Dream Akademie zu rekrutieren, werden sie auch kommende Abgänge von Topspielern wie Nuamah oder Nagalo kompensieren und womöglich erneut um die Meisterschaft mitspielen können.