Wissen
Virtuelle Realität (VR) und 360°-Videos
Die Bedeutung neuester Technologie für ein kognitives Training im Fußball
- VR-Brille: Modernes Medium, um bspw. 360°-Videos präsentieren zu können. Der Betrachter wird dadurch sehr stark in die virtuelle Umgebung hineinversetzt.
- VR im Sport: VR bietet die Möglichkeit, sportliche Situationen visuell und akustisch ohne körperliche Beanspruchung zu erleben.
- Training mit VR: Durch kognitives Training mit realitätsnahen 360°-Videos soll auch die Leistung auf dem Platz gesteigert werden.
- Potential von VR: Die Effektivität eines VR-Einsatzes im Fußball (als Diagnostik- und Trainingsinstrument) wird aktuell wissenschaftlich untersucht.
Abstract
Bislang wurden zum Zwecke der Diagnostik und des Trainings kognitiver Faktoren wie der Antizipation oder dem Entscheidungshandeln im Sport meist Videos auf Computerbildschirmen oder Leinwänden präsentiert. Der Einsatz von virtuellen Realitäten (VR), präsentiert über VR-Brillen, ermöglicht eine realitätsnähere Darbietung von sportspezifischen Aktionen, z. B. über 360°-Videos von Spielszenen. Diese Technologie bietet weitere Vorteile. So findet bspw. ein rein kognitives VR-Training ohne zusätzliche körperliche Beanspruchung der Spieler statt. Trainingsvideos können gezielt manipuliert (z. B. über visuelle Hervorhebungen oder Audiokommentare) und beliebig oft wiederholt werden. Die Nutzung einer VR-Brille mit 360°-Videos erzeugt einen spielerischen Charakter, der sich motivierend auf die Spieler auswirken kann, so dass sie gerne mit dieser Technologie trainieren. VR wird zwar schon seit einigen Jahren im Sportkontext eingesetzt, Effektivitätsstudien zum Mehrwert eines kognitiven Trainings mit VR, d. h. der Übertragbarkeit auf die Leistung auf dem Platz, liegen aktuell jedoch kaum vor. Dies ändert der DFB im Rahmen seiner Akademie durch das laufende Forschungsprojekt „Decision Making“.
Das folgende Video gibt Einblicke in die Bereiche Kognition, 360°-Aufnahmen und Virtuelle Realität im Fußball:
Was ist VR?
Der Begriff „Virtuelle Realität“ (VR) beschreibt im Allgemeinen eine computersimulierte Umwelt, durch die sich der Betrachter mithilfe der 1. Person-Perspektive mental und physisch an einen anderen Ort versetzt fühlt [1, 2]. Ein wichtiges Merkmal ist dabei, dass Person und virtuelle Umwelt interagieren können [3].Solche Animationen wurden bislang meist auf Computerbildschirmen oder größeren Leinwänden dargeboten. Ein moderneres System stellen die sog. VR-Brillen dar. Sie ermöglichen dem Träger einen 360° Rundumblick (horizontal und vertikal) in der virtuellen Welt und schließen gleichzeitig die reale Umgebung aus. Dadurch wird das Gefühl erzeugt, noch stärker in der virtuellen Umgebung präsent zu sein. Neben der rein computeranimierten VR besitzen auch Videos von realen Szenen eine große Relevanz. So ist es z. B. möglich, 360°-Videos von realen Spielsituationen aus dem Fußball zu drehen und diese in einer VR-Brille abzuspielen. Der Betrachter kann dadurch seinen Blick frei bewegen und selbst entscheiden, aus welchen Bereichen des Videos er Informationen aufnehmen möchte. Eine Interaktion mit der dargebotenen Umwelt ist hierbei allerdings nicht möglich, was gegen die Definition von VR im engeren Sinne spricht. Aufgrund der Tatsache, dass sich Personen durch die in einer VR-Brille dargebotenen 360°-Videos aber an den präsentierten Ort versetzt fühlen, kann man in diesem Zusammenhang von einer VR im weitesten Sinne sprechen.
Wo wird VR im Sport bereits eingesetzt?
Im Kontext des Sports wurde die VR-Technologie bereits in den 1990er Jahren erstmals verwendet. Seitdem hat VR Einzug in verschiedene Bereiche gehalten. Wissenschaftliche Untersuchungen wurden bislang in den Sportarten Baseball [4-6], Tischtennis [7], Billard [8], Tennis [9], Bogenschießen [10], Handball [11, 12], Fußball [13, 14], Rugby [15, 16], Football [17] und Cricket [18] durchgeführt.Wird die VR-Technik zu Trainingszwecken im Sport eingesetzt, spricht man von Sports Vision Training. Hierbei kann unterschieden werden zwischen dem Component Skill Training und dem Naturalistic Sports Training. Beim Component Skill Training werden primär grundlegende und allgemeine (also sportunspezifische) Komponenten des Sehens trainiert, wie z. B. die Sehschärfe, die Kontrastempfindlichkeit, die Tiefenwahrnehmung und das periphere Sehen. Beim Naturalistic Sports Training hingegen wird das Training nicht auf die oben beschriebenen grundlegenden Prozesse reduziert [19]. Stattdessen werden die Sportler mit Videos oder Animationen von möglichst realistischen Sportsituationen konfrontiert, die die Wahrnehmung relevanter Reize verbessern und anhand derer sie das Entscheidungshandeln oder das Antizipationsverhalten trainieren sollen (s. „Die Bedeutung kognitiver Faktoren für die Spielfähigkeit“). Auch wenn die VR-Technik in beiden Formen des Sports Vision Training eingesetzt wird, beschränken sich die Ausführungen in diesem Beitrag auf die sportspezifischen Trainingsinhalte des Naturalistic Sports Training.
Welche Erkenntnisse liegen über das Training in VR vor?
Diverse Untersuchungen in unterschiedlichen Sportarten konnten zeigen, dass Experten in ihrer Sportart über eine bessere visuelle Wahrnehmung und kognitive Verarbeitung verfügen als Nicht-Experten [20,21]. Zudem sind Experten besser in der Lage, relevante Hinweisreize (d. h. Reize, die Aufschluss darüber geben, was in der sportlichen Situation als nächstes geschehen wird oder was von der Person als nächstes zu tun ist) zu erkennen und effizientere Blickbewegungen auszuführen (da sie wissen, worauf sie schauen müssen; z. B. verstärkt auf das Standbein des Schützen bei der Antizipation von Torschüssen [22]) (für einen Überblick siehe [23, 24]). Daraus ergibt sich im Umkehrschluss der Grundgedanke des VR-Trainings: Über die Darbietung von sportspezifischen Situationen sollen die visuellen und kognitiven Fähigkeiten eines Sportlers so verbessert werden, dass er das, was er sieht, besser verarbeiten und künftig darauf besser reagieren kann. Diese Verbesserung wiederum soll sich positiv auf seine Leistungsfähigkeit in der Realität auswirken [19]. In Anlehnung an wissenschaftliche Erkenntnisse aus der Lernforschung lässt sich solch ein Transfer von der Trainingsumgebung auf das reale Spielfeld am besten verwirklichen, wenn die jeweils geforderten kognitiven Prozesse möglichst ähnlich sind [25], d. h. wenn sich die Trainingssituation in VR von der Spielsituation in der Realität nur gering unterscheidet.Auch wenn die VR-Brillen-Technologie bereits seit einigen Jahren in wissenschaftlichen Untersuchungen eingesetzt wird, liegen bislang kaum Erkenntnisse über die Effektivität von entsprechenden Trainingsprogrammen vor [19]. Die meisten bisher durchgeführten Studien hatten die Wirkung von VR auf die Teilnehmer zum Gegenstand (z. B. wie sehr sich die Probanden in die VR hineinversetzt fühlen; [3]). Eine der wenigen Studien, die sich mit dem Thema der Trainingseffektivität beschäftigt hat, stammt von Mitarbeitern einer Firma, die VR-Technologie kommerziell vertreibt [17]. Sie führten im American Football ein VR-Training mit 17 Spielern durch, die die Aufgabe hatten, sich für die beste Passoption zu entscheiden. Diesbezüglich konnte nach einer dreitägigen Trainingsphase eine durchschnittliche Steigerung um 30 % festgestellt werden. Die Übertragbarkeit dieser Ergebnisse auf das reale Footballfeld wurde allerdings nicht überprüft [19].
Welche Vor- und Nachteile hat der Einsatz von VR?
VorteileDie Technik der VR-Brillen bietet eine Reihe von Vorteilen, auch im Vergleich zu bisherigen Darbietungsformen auf Bildschirmen oder Leinwänden:
- Geringe körperliche Beanspruchung:
- Wiederholbarkeit der Szenen:
- Manipulation der Szenen:
- Bewegungsfreiheit:
- Motivation:
- Gewicht:
- Kopplung an PC:
- Bildqualität:
- Sichtfeld:
- Unwohlsein:
- Ablenkung von eigentlicher Aufgabe:
Welche Perspektiven werden der VR-Technologie attestiert?
Aus technischer Sicht wird es künftig darum gehen, die angesprochenen Nachteile der aktuellen VR-Technologie zu beseitigen. An den meisten Schwachstellen wird bei den Technologieunternehmen bereits gearbeitet, so dass stetige Verbesserungen an diesen sich rasant entwickelnden Systemen absehbar sind. Beispielsweise wurden Anfang 2018 die ersten kabellosen VR-Brillen mit einer höheren Auflösung präsentiert. Das Sichtfeld von VR-Brillen der nächsten Generationen soll noch realitätsnäher gestaltet werden, so dass präsentierte Inhalte auch aus der Peripherie wahrgenommen werden können. Dem Phänomen der „motion sickness“ kann bei der Präsentation von 360°-Videos begegnet werden, indem man die Videos mithilfe spezieller Software nachträglich stabilisiert und die Betrachter ggf. darüber informiert, dass in der VR-Brille Bewegung simuliert wird und in welche Richtung diese verläuft. Bei linearen Kamerafahrten führt dieses Wissen dazu, dass sich das Gehirn der Person bewusst darauf vorbereiten kann.Aus inhaltlicher Sicht müssen weitere Studien durchgeführt werden, die die Möglichkeiten eines VR-Trainings zur Verbesserung der sportlichen Leistung in der Realität überprüfen [3, 19]. Um die dafür notwendigen Vorarbeiten umzusetzen, hat beispielsweise der DFB mit seiner Akademie das Forschungsprojekt „Decision Making“ für einen Zeitraum von April 2017 bis März 2019 an das Institut für Sportwissenschaft der Universität Tübingen (Leitung Prof. Dr. Oliver Höner) vergeben. Ziel des Projekts ist es zum einen, mittels 360°-Videos von unterschiedlichen Spielsituationen eine zuverlässige und valide Diagnostik hinsichtlich der Antizipation und des Entscheidungshandelns von Torwarten und Feldspielern zu erstellen. Zum anderen soll darauf aufbauend eine Trainingsbatterie konzipiert werden, die zunächst von Trainern, Torwarte und Feldspielern der U-Nationalmannschaften genutzt werden kann. Die entsprechende Hypothese lautet, dass durch die Verwendung von 360°-Videos und deren Darbietung in einer VR-Brille die Realität so gut abgebildet werden kann, dass nach einem entsprechenden VR-Training ein Transfer auf das Feld ermöglicht wird [25].
Autor des Textes ist Dr. Florian Schultz von der Universität Tübingen. Die Inhalte basieren auf der Originalstudie "Sports vision training: A review of the state-of-the-art in digital training techniques. ", die 2016 im "International Review of Sport and Exercise Psychology" veröffentlicht wurde.
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Literatur
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