Wissen

Einfluss des VAR auf die Entscheidungsqualität des Schiedsrichters

Führt der Videobeweis zu besseren Entscheidungen?

Technologie & Equipment
Eine Studie beschäftigt sich mit der Frage, ob der Videobeweis zu besseren Entscheidungen führt.
    • In 2195 Wettkampfspielen von Profiligen in 13 Ländern kam die VAR-Technik durchschnittlich 4,4-mal pro Spiel zum Einsatz. 
    • Ein solcher „Check“ dauerte mit aktiver Überprüfung durch den VAR samt Schiedsrichter-kommunikation durchschnittlich 62 Sekunden, ein „silent check“ (Überprüfung ohne Nutzung der Review-Area am Spielfeldrand) 15 Sekunden.
    • In mehr als 70% aller Spiele führte die Kontrolle durch den VAR nicht zu einer aktiven Überprüfung. 
    • Im Vergleich der Entscheidungsqualität ohne und mit VAR-Eingriff stieg die Entscheidungsgenauigkeit des Schiedsrichters mithilfe des Videobeweises signifikant von 92,1% auf 98,3%.
Abstract

Der Video-Schiedsrichterassistent (VAR) soll die Überwachung des regelgerechten Spielverlaufs im Profifußball unterstützen und den Fußball gerechter machen. Seit ihrer Einführung in den Ligen sind die Vorteile der Technologie umstritten. Eine Studie, die VAR-Eingriffe in 2195 Wettkampfspielen von Profiligen in 13 Ländern aus zwei Spielsaisons durch Schiedsrichter hat überprüfen lassen, zeigt nun: Der Videobeweis verbessert die Entscheidungsqualität des Unparteiischen. Auch das Argument, der Überprüfungsprozess störe den Spielfluss, konnte die Vergleichsstudie entkräften.

Der Videobeweis soll den Profifußball gerechter und fairer machen

Schiedsrichter müssen schnell die richtige Entscheidung treffen – und nicht immer liegen sie richtig. Etwa, weil sie den Vorfall nicht genau gesehen haben oder die Situation nicht eindeutig ist. Auch können äußere Umstände, wie der Lärm der Zuschauer, der Heimvorteil einer Mannschaft oder das aggressive Verhalten von Spielern, die Entscheidung des Unparteiischen beeinflussen, belegen Studien.  

Der Video-Assistent Referee (VAR) soll Abhilfe schaffen und den Schiedsrichter auf offensichtliche Fehlentscheidungen hinweisen. Das System wurde eingeführt, um anhand des Videobeweises strittige Situationen oder Zweifel an der korrekten Auslegung der Regeln zu klären, die möglicherweise den Spielverlauf verändern und zu einem anderen Ergebnis führen können. Das zusätzliche VAR-Team unterstützt den Unparteiischen und hat die Aufgabe, möglichst schnell aus den per Kamera für die Spielübertragung aufgezeichneten Szenen die besten Einstellungen und Perspektiven herauszufiltern, um eine optimale Bewertung eines Vorfalls zu ermöglichen. Um den Spielfluss nicht unnötig zu stören, wird der VAR nur bei vier spielentscheidenden Situationen verwendet: Rote Karte, Strafstoß/Elfmeter, Torerzielung, Verwechslung eines Spielers.

Am 21. September 2016 wurde das System nach einer vierjährigen Testphase erstmals im Profifußball im niederländischen Pokalspiel Ajax Amsterdam gegen Willem II Tilburg (5:0) eingesetzt. Willem-II-Spieler Anouar Kali wurde nach einer VAR-Intervention mit Rot vom Platz gestellt – der Schiedsrichter hatte zunächst die Gelbe Karte gezeigt. Zur Saison 2017/18 wurde der Videobeweis in der Bundesliga eingeführt. Seitdem reißt die mittlerweile auch internationale Diskussion um den VAR nicht ab. Was den Fußball gerechter machen soll, sorgt immer wieder für Unmut bei Spielern und Zuschauern. Zum fünfjährigen Jubiläum der VAR-Technologie in der Bundesliga sagte der ehemalige Top-Schiedsrichter Urs Meier im Bayern 2-Radio: „Eigentlich müssten wir gratulieren können, aber es läuft eben noch nicht richtig.“

Kann die VAR-Technologie die menschliche Fehlerquote minimieren?

Eine internationale Vergleichsstudie sagt: Ja. „Unsere Ergebnisse zeigen zum ersten Mal anhand empirischer Daten, dass die Entscheidungsgenauigkeit in Situationen, die eine Regelauslegung erfordern, nach einer VAR-Intervention signifikant steigt: von 92,1 auf 98,3 %“, schreiben die Autoren. Für ihre Studie hat das Forscherteam Daten von VAR-Interventionen aus 2 195 Spielen in 13 nationalen Profiligen von Australien bis USA aus den Saisons 2016/17 und 2017/18 herangezogen. 

So sind die Forscher vorgegangen: Insgesamt kam die VAR-Technik in den analysierten Spielen 9732 Mal zum Einsatz – 4,4-mal pro Spiel. Alle diese Interventionen wurden den jeweiligen nationalen Schiedsrichterausschüssen vorgelegt. Deren Mitglieder mussten sie begutachten und eine Referenzentscheidung fällen. 638 Situationen, die nicht einstimmig in den 5- bis 10-köpfigen Ausschüssen bewertet werden konnten, stuften die Forscher als Grauzonen-Situation ein und wurden nicht in die Analyse einbezogen. Die übrigen 9094 klaren Spielsituationen mit VAR-Intervention wurde auf die Entscheidungsqualität des Schiedsrichters hin überprüft: Konnte die Technik die Genauigkeit der Schiedsrichterentscheidungen verbessern oder nicht? Was die Forscher auch wissen wollten: Wie oft kam es zu einer VAR-Kontrolle, wie oft zu einer tatsächlichen Überprüfung und wie lange dauerte der Überprüfungsprozess?

Das sind die Ergebnisse

Entscheidungsqualität: Die ursprüngliche Entscheidung des Schiedsrichters war in 8376 der 9094 der klaren Spielsituationen richtig. Das entspricht einer Entscheidungsgenauigkeit von 92,1%. Nach der VAR-Intervention ist in 8942 von 9094 Situationen regelgerecht entschieden worden. Das entspricht einem Genauigkeitswert von 98,3%.

Anzahl der Interventionen und aktiven Überprüfungen: Durchschnittlich kam es in den 2195 ausgewerteten Spielen zu 4,4 VAR-Interventionen pro Spiel. Die Überprüfung dauerte im Mittel 22 Sekunden. Nicht alle Kontrollen durch den Videoassistenten führen auch zu einer aktiven Überprüfung: In mehr als 70% aller Spiele führten die Kontrollen der spielverändernden Situationen nicht zu einer aktiven Überprüfung. Bei gut einem Viertel der Spiele (24,2%) kam es zu einer Überprüfung durch den Videoaassistenten. Bei den übrigen Spielen gab es in 105 Spielen zwei Überprüfungen (4,7%), in 15 Spielen drei (0,7%), in zwei Spielen vier (0,1%) und in einem Spiel sechs Überprüfungen (0,1%).

Intervention nach Spielsituationen: Nach Spielsituationen betrachtet, kam der VAR am häufigsten bei Vorfällen mit Roter Karte zum Einsatz (39,3%), gefolgt von Strafstößen (33,4%), Toren (27,1%) und Verwechslungen (<1%). Wie die TAB. 01 zeigt, kam es dabei am häufigsten bei Strafstoßentscheidungen zu einer aktiven Überprüfung (43,9%) durch den Videoassistenten, gefolgt von Torsituationen (32,5%), der Vergabe von Roten Karten (22,5%) und Verwechslungen der geahndeten Spieler (1,1%).

Entscheidungsabänderung nach VAR-Empfehlung: Deutet der Videobeweis auf eine Fehlentscheidung des Schiedsrichters hin, kann der Unparteiische seine ursprüngliche Entscheidung revidieren. Die Studie zeigt, dass es vor allem bei Roten Karten und Toren zu Entscheidungsänderungen kommt. Wie TAB. 02 zeigt, gab es 126 zusätzliche Rote Karten, 114 weniger Tore und 76 zusätzliche Elfmeter aufgrund der Überprüfung durch den Videoassistenten.

Dauer der VAR-Intervention: Die Interventionen des Videoassistenten dauerten durchschnittlich 22 Sekunden. Differenzierter nach Kontrolle und aktiver Rücksprache mit dem Schiedsrichter betrachtet, nahmen die VAR-Eingriffe inklusive Prüfvorgang und Kommunikation zwischen Schiedsrichter und Videoassistent durchschnittlich 62 Sekunden in Anspruch, Überprüfungen ohne Nutzung der Review-Area am Spielfeldrand wurden in 15 Sekunden abgeschlossen. Für die Forscher ein Beleg, dass die VAR-Technik nur minimale Auswirkungen auf den Spielverlauf hat. Das deckt sich mit Erkenntnissen einer jüngeren Studie. Daten aus der spanischen Fußballliga hatten gezeigt, dass die effektive Spielzeit bei Spielen mit VAR-Interventionen im Vergleich zu Spielen ohne den Einsatz des Videobeweises sank [1].

Fazit

Die groß angelegte Studie, die auf einer breiten, internationalen Datenbasis aus zwei Spielsaisons basiert, legt nahe, dass die VAR-Technik hilft, Fehlentscheidungen von Schiedsrichtern zu verhindern. In nur 11 der untersuchten Fälle hat die Überprüfung des Videoassistenten geirrt und aus einer korrekten Erstentscheidung des Schiedsrichters eine nachweislich falsche Entscheidung gemacht. Ganz aber lässt sich der Faktor Mensch im Beurteilungsprozess nicht ausschließen – auch mithilfe der VAR-Technik lässt sich keine hundertprozentige Entscheidungsgenauigkeit erreichen, erklären die Studienautoren. Deshalb werde das Entscheidungstraining in der Schiedsrichterausbildung künftig noch wichtiger. „Bei einer hohen anfänglichen Entscheidungsgenauigkeit sind die Anzahl der VAR-Einsätze und die damit verbundenen Zeitverluste begrenzt“, lautet ihr Fazit.

Die Inhalte basieren auf der Studie „Video assistant referees (VAR): The impact of technology on decision making in association football referees”, die 2021 im „Journal of Sports Sciences“ veröffentlicht wurde.

Literatur

  1. Spitz, J., Wagemans, J., Memmert, D., Williams, A. M., & Helsen, W. F. (2021). Video assistant referees (VAR): The impact of technology on decision making in association football referees. Journal of sports sciences, 39(2), 147-153.
    Studie lesen
    1. Errekagorri, I., Castellano, J., Echeazarra, I., & Lago-Peñas, C. (2020). The effects of the video assistant referee system (VAR) on the playing time, technical-tactical and physical performance in elite soccer. International Journal of Performance Analysis in Sport, 20(5) 808-817