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Welche Rolle spielen psychologische Faktoren für den zukünftigen sportlichen Erfolg?

Übersichtsarbeit zeigt kleinen Einfluss psychologischer Aspekte auf späteren Fußballerfolg

Psychologie
Talententwicklung
Sie sehen Ivana Fuso (L) und Sonja Merazguia jubelnd nach dem Sieg gegen Frankreich beim U19 Frauen Tunier im La Manga Club Football Stadium
    • Psychologische Faktoren wie die Aufgabenorientierung und perzeptuell-kognitive Faktoren haben einen kleinen Einfluss auf zukünftige Leistung im Fußball.
    • In der Spielerentwicklung können psychologische Faktoren berücksichtigt werden, wie z. B. die Entwicklung psychosozialer und kognitiver Fertigkeiten.
    • Der genaue Zusammenhang zwischen psychologischen Faktoren und Erfolg im Fußball bleibt unklar: Deshalb sollten sie nicht alleinig zur Talentselektion genutzt werden.
Abstract

Talente zu finden und zu entwickeln gehört zu den Kernaufgaben von Verbänden, Vereinen sowie Trainerinnen und Trainern. Auch psychologische Faktoren sind neben physischen, physiologischen sowie technisch-taktischen Merkmalen von Interesse. Anhand von elf Studien konnte in einer Übersichtsarbeit ein kleiner Effekt von psychologischen Faktoren – wie perzeptuell-kognitive Fertigkeiten sowie aufgabenorientiertes Bewältigungsverhalten – auf zukünftige fußballerische Leistung gezeigt werden. Aufgrund von methodischen Schwächen der eingeschlossenen Studien sind die Ergebnisse jedoch von Unsicherheiten begleitet. Fußballerische Leistung ergibt sich aus einem Zusammenspiel verschiedener – auch psychologischer – Faktoren. Deshalb sollten psychologische Aspekte nicht alleinig für die Talentidentifikation und -selektion genutzt werden.

Frage aus der Praxis – Antwort mithilfe der Wissenschaft

Welche (psychologischen) Faktoren sind entscheidend für den Erfolg im Fußball? Warum wird ein Talent zum Profifußballer1, während ein anderes Talent seinen Profitraum nicht erfüllen kann? Diese Fragen stellen sich nicht nur Vereine und Verbände, sondern insbesondere Trainer und Spieler. Neben physischen und physiologischen Merkmalen (wie z. B. Körpergröße, Schnelligkeit) werden auch psychologische Merkmale (wie z. B. Umgang mit Druck, kognitive Faktoren) als entscheidend für zukünftigen Erfolg genannt. Doch welche psychologischen Faktoren beeinflussen die zukünftige Leistung nachweislich und wie groß ist deren Einfluss tatsächlich? Wissenschaftler der Forschungsabteilung des FC Arsenal London liefern in einer systematischen Übersichtsarbeit einen Antwortversuch.

Was sind psychologische Faktoren?

In einer früheren Übersichtsarbeit [1] konnten 48 (für die Talentenwicklung) relevante psychosoziale Faktoren identifiziert werden, welche sich in drei Kategorien einteilen lassen:

  1. Psychologische Faktoren (z. B. intrinsische Motivation, Antizipationsfertigkeiten),
  2. Externe soziale Faktoren (z. B. elterlicher Erziehungsstil, Trainer-Athlet Beziehung),

  3. Verhalten des Spielers (z. B. Anwendung von Bewältigungsstrategien, Lebensstil).

Diese werden durch eine neuere Übersichtsarbeit ergänzt, in der insbesondere die Ausprägung des Leistungsmotivs Hoffnung auf Erfolg und Entscheidungshandeln mit zukünftigem Erfolg im Fußball verbunden werden [2]. Darüber hinaus weisen die Studienautoren auf die Bedeutsamkeit von perzeptuell-kognitive Faktoren (wie z. B. Exekutive Funktionen, Mustererkennung) für die fußballerische Leistung hin [3, 4].

Kleiner Effekt vorhanden

Aufgrund verschiedener Einschränkungen vorheriger Studien erstellten die Autoren eine weitere systematische Übersichtsarbeit, in der sie den Einfluss psychologischer Faktoren auf zukünftige fußballerische Leistung untersuchten. Von den letztendlich elf eingeschlossenen Studien bezogen sechs perzeptuell-kognitive Faktoren, fünf Aufgabenorientierung, vier Ego-orientierung und sechs aufgabenorientierte Coping-Strategien als psychologische Faktoren ein.

Im Gesamtergebnis zeigte sich, dass die psychologischen Faktoren Aufgabenorientierung, aufgabenorientierte Coping-Strategien und perzeptuell-kognitive Faktoren einen kleinen Einfluss (Effektstärke Cohen’s d = 0.20 - 0.29)2 auf zukünftige fußballerische Leistung haben. Für die Ego-orientierung konnte kein Effekt festgestellt werden (Cohen’s d = 0.06).

Sie sehen eine Übersicht der psychologischen Faktoren und deren Effekt auf zukünftigen Erfolg.
Was bedeutet das für die Praxis?

Die Autoren betonen, dass der identifizierte Zusammenhang zwischen psychologischen Faktoren und zukünftigen Erfolg im Fußball von methodischen Schwächen der eingeschlossenen Studien begleitet ist und auf Grundlage der GRADE-Methodik als unsicher einzustufen ist. Beispielsweise wurde zukünftiger fußballerischer Erfolg in den elf Studien unterschiedlich definiert (z. B. als Profi-Vertrag oder anhand von Leistungsdaten bei Wettkämpfen). Gleichzeitig sei ein kleiner Effekt nicht überraschend, da verschiedene Faktoren – neben technisch-taktischen, physiologischen und physischen eben auch psychologische – gemeinsam die Entwicklung und Leistung von Fußballspielern beeinflussen. Dies heiße allerdings nicht, dass der Effekt bedeutungslos sei, sondern vielmehr, dass Vorsicht geboten ist bei der Interpretation und Nutzung dieser Ergebnisse in der Praxis. Zudem hat lediglich eine Studie auch Fußballspielerinnen untersucht, weshalb für Schlussfolgerungen im Frauenfußball mehr Forschung notwendig wäre (wie z. B. [9]).

Psychologische Aspekte in der Talentselektion und -entwicklung

In der Talentselektion solle demnach nicht ausschließlich auf psychologische Kriterien zurückgegriffen werden, da nach aktuellem Wissen keine klaren Empfehlungen an die Entscheidungsträger gegeben werden können. Gleichzeitig stellt das Wissen über psychologische Faktoren eine Möglichkeit für das Trainerteam dar, mit Spielern gezielt einzelne zu trainieren und zu entwickeln. Denn letztlich sind die Ausprägungen der psychologischen Faktoren auch zu einem gewissen Grad von Umweltfaktoren, d. h. dem Verhalten des Trainerteams, der wahrgenommenen Wertschätzung und Vertrauen innerhalb eines Teams abhängig. Hier kann das Wissen über psychologische Faktoren helfen, mit Talenten und Teams umzugehen, um bestmögliche Voraussetzungen für Leistungserbringung zu schaffen.

Die Inhalte basieren auf der Originalstudie „Psychological factors and future perfomance of football players: A systematic review with meta-analysis.”, die 2020 im „Journal of science and medicine in sport” veröffentlicht wurde.

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1 Anmerkung zum Sprachgebrauch: Im Folgenden wird aus Gründen der besseren Lesbarkeit in der Regel nur noch die männliche Form verwendet. Es sind damit alle Personen unabhängig von ihrem Geschlecht gemeint.

2 Für die Interpretation des Effektstärkemaß Cohen’s d gilt folgende Faustregel [5]: Kleiner Effekt = 0.2 – 0.49; Moderater Effekt = 0.5 – 0.79; Großer Effekt ≥ 0.8

Literatur

  1. Ivarsson, A., Kilhage-Persson, A., Martindale, R., Priestley, D., Huijgen, B., Ardern, C., & McCall, A. (2020). Psychological factors and future performance of football players: A systematic review with meta-analysis. Journal of science and medicine in sport, 23(4), 415-420.
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    1. Gledhill, A., Harwood, C., & Forsdyke, D. (2017). Psychosocial factors associated with talent development in football: A systematic review. Psychology of Sport and Exercise, 31, 93-112.

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    2. Murr, D., Feichtinger, P., Larkin, P., O ‘Connor, D., & Höner, O. (2018). Psychological talent predictors in youth soccer: A systematic review of the prognostic relevance of psychomotor, perceptual-cognitive and personality-related factors. PloS One, 13(10), e0205337.

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    3. Huijgen, B. C., Leemhuis, S., Kok, N. M., Verburgh, L., Oosterlaan, J., Elferink-Gemser, M. T., & Visscher, C. (2015). Cognitive functions in elite and sub-elite youth soccer players aged 13 to 17 years. PloS one, 10(12), e0144580.

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    4. Williams, A. M. (2000). Perceptual skill in soccer: Implications for talent identification and development. Journal of sports sciences, 18(9), 737-750.

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    5. Cohen J. Statistical power analysis for the behavioral sciences, 2nd ed. Hillsdale, NJ, Erlbaum, 1988.

    6. Duda, J. L., Chi, L., Newton, M. L., & Walling, M. D. (1995). Task and ego orientation and intrinsic motivation in sport. International journal of sport psychology.

    7. Gaudreau, P., & Blondin, J. P. (2002). Development of a questionnaire for the assessment of coping strategies employed by athletes in competitive sport settings. Psychology of Sport and Exercise, 3(1), 1-34.

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    8. Hänsel, F., Baumgärtner, S. D., Kornmann, J. M., & Ennigkeit, F. (2016). Kognition. In Sportpsychologie (pp. 23-52). Springer, Berlin, Heidelberg.

    9. Ruiz-Esteban, C., Olmedilla, A., Méndez, I., & Tobal, J. J. (2020). Female Soccer Players’ Psychological Profile: Differences between Professional and Amateur Players. Int. J. Environ. Res. Public Health, 17, 4357.

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