Spielanalyse

Der FC Liverpool unter Arne Slot

Wie der neue Trainer seinen Stil auf Klopps Fundament aufgebaut hat.

  1. Marius Fischer

    Marius Fischer, Redakteur der DFB-Trainerzeitschrift „Fußballtraining“, analysiert Qualitätsmerkmale im internationalen Fußball. Nebenbei ist er als Spielanalyst bei Viborg FF in der dänischen Superliga tätig.

Die Ära Jürgen Klopp ging im Sommer nach neun Jahren zu Ende: Acht Titel, darunter die Champions League und der erste Gewinn der Premier League seit 1990 - sein Nachfolger Arne Slot trat zu Saisonbeginn in große Fußstapfen. Der niederländische Trainer steht vor dem Spagat, die von Klopp geschaffene erfolgreiche Basis zu erhalten und die Mannschaft spielerisch weiterzuentwickeln. Bisher ist ihm das gelungen: Mit sechs Siegen aus sieben Ligaspielen ist der Saisonstart geglückt.

Moderate Veränderungen

Trotz des großen Umbruchs auf der Trainerbank verlief der Transfersommer der Reds sehr ruhig. Mit Federico Chiesa und Giorgi Mamardashvili (ab 2025) verpflichtete Liverpool lediglich zwei neue Spieler. Auch nennenswerte Abgänge waren nicht zu beklagen, so dass Arne Slot im Wesentlichen den von Jürgen Klopp zusammengestellten Kader übernommen hat. Diese Kontinuität spiegelt sich in den Daten der ersten Saisonwochen wider: Der Ballbesitz (von 60 Prozent auf 58) und die Anzahl Pässe pro 90 Minuten (von 506 auf 498) haben sich nur marginal verändert, auch der PPDA-Wert von 8,60 (Pässe pro Defensivaktion) ist weitgehend gleich geblieben. Schaut man sich jedoch das Pressing und vor allem den Spielaufbau von Liverpool genauer an, so erkennt man kleine Anpassungen von Arne Slot, die im Folgenden näher betrachtet werden sollen.

Flexibilität und Kontrolle

Im tiefen Spielaufbau gegen hohes Pressing und bei Abstößen setzt Slot auf viel Spielkontrolle und Geduld. Dabei zeigt er sich in der Grundstruktur durchaus flexibel: Vor allem die Außenverteidiger sind variabel in ihren Positionierungen und passen sich häufig an das Pressing des Gegners an. So wechselt Liverpool immer wieder zwischen einem Drei- und Vierpunkt-Aufbau. Ein Prinzip bleibt dabei unabhängig von der Struktur gleich: Der Gegner soll durch geduldige Ballzirkulation im eigenen Drittel gelockt werden, um anschließend den Raum in der Tiefe bespielen zu können. Eine Schlüsselrolle spielen dabei die beiden Sechser. Ihre Positionierungen provozieren das gegnerische Pressing und öffnen Räume für ein schnelles Vertikalspiel. Die folgende Heatmap der Ballkontakte im Spielaufbau zeigt, dass unter Slot ein Anstieg an Pässen im eigenen Strafraum stattgefunden hat – ein Indiz für den geduldigen, lockenden Stil. 

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    1. Alisson passt auf den entgegenkommenden Gravenberch, der klatschen lässt. Mac Allister öffnet durch seine Positionierung Raum in der Tiefe.

    2. Alisson spielt einen Chipball auf Szoboszlai. Gravenberch startet in die Tiefe ...

    3. ... und wird von Szoboszlai per Kopf angespielt.

    1. Liverpool baut vom Torhüter aus in einer 4-2 Struktur auf. Kelleher passt zu Konaté.

    2. Liverpool nutzt sieben Spieler im eigenen Drittel. Den dadurch entstehenden Raum nutzt Konaté für einen langen Ball auf Salah, ...

    3. ... der einen Doppelpass mit Nunéz spielt ...

    4. ... und nach kurzem Dribbling zum Abschluss kommt.

    1. Alisson passt unter Druck zu Mac Allister, der auf Konaté klatschen lässt.

    2. Konaté passt in die ballferne Halbspur zu Jota, ...

    3. ... der in die Außenspur auf Díaz weiterleitet. Díaz befindet sich in einer gefährlichen 1-gegen-1-Situation.

Tiefenläufe und 1-gegen-1-Situationen

Im höheren Spielaufbau agiert Liverpool mit vielen Positionsrochaden und Tiefenläufen. Die Stürmer lassen sich hierbei häufig in die Halbspuren fallen, um dort für einen Tiefenpass anspielbar zu sein und anschließend das Spiel in den freien Raum zu beschleunigen. Ziel ist es, entweder bis zur Grundlinie durchzustoßen und von dort aus mit flachen Hereingaben aus der Assistzone in die goldene Zone zu gelangen, um einfache Tore zu erzielen oder die schnellen und dribbelstarken Flügelspieler in 1-gegen-1-Situationen zu bringen. Dieser Ansatz spiegelt sich auch in den Daten wider: In der vergangenen Saison erspielte sich der FC Liverpool weniger offensive 1-gegen-1-Duelle als bisher in dieser Spielzeit. Besonders Starspieler Mohamed Salah sticht dabei mit schon vier Toren und vier Vorlagen in sieben Spielen heraus.

    1. Van Dijk passt auf den entgegenkommenden Jota, ...

    2. ... der aufdreht, mit Tempo in den freien Raum dribbelt und in die Außenspur auf Salah spielt, ...

    3. ... der ins Zentrum dribbelt und den Ball ins Tor schlenzt.

    1. Außenverteidiger Tsimikas lässt sich fallen, so dass Liverpool mit drei Spielern aufbaut. Jota lässt sich in den Halbraum fallen.

    2. Tsimikas passt zu Jota, ...

    3. ... der in die Außenspur auf Gakpo weiterleitet.

    4. Gakpo befindet sich in einer vielversprechenden 1-gegen-1-Situation und kann andribbeln.

    1. Konaté passt zu Van Dijk, ...

    2. ... der auf Tsimikas weiterleitet. Tsimikas passt in die Außenspur zu Gakpo. Mac Allister startet einen Tiefenlauf ...

    3. ... und wird von Gakpo im Strafraum angespielt.

Kontrolliertes Chaos

Klopp hat in seinen neun Jahren in Liverpool eine Identität des Pressings und Gegenpressings implementiert. Diese führt Arne Slot in ähnlicher Weise fort. Gegen den Ball gleichen sich die taktischen Ansichten beider Trainer: Auch Slot will seine Mannschaft so oft wie möglich im hohen Angriffspressing sehen und den Ball nach Verlust so schnell wie möglich zurückerobern. In den bisherigen Spielen wirkt sein Ansatz aber etwas weniger "chaotisch". Liverpool läuft nicht jeden Pass intensiv an, sondern presst zumeist aus einer geordneten Grundstruktur heraus. In diesem 4-2-4 müssen vor allem die beiden zentralen Mittelfeldspieler sehr viel laufen und immer wieder die Halbräume schließen. Gelingt dies, kann Liverpool in vorderster Linie einen hohen Druck erzeugen und den Gegner zu Ballverlusten zwingen. Die Anzahl der hohen Balleroberungen ist im Vergleich zur vergangenen Saison leicht angestiegen. Gewinnen sie den Ball, wird überfallartig umgeschaltet und der schnelle Torabschluss gesucht.

    1. Liverpool verteidigt in einer 4-2-4-Struktur. Jota läuft mit dem Pass den Innenverteidiger an.

    2. Dieser dribbelt unter Druck nach außen und wird von Díaz zusätzlich angelaufen.

    3. Dadurch forciert Liverpool einen Fehlpass unter Druck.

    1. Liverpool verteidigt in einer 4-2-4-Struktur. Szoboszlai läuft den ersten Innenverteidiger an. Mit dessen Pass startet Díaz sein Pressing.

    2. Der gegnerische IV wird zum Rückpass gezwungen. Szoboszlai läuft dem Pass hinterher ...

    3. ... und zwingt den Torhüter zu einem ungenauen Chippass in die Außenspur, der von Mac Allister zusätzlich zugelaufen wird.

Ausblick

Der Druck und die Fußstapfen, in die Arne Slot getreten ist, waren groß. Doch bisher hat der 46-Jährige geliefert: Tabellenführer in der Premier League und nur eines von sieben Teams mit perfekter Ausbeute nach zwei Spieltagen in der Champions League. Gegen den Ball agiert Liverpool mit derselben Intensität und Aggressivität, die sie in den vergangenen Jahren unter Klopp bereits ausgezeichnet haben. Im Ballbesitz hat Slot bisher eine geduldigere Ballzirkulation und ein flexibleres Aufbauspiel eingeführt.

Du gewinnst Spiele nicht mit Taktik, sondern mit harter Arbeit.
Arne SlotTrainer des FC Liverpool
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