Spielanalyse
Mit Mut und Entschlossenheit den Raum verteidigen
Torgefährliche Räume frühzeitig erkennen und Hereingaben entschärfen!
Die Raumverteidigung durch die Torhüterinnen ist von entscheidender Bedeutung, um gegnerische Angriffe frühzeitig zu unterbinden und das eigene Tor zu schützen. Durch ihre Bereitschaft im Raum zu agieren, können sie torgefährliche Situationen frühzeitig entschärfen und somit den Verlauf eines Spiels maßgeblich beeinflussen.
Vielfältige Anforderungen
In der Raumverteidigung hat die Torhüterin die Aufgabe, gegnerische Angriffe abzuwehren, bevor eine direkte Gefahr für das eigene Tor entsteht. Dabei geht es vor allem um Flanken und flache Hereingaben von der Seite sowie um Steilpässe aus dem zentralen Bereich aus verschiedenen Distanzen. Im Gegensatz zur Zielverteidigung, bei der die Torhüterin „passiv“ auf den Schuss wartet, übernimmt sie hier eine aktive Rolle, indem sie entscheidet, ob sie in der jeweiligen Situation eingreifen sollte oder nicht.
Flanken und Hereingaben
Bei der EURO wurden viele Gegentore durch Zuspiele von außen vorbereitet (28%). Durch Mut und eine hohe Bereitschaft, im Raum zu agieren, kann die Torhüterin Chancen bereits in der Entstehung unterbinden. Entscheidend ist ihre Positionierung vor dem Tor in Bezug auf die Ballposition und die Besetzung des Strafraums durch einlaufende Verteidigerinnen und Stürmerinnen. Dadurch kann sie ihren Wirkungsradius vergrößern und hat die Möglichkeit, den Ball präventiv zu verteidigen. Eine offensive Positionierung der Torhüterin im Raum kann zudem die Möglichkeiten der Flankengeberin beeinflussen.
Querpassverteidigung
In den letzten Jahren hat die Querpassverteidigung als Teil der Raumverteidigung immer mehr an Bedeutung gewonnen. Die EM hat gezeigt, dass eine Mannschaft bei Querpassaktionen nur im Kollektiv erfolgreich sein kann, indem das Verhalten der Torhüterin mit den Abwehrspielerinnen abgestimmt ist. Anders als bei der EURO 2021 der Männer (18%) fielen bei dieser EURO nur rund 13 Prozent der Gegentore nach einem Pass aus den beiden Querpasszonen, die sich in der Zone 1 zwischen der Linie des Fünf-Meter-Raums und der Grundlinie erstrecken.
Der Wirkungsbereich
Im Rahmen des Ausbildungsschwerpunkts "Raumverteidigung von hohen Flanken aus dem Spiel" wird versucht, den potenziellen Zugriff der Torhüterin im Raum mit einem Wirkungsbereich darzustellen. Dazu wurden drei Bereiche definiert, die von der Startposition der Torhüterin, ihrem Mut, ihrer Athletik (Geschwindigkeit und Sprunghöhe), ihrer Körpergröße und der Strafraumbesetzung des Gegners abhängen, sowie von der Flankenhöhe und -geschwindigkeit. Die Bereiche beschreiben, wie viel Verantwortung eine Torhüterin im Raum übernehmen kann, abhängig von ihren individuellen Eigenschaften.
Der körpernahe Bereich (grün) umfasst Flanken, die ohne Gegnerdruck mit drei Schritten erreichbar sind, und für die die Torhüterin im Raum Verantwortung übernimmt. Der körperferne Bereich (gelb) umfasst Flanken, bei denen sich Torhüterinnen zutrauen, diese im Raum zu verteidigen oder abzufangen, und in denen sie Verantwortung übernehmen sollten, um ihre Mannschaft zu unterstützen. Im Bonusbereich (rot) können Torhüterinnen Verantwortung übernehmen, wenn die Situation es zulässt. Dies sind Flanken, die mit einem höheren Risiko abgefangen oder aus der Gefahrenzone gefaustet bzw. gelenkt werden können.
Daher sollten sich Torhüterinnen mutig positionieren, um ...
- ... die Flankengeberin unter Präzisionsdruck zu setzen.
- ... ihren Wirkungsbereich zu vergrößern.
- ... die Wahrscheinlichkeit zu steigern, im Raum agieren zu können.
Qualitative Szenenanalyse
Bei der Untersuchung von Raumverteidigungsaktionen durch Torhüterinnen wurden keine signifikanten statistischen Häufungen festgestellt, die auf taktisches oder technisches Fehlverhalten hinweisen. Daher wurden die RV-Aktionen qualitativ geclustert, um weitere Erkenntnisse zu gewinnen. Dabei wurde festgestellt, dass Torhüterinnen ihren Wirkungsbereich durch fehlende Vororientierung (= Scannen) und somit verpasste Positionsanpassungen nicht optimal ausgenutzt haben (siehe 'Negativ-Beispiel' unten). Um optimal im Raum wirken zu können, müssen Torhüterinnen ihre Position anhand des Ballortes und der torgefährlichen Spielerinnen im Zentrum optimieren. Trotz dieser fehlenden optimalen Positionierung, zeigten jedoch einige Torhüterinnen eine hohe Bereitschaft, im Raum aktiv zu sein, was positiv zu bewerten ist.
Nach einer geklärten Flanke landet der Ball in der Außenspur, wo die gegnerische Außenstürmerin (AS) den Ball sichert und zur Grundlinie dribbelt. Die Torhüterin (TH) beobachtet die Situation, hat jedoch weder für das Zentrum (Golden Zone) ...
... noch für den hinteren Torbereich, wo die ballferne AS freisteht, einen Blick. Aufgrund der fehlenden Vororientierung passt sie ihre Position nicht zur Mitte an (roter Pfeil), ...
... wodurch sie die Flanke nicht angreifen kann und somit im Raum keine Wirkung zeigt.
Der Ball wird etwa 3 Meter vor ihr Tor geflankt. Aufgrund der fehlenden vorherigen Positionierung kann die TH nur noch auf einen möglichen Schuss reagieren. Letztlich gewinnt ihre Abwehrspielerin das Luftduell und kann die Situation so entschärfen.
Gegnerischer Eckball: Die Torhüterin (TH) nimmt eine offene Positionierung ein und zeigt damit ihre Bereitschaft im Raum agieren zu wollen. Die zentrale Mittelfeldspielerin (ZM) flankt den Ball in den Strafraum. Die TH erkennt frühzeitig, dass kein Eingreifen im Raum möglich ist, weshalb sie sich nach hinten absetzt, um auf eine mögliche Zielverteidigungsaktion vorbereitet zu sein.
Die Hereingabe wird von ihrer Verteidigerin nach außen geklärt. Daraufhin passt sie umgehend ihre Position an, ...
... blickt sich um („scannt“) und coacht ihre Mitspielerinnen. Aufgrund ihrer Vororientierung erkennt die TH auch die freistehende ballferne Außenstürmerin (AS). Währenddessen erläuft die gegnerische Stürmerin (ST) den Ball und passt zurück zur Außenverteidigerin (AV).
Im Moment der Ballabgabe (Standbein der Angreiferin setzt) steht die TH in ihrer Grundstellung und hat eine mutige und offene Lauerstellung eingenommen, wodurch sie einen hohen Wirkungsradius (roter Kreis) und eine hohe Präsenz im Raum hat. Dies ermöglicht ihr, die anschließende Flanke auf die AS ...
... aktiv und entschlossen zu verteidigen. Mit einem technisch sauberen Bewegungsablauf und der Hilfe ihrer Verteidigerinnen, die die Laufwege der Gegnerinnen blocken, kann sie die Hereingabe souverän abfangen.
Die gegnerische äußere Mittelfeldspielerin (AMF) dribbelt entlang der Seitenlinie. Frohms nimmt die Situation wahr und scannt bereits das Zentrum.
Anhand der torgefährlichen Angreiferinnen sowie des Ballortes, passt Frohms ihre Position leicht an ...
... und nimmt eine Lauerstellung ein. Dadurch hat sie einen großen Wirkungsradius sowie eine gute Präsenz im Raum. Anschließend flankt die AMF den Ball in den Strafraum.
Frohms schätzt die Flugbahn des Balles ein und trifft die Entscheidung im Raum zu agieren.
Mit Mut und Entschlossenheit zieht Frohms die Entscheidung zum Eingreifen im Raum durch. In Kombination mit einem technisch passenden Ablauf kann Frohms die Hereingabe erfolgreich verteidigen und die Situation entschärfen.
Erkenntnisse für die Ausbildung
- Frühzeitig vororientieren und den torgefährlichen Raum scannen, um stets die Schlüsselmomente einer Spielsituation zu identifizieren (aus diesen ergibt sich ein „Big Picture“ für die Torhüterin).
- Optimieren des Wirkungsbereiches durch Positionierung anhand des Ballortes und der torgefährlichen Angreiferinnen.
- Neben der Wahl der Position im Raum ist die Bereitschaft, dort auch agieren zu wollen, von großer Bedeutung.
- Bei der Entscheidung zum Eingreifen im Raum muss die Torhüterin mutig und entschlossen handeln.
- Selbstverständnis entwickeln: Die Torhüterin kann den Spielverlauf mit ihrem eigenen Wirken positiv beeinflussen.