Spielanalyse
Arsenal FC – The Invincibles
Wie die Gunners 49 Spiele in Folge ungeschlagen blieben.
Marius Fischer
Marius Fischer, Redakteur der DFB-Trainerzeitschrift „Fußballtraining“, analysiert Qualitätsmerkmale im internationalen Fußball. Nebenbei ist er als Spielanalyst bei Viborg FF in der dänischen Superliga tätig.
In unserer neuen Serie werfen wir einen Blick in die Vergangenheit und analysieren die besten Teams, Spieler und Trainer der letzten 50 Jahre. In diesem Teil analysieren wir den Arsenal FC in den Jahren 2003/2004 unter Arsène Wenger. Mit ihm blieben die Gunners saisonübergreifend 49 Spiele in Folge ungeschlagen und gewannen die englische Meisterschaft.
Eine prägende Ära
Der Arsenal FC liegt aktuell (11. Spieltag 2022) auf Platz eins der englischen Premier League und blickt mit einem jungen Kader in eine vermutlich erfolgreiche Zukunft – die letzte Meisterschaft liegt nämlich schon 18 Jahre zurück. Wenger gewann mit den Nordlondonern 17 nationale Titel und stand bei 828 Ligaspielen an der Seitenlinie – bei einem Schnitt von starken 1,96 Punkten pro Spiel. Doch es waren nicht die Erfolge allein, die Arsenal eine Ära prägen ließ. Vielmehr war es der atemberaubende Fußball, mit dem die Gunners in den 00er Jahren die Fußballwelt begeisterten – mit dem Höhepunkt in den Jahren 2003 bis 2004.
Schnelles Umschaltspiel
Bevor Arsène Wenger Trainer bei Arsenal wurde, gab es in der Premier League nur wenige Teams, die einen attraktiven Fußball spielten. Es wurde zu dieser Zeit viel "kick and rush" und nur selten ein temporeiches Offensivspiel gespielt – auch bei Arsenal. Wenger änderte dies. Aus einer 4-4-2-Struktur heraus schaltete Arsenal blitzschnell um und war nach einem Ballgewinn in der Lage, sich mit zwei bis drei Pässen vor das gegnerische Tor zu kombinieren. Dabei agierten die Offensivspieler im Passspiel häufig mit einem Kontakt und liefen ohne Ball immer wieder in hohem Tempo hinter die gegnerische Abwehrkette. Im Spielaufbau suchte man früh die Tiefe mit Vertikalpässen – lange Passstafetten waren eher selten zu sehen.
Nach einem Ballgewinn dribbelt Henry in die linke Außenspur nach vorne.
Henry spielt einen Schnittstellenpass auf Bergkamp, ...
... dessen flache Flanke von Vieira ins Tor geschossen wird.
Kompaktes Mittelfeldpressing
Gegen den Ball agierte Arsenal unter Wenger zumeist im Mittelfeldpressing. Zwar liefen die beiden Stürmer Thierry Henry und Dennis Bergkamp die gegnerischen Innenverteidiger situativ hoch an, um Fehler oder lange Bälle zu provozieren – die zwei Viererketten dahinter blieben in der Regel jedoch in ihrer kompakten Grundordnung. Wurden die beiden Stürmer überspielt, bewegte sich vor allem Henry in die Außenspur auf Höhe der gegnerischen Abwehrkette, um dort auf einen schnellen Konter zu warten. In der Zentrumsspur agierten die beiden zweikampfstarken zentralen Mittelfeldspieler häufig mannorientiert und suchten immer wieder 1-gegen-1-Duelle, während die Flügelspieler nach innen rückten, um das Zentrum noch mehr zu verdichten und Gegenspieler zu doppeln. Die Abwehrkette verblieb meistens in ihrer Ordnung – nur selten verließ ein Verteidiger seine Position, um in ein hohes Pressing zu gehen.
Bergkamp läuft den gegnerischen Innenverteidiger (IV) an. Dieser spielt einen Vertikalpass in die linke Halbspur.
Rechtsverteidiger Lauren und der rechte Mittelfeldspieler Ljungberg setzen den Ballführenden unter Druck.
... und erzielen einen Ballgewinn.
Die Schlüsselspieler
Arsenal verfügte in der Saison 2003/04 über einen sehr ausgeglichenen Kader mit Topspielern auf jeder Position. Dennoch ragten drei Spieler mit ihrer Qualität und ihrer Wichtigkeit für den Teamerfolg heraus. Einer davon war Robert Pires. Der französische Außenspieler startete zumeist in der linken Außenspur, konnte aber ebenso in der Zentrumsspur oder rechten Außenspur agieren. Seine Geschwindigkeit in Kombination mit seiner hervorragenden Technik machten ihn zum perfekten Spieler im System von Arsène Wenger: Im schnellen Offensivspiel konnte er sowohl den entscheidenden Schnittstellenpass spielen als auch selbst in die Tiefe starten. Darüber hinaus verfügte er über eine sehr gute Schusstechnik, die ihm zu 14 Ligatoren in 36 Saisonspielen verhalf.
Pires passt zu Bergkamp und startet in Richtung Strafraum.
Bergkamp spielt einen Schnittstellenpass in den Lauf von Pires, ...
... der den Ball aus 16 Metern ins obere Toreck schießt.
Im Zentrum war Kapitän Patrick Vieira Dreh- und Angelpunkt. Der französische Nationalspieler verkörperte perfekt die in den 00er Jahren neu definierte Rolle des "modernen Sechsers". Er verfügte über eine enorme Physis und Zweikampfstärke und war somit permanent in der Lage, die Räume in Arsenals Defensive zu schließen und wichtige Bälle zu gewinnen. Im Umschaltspiel konnte er mit seinen langen Schritten und seiner Dynamik das gegnerische Mittelfeld immer wieder mit Tempodribblings überspielen und so den schnellen Konter einleiten.
Vieira passt zu Henry und startet einen Tiefenlauf.
Henry passt zu Pires, der den Ball mit dem ersten Kontakt in den Lauf von Vieira spielt.
Vieira schießt den Ball platziert ins Tor.
Die meisten dieser Konter wurden von Stürmer Thierry Henry vollendet. Henry schoss in der Saison 2003/04 30 Tore und bereitete weitere sechs vor. Dabei war es vor allem sein Gesamtpaket, das Henry so schwer zu verteidigen machte: Er verfügte über einen überragenden Antritt und eine hervorragende Geschwindigkeit und war so immer wieder Ziel von Schnittstellenpässen. Der platzierte Torabschluss mit dem Innenspann ins ballferne Eck entwickelte sich zu seinem Markenzeichen und war für die Torhüter kaum zu parieren. Doch Henry war darüber hinaus äußerst kreativ – er wich gerne in die linke Außenspur aus und setzte von dort aus seine Mitspieler mit cleveren Pässen oder Halbfeldflanken in Szene.
Pires spielt einen Schnittstellenpass auf Henry, ...
... der den Ball am Torhüter vorbei ins Tor schießt.
Eine Saison für die Ewigkeit
Arsenals Premier League Spielzeit 2003/04 ging in die Geschichte ein – eine ganze Saison ungeschlagen und saisonübergreifend 49 Spiele ohne Niederlage. Arsène Wenger implementierte dabei einen offensiven Spielstil, der die Premier League revolutionierte. Die Mannschaft war eine perfekte Mischung aus überragenden Einzelkönnern und teamdienlichen "Arbeitern". Arsenal spielte unter Wenger auch in den Folgejahren einen attraktiven Fußball, der mit der Zeit allerdings immer ballbesitzorientierter wurde. Eine weitere Meisterschaft sollte bis zu seiner Entlassung 2013 jedoch nicht mehr folgen.