Spielanalyse
S.S. Lazio – auf dem Weg zum Topteam?
Schafft Lazio unter Maurizio Sarri dauerhaft den Sprung zurück in die italienische Elite?
Marius Fischer
Marius Fischer, Redakteur der DFB-Trainerzeitschrift „Fußballtraining“, analysiert Qualitätsmerkmale im internationalen Fußball. Nebenbei ist er als Spielanalyst bei Viborg FF in der dänischen Superliga tätig.
Lazio Rom beendete die vergangene Saison auf dem zweiten Tabellenplatz – die beste Platzierung seit dem Gewinn der Meisterschaft im Jahr 2000. Wir schauen uns die Stärken des Teams von Maurizio Sarri an, gehen aber auch auf mögiche Gründe für den bisher durchwachsenen Saisonstart ein.
Eine klare Spielidee
Nach zwei Auslandsaufenthalten bei Juventus Turin und Chelsea kehrte Maurizio Sarri vor der Saison 22/23 nach Italien zurück. Der 64-Jährige verfolgt eine sehr klare Spielidee, die in der Grundformation auf einem klassischen 4-3-3 beruht. Viele Pässe, ein flacher Spielaufbau und eine offensive Spielweise – diese Elemente brachte Sarri auch zu Lazio mit und verhalf ihnen damit in der vergangenen Saison zur Vizemeisterschaft. In dieser Saison blieben die Biancocelesti bislang jedoch hinter ihren Erwartungen zurück und belegen aktuell nur den 13. Tabellenplatz nach acht Spielen.
Spiel über den Dritten
Im Aufbau sucht Lazio fast immer spielerische, flache Lösungen im 4-3-3. Dabei stehen die Außenverteidiger zumeist etwas flacher und bilden mit den beiden Innenverteidigern und einem fallenden Sechser/Achter eine 4-1-Aufbaustruktur. Die anderen beiden zentralen Mittelfeldspieler stehen grundsätzlich etwas höher im Halbraum – lassen sich bei Bedarf (sehr intensives gegnerisches Angriffspressing) jedoch ebenfalls fallen, um eine zusätzliche Anspielstation im Spielaufbau zu bieten. In dieser Struktur versucht Lazio, im Idealfall über Steil-Klatsch-Aktionen und im Spiel über den Dritten, einen freien Mann im Zentrum zu finden und anschließend in die Außenspur in eine 1-gegen-1-Situation zu verlagern.
Lazio befindet sich in einer 4-1 Aufbaustruktur. Povedel passt zu Romagnoli.
Romagnoli spielt einen linienbrechenden Pass zu Rovella.
Im Spiel über den Dritten kombiniert sich Lazio zu Guendouzi vor, ...
... der mit Tempo in den freien Raum andribbeln kann.
Provedel spielt einen Chipball in den linken Halbraum. Rovella öffnet diesen zusätzlich durch sein Entgegenkommen.
Zaccagni dribbelt mit der Ballannahme in die Zentrumsspur und passt in die rechte Außenspur in den Lauf von Felipe Anderson.
Felipe Anderson passt flach vors Tor zu Castellanos, der aus kurzer DIstanz ins Tor schießt.
Lenkendes Pressing
Gegen den Ball agiert Lazio häufig im Mittelfeldpressing in einer 4-5-1-Struktur. Wird das Pressing durch einen Triggerball (oft Pass von einem gegnerischen Innenverteidiger zum anderen) ausgelöst, sticht einer der Achter aus der Grundordnung heraus und läuft an. Dadurch ergibt sich situativ ein 4-4-2 mit zwei flachen Außenstürmern, die sich ins Mittelfeld fallen lassen. Mit 13.74 hat Lazio den zweithöchsten PPDA-Wert (Anzahl an erlaubten Pässen, bis es zu einer Defensivaktion kommt) – die Mannschaft geht selten auf den direkten Ballgewinn, sondern versucht, den Gegner eher in die Außenspur zu lenken und dort zu Fehlern zu zwingen. Da die Abwehrreihe dennoch häufig sehr hoch steht, ist Lazio anfällig für hohe Schnittstellenpässe.
Mit dem Pass zwischen den gegenerischen Innenverteidigern (IV) startet Luis Alberto aus der Achterposition heraus das Pressing.
Mit dem Pass zum Linksverteidiger (LV) wird Felipe Anderson aktiv und läuft diesen an.
Mit dem Pass vom Innenverteidiger (IV) startet Guendouzi als Achter das Pressing.
Der gegnerische Linksverteidiger (LV) passt zum linken Flügelspieler (LF).
Da die Abwehrkette von Lazio hochsteht, ohne dass genügend Druck ausgeübt wird, kann der LF einen Chipball auf den Stürmer (ST) spielen.
Der Kopf der Mannschaft
Spricht man über die besten Spielmacher der Welt, wird sein Name häufig - zu unrecht - außen vor gelassen: Luis Alberto. Der 31-jährige Spanier spielt seit 2016 bei Lazio und ist seitdem der wichtigste Spieler der Blau-Weißen. Als tief agierender Spielmacher schafft er es durch sein präzises Passspiel immer wieder, Linien zu brechen und Angriffe einzuleiten. Auch in dieser Saison liegt er bei den progressiven Pässen europaweit in den Top 5 aller Mittelfeldspieler. Im letzten Drittel hilft ihm seine Kreativität und Spielintelligenz für den entscheidenden letzten Pass. In den vergangenen fünf Spielzeiten legte Luis Alberto 42 Treffer direkt auf. Er sticht zudem durch seine elegante Spielweise und seine Dribbelstärke in engen Räumen hervor.
Luis Alberto erhält den Ball in der Zentrumsspur, dreht mit der Annahme nach vorne auf ...
... und spielt einen Schnittstellenpass auf Immobile.
Felipe Anderson flankt flach in den Strafraum. Luis Alberto leitet den Ball mit der Hacke weiter auf Zaccagni, ...
... der per Schlenzer ins Tor trifft.
Regression zur Mitte?
Sarri hat in seinen ersten beiden Spielzeiten bei Lazio bereits einiges bewegen können: Der zweite Platz in der vergangenen Saison – vor den Mailänder Teams und Juventus Turin – hat gezeigt, dass die Mannschaft nach einigen schwächeren Jahren wieder regelmäßig um die ganz vorderen Ränge mitspielen kann. Dennoch ging das ganze mit einer deutlichen Überperformances einher: Lazio hatte am Ende knapp 14 Punkte mehr auf dem Konto, als sie sich laut den ExpectedPoints (zu erwartende Punkte, resultierend aus den ExpectedGoals) "erspielt haben". Lazio profitierte also von einer großen Effizienz vor dem gegnerischen Tor. Diese blieb in der aktuellen Saison bisher aus – das erklärt vielleicht auch den durchwachsenen Saisonstart. Ob Lazio konstant über die nächsten Jahre mit den besten der Liga mithalten kann, muss also erst noch unter Beweis gestellt werden.