Podcast mit Martina Voss-Tecklenburg
Entscheidungsfähigkeit
Aufgenommen wurde die Folge am 08.03.2023
Trainer*innen entscheiden aktiv und selbstverantwortlich zwischen unterschiedlichen Handlungsmöglichkeiten.
Martina Voss-Tecklenburg über ...
… die Entwicklung von Kompetenzen
Die meisten Kompetenzen kann man sich nicht in Fortbildungen aneignen und sind auch nicht von Beginn an vorhanden, sondern entwickeln sich mit der Zeit. Vieles lernen wir durch Erfahrungen, das Meistern von Herausforderungen und besonders durch Niederlagen und Fehlentscheidungen.
... Spaß und Freude als Grundlage
Die Bereitschaft, zu lernen und trotz Fehlern weiterzumachen, basiert auf intrinsischer Motivation. Der Coach ist oft der Sündenbock. In solchen Situationen braucht es dann ein gesundes Selbstvertrauen und die Kompetenz, die Dinge richtig einzuordnen.
…schwierige Entscheidungen
Die Kadernominierung vor großen Turnieren ist sehr herausfordernd. Ich weiß, dass jede/r Einzelne hart gearbeitet hat und es verdient hätte, dabei zu sein. So etwas lässt mich nicht kalt, weil ich weiß, dass ich in diesem Moment Träume zerstöre. Vor den Olympischen Spielen 2000 war ich selbst als Spielerin in einer ähnlichen Situation und kann nachfühlen, wie weh so etwas tut.
… die Wertschätzung aller Spieler*innen
In der Regel definieren sich Spieler*innen über die Spielzeit, was heute aber nicht mehr zeitgemäß ist. Jede/r von ihnen, egal ob in der Startelf oder nicht, kann den Unterschied machen. Ein Turnier ist lang und jeder Gegner hat andere Stärken und Schwächen, auf die wir eingehen müssen. Im Vorfeld der EM im vergangenen Jahr haben wir deshalb viel Zeit investiert, um allen ihren Wert für das Team klarzumachen. Jeder Spieler / jede Spielerin verdient meine Aufmerksamkeit und Wertschätzung. Bei der EM hatten fast alle unserer Wechsel einen positiven Einfluss auf das Spiel, was uns in unserem Handeln bestärkt hat.
… über Bauchentscheidungen
Ich habe auch schlechte Erfahrungen mit Entscheidungen gemacht, zu denen ich überredet wurde. Der Mix aus Kopf- und Bauchentscheidung ist mir wichtig. Ich muss ein Gefühl für die Situation und die Person haben, um richtig entscheiden zu können. Dass Alexandra Popp bei der EM im Sturmzentrum auflief, war zum Beispiel eine dieser ganz persönlichen Bauchentscheidungen. Nicht alle im Trainer*innen-Team waren zu diesem Zeitpunkt davon überzeugt, aber ich fühlte, dass sie uns sowohl spielerisch als auch auf mentaler Ebene auf dieser Position einen Schub geben könnte.
… die Bedeutung von Feedback
Sich als Trainer*in coachen zu lassen, ist für mich wichtig. Mir hilft es, wenn mich jemand in meinem Handeln begleitet und es mit mir analysiert. Ein guter Coach unterstützt die Selbstreflexion mit offenen Fragen und gibt nicht vor, was richtig oder falsch war. Jede Trainerin / jeder Trainer muss ihren/seinen eigenen Weg finden.
… das Reflektieren einer Entscheidung
Nach einer getroffenen Entscheidung gilt es, den Findungsprozess zu ihr und deren Folgen möglichst objektiv zu analysieren. Erst so ist es möglich, als Trainer*in zu wachsen und in Zukunft besser zu handeln. Und dennoch muss ich in Kauf nehmen, dass Fehler weiterhin passieren. Der richtige Umgang mit ihnen macht den Unterschied aus.
… die Bewertung von Leistungen
Fußball ist zwar ein Ergebnissport, aber dennoch fehlen uns in einigen Situationen Parameter, um eine gute Leistung zu erkennen und als solche zu bewerten. Denn auch wenn wir beispielsweise im Viertelfinale ausscheiden und das Ziel höher gesteckt war, können wir trotzdem eine fast perfekte Partie gespielt haben. Der Faktor Zufall ist im Fußball nicht zu unterschätzen und sollte die Reflexion des eigenen Handelns nicht blenden. Denn Partien können auch mal mit schlechten Leistungen gewonnen werden.
… den Umgang mit Fehlern
Wir wollen keine „Fehlerkultur“, sondern vielmehr die Kompetenz der „Fehlerresistenz“ bei uns und den Spieler*innen entwickeln. Sie sollen unabhängig von den Umständen mutige Entscheidungen treffen. Wenn eine Angreiferin ein Angreifer beispielsweise fünfmal im 1 gegen 1 scheitert, will ich sie/ihn ermutigen, dennoch wieder in das Duell zu gehen, und sie/ihn daran hindern, einen Sicherheitspass zu spielen.
… das Motto „Stärken stärken!“
Sprache beeinflusst das Denken, weshalb wir beispielsweise nicht von „Fehlern“, sondern von „Potenzialen“ sprechen. Wir wollen das Selbstbewusstsein der Spieler*innen stärken und sie nicht mithilfe von Angst und Verunsicherung führen. Auch wenn wir Inhalte visualisieren, zeigen wir mehrheitlich gelungene Szenen, ohne die eigenen Verbesserungsmöglichkeiten zu verschweigen.
… spieler*innendominiertes Training
Die Zeiten, in denen Trainer*innen vorgeben, wie von A nach B gespielt wird, sind vorbei. Denn wenn ich meiner Innenverteidigerin / meinem Innenverteidiger sage, sie/er soll andribbeln, darf ich mich nicht wundern, wenn sie/er der Anweisung auch in unpassenden Situationen folgt. Unsere Spieler*innen sollen eigenständig handeln, weshalb wir im Training möglichst viele Möglichkeiten schaffen, in denen sie selbst entscheiden müssen.