Wissen
Unterschiede technischer Fertigkeiten zwischen den fünf großen europäischen Ligen
Studie findet mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede und räumt mit einigen Stereotypen auf
Spieler der Bundesliga schossen deutlich häufiger auf das Tor als Spieler der La Liga.
Spieler der Premier League und der Serie A spielten nachweislich mehr „lange Bälle“ als Spieler der französischen Ligue 1.
Spieler der italienischen Serie A hatten weniger Ballberührungen, eine geringere Zahl an Pässen und eine niedrigere Passgenauigkeitsquote als Spieler der anderen vier Ligen.
Im Vergleich zu Spielern italienischer Teams zeigten die Spieler der Premier League deutlich mehr Dribblings.
- Bei keiner Variablen, die sich auf defensive Leistung bezieht, ergaben sich nennenswerte Unterschiede zwischen den Spielern der fünf europäischen Ligen.
Abstract
Sind die Teams der italienischen Serie A tatsächlich so defensivstark wie oft behauptet wird? Spielen englische Mannschaften der Premier League insgesamt körperbetonter und haben spanische La Liga-Mannschaften wirklich so viel mehr Ballbesitz als Teams anderer europäischer Ligen? In einer großen Studie hat ein internationales Forscherteam untersucht, ob sich die Spieler der europäischen Top-5 in Bezug auf Spielstil und technische Fertigkeiten voneinander unterscheiden. Dazu wurden die Daten von über 1000 Champions-League-Spielen analysiert. Die Forscher fanden weniger Unterschiede als erwartet: Viele Variablen unterschieden sich über die fünf Ligen hinweg nur marginal voneinander. Die meisten in der öffentlichen Wahrnehmung vorhandenen Stereotype ließen sich durch die Daten nicht belegen.
Stereotype Spielstile der „Big Five“?
Die spanische La Liga, die englische Premier League, die italienische Serie A, die deutsche Bundesliga und die französische Ligue 1 – das sind die „Big Five“ des europäischen Fußballs. Die nationalen Ligen aus Spanien, England, Italien, Deutschland und Frankreich rangieren nicht nur seit Jahren auf den ersten fünf Plätzen der UEFA-Wertung, sie zählen auch im weltweiten Vergleich zu den erfolgreichsten nationalen Ligen [1]. Jede dieser fünf Ligen steht gemeinhin aufgrund kultureller, historischer und sozialer Unterschiede für einen speziellen Spielstil [2, 3]. Während die Teams der Premier League häufig durch direktes, aggressives Spiel und physische Stärke charakterisiert werden [3, 4], gilt das rigide taktische Beharren auf defensive Organisation als typisch italienisch [5]. Spanische Mannschaften sollen großen Wert auf Ballbesitz legen und vertrauen den individuellen technischen Fertigkeiten, um das Spiel zu kontrollieren [6]. Deutsche und französische Teams liegen in der allgemeinen Wahrnehmung irgendwo zwischen der englischen Ausrichtung auf physisch starke Spieler und dem italienischen Bedürfnis nach defensiver Mannschaftsorganisation [3, 7]. Weil im modernen Fußballgeschäft Spieler und Trainer aber mit zunehmender Häufigkeit zwischen den nationalen Ligen ihren Arbeitsplatz wechseln und somit ein großer Austausch stattfindet, dürfte sich die Spielweise in jeder Liga verändert und weiterentwickelt haben [8, 9].
Unterscheiden sich die Spielstile und technischen Fertigkeiten zwischen den fünf großen Ligen also überhaupt (noch) nennenswert? Haben sich die Ligen einander angenähert, oder zeichnen sich einzelne Ligen womöglich durch ungeahnte technische Fertigkeiten aus? Mit diesen und weiteren Fragen hat sich ein Forscherteam aus China, Großbritannien und Spanien auseinandergesetzt.
Die Champions League als Daten-Arena
Die Sportwissenschaftler wählten für ihre Studie Datensätze aus Champions-League-Spielen mehrerer Spielzeiten. Diese Herangehensweise hat Vor- und Nachteile: Auf der einen Seite lassen sich Daten besser vergleichen, denn die Datensätze aus dem Ligaspielbetrieb der unterschiedlichen Länder sind nicht immer miteinander kompatibel. Die Champions League bietet also einen recht einheitlichen und sehr großen Schatz an leistungsbezogenen Daten. Auf der anderen Seite ist der tiefere Blick „in“ die einzelnen Ligen beschränkt, weil aus jedem Land nur wenige (und häufig die gleichen) Mannschaften für die Champions League spielberechtigt sind.
Die Forscher analysierten und verglichen technische Leistungsdaten von 1291 Spielern aus 1125 Champions League-Spielen (Saisons 2009/10 bis 2017/18). Nur die Daten von Spielern, die die vollen 90 Minuten absolviert hatten, gingen in die Analyse ein. Daten von Torhütern wurden aufgrund ihrer spezifischen Parameter nicht berücksichtigt.
Als Variablen wählten die Wissenschaftler technische Leistungsparameter aus 20 Spielereignissen aus, die sich in folgende drei Gruppen aufteilen ließen:
Variablen bezogen auf Angriff & Torerzielung:
Schüsse; Schüsse aufs TorVariablen bezogen auf Passspiel & Organisation:
Ballberührungen; Pässe; Passgenauigkeit; letzter Pass („key pass“), Flanken; lange Bälle; Schnittstellenbälle; gewonnene Luftduelle; Dribblings; Abseitsstellungen; erlittene Fouls; BallverlusteVariablen bezogen auf Verteidigung:
Tacklings; Balleroberungen; Klärungsaktionen; geblockte Schüsse; begangene Fouls; Gelbe Karte
Bundesligaspieler schießen besonders häufig
Die statistische Analyse zeigte folgende signifikante Auffälligkeiten: Die Anzahl der Schüsse war bei Spielern der Bundesliga deutlich höher als bei Spielern der spanischen, englischen und italienischen Liga. Bundesligaspieler suchen demnach häufiger und schneller den Abschluss als Spieler aus England, Spanien und Italien. Allerdings: Bei der Variable „Torschüsse“ ergaben sich keine nennenswerten Unterschiede zwischen den nationalen Ligen.
Auch bei den Variablen der Gruppe „Passspiel & Organisation“ unterschieden sich die Werte zwischen La Liga, Bundesliga, Premier League und Ligue 1 nicht signifikant – allein Spieler der italienischen Serie A fielen mit einer niedrigeren Zahl an Ballberührungen, Pässen und einer geringeren Passgenauigkeit auf. Dieses Ergebnis steht teilweise in Kontrast zu eine früheren Studie [7], die Spieldaten der nationalen Ligaspiele analysiert hatte und den italienischen Teams höhere Werte bei den Pässen bescheinigte als den englischen oder spanischen Teams. Eine mögliche Erklärung der Studienautoren für diese Diskrepanz: Wenn italienische Teams im internationalen Wettbewerb gegen die besten Teams aus anderen nationalen Ligen spielen, könnte durch einen insgesamt defensiveren Spielstil die Passüberlegenheit schwinden.
Bundesliga und Serie A übertrumpfen die Ligue 1 mit langen Bällen
Weitere Ergebnisse: Spieler der Bundesliga und der Serie A spielten mehr lange Bälle als Spieler der Ligue 1. Weil die Variable „lange Bälle“ in früheren Studien [10, 11] mit einem direkten Spielstil in Zusammenhang gebracht wurde, könnte dieser Befund darauf hindeuten, dass das direkte Spiel mit langen Flugbällen in Deutschland und Italien stärker ausgeprägt ist als in England, Spanien und Frankreich. Premier-League-Spieler stechen nicht bei „Luftduellen“ heraus – was man aus stereotypem Blickwinkel hätte glauben können. Im Vergleich zu den italienischen Kollegen der Serie A zeigten Premier-League-Spieler allerdings eine größere Zahl an Dribblings. Das Dribbeln ist ein Leistungsmerkmal, das spielerische Freiheiten und Kreativität indizieren kann [12]. In der englischen Premier League gilt das taktische und strategische „Korsett“ nicht so eng geschnürt wie in anderen Ländern und erlaubt Spielern größere Freiräume, individuelle technische Fertigkeiten wie Dribblings umzusetzen [10], während die italienische Serie A gemeinhin großen Wert auf die kollektive Arbeit in der defensiven Organisation legt und eher konservativ spielt [2].
Die Defensive sticht bei keiner nationalen Liga heraus
Das oft zitierte Stereotyp, dass italienische Mannschaften Defensivspezialisten seinen lässt sich durch die Studie von Yi und Kollegen nicht bestätigen. Bei keiner untersuchten Variable, die sich auf das Verteidigen bezieht, ergab sich ein substantieller Unterschied zwischen den fünf Ligen. Den Studienautoren zufolge könnte dies darauf hindeuten, dass sich erfolgreiche Teams der Bedeutung einer soliden Defensive sowie einer guten Balance zwischen Angriff und Verteidigung bewusster geworden sind.
Internationale Transfers als nivellierender Faktor
Nicht nur, was die defensive Leistung, sondern was technische Fertigkeiten im Allgemeinen betrifft, zeigten sich in den Studienergebnissen weniger Unterschiede zwischen den fünf Ligen als erwartet. Die nicht unerhebliche Zahl an ausländischen Spielern und Trainern in den nationalen Ligen dürfte diesbezüglich einen entscheidenden ausgleichenden Faktor darstellen, glauben Yi und Kollegen. Spieler aus dem Ausland, die in unterschiedlichen Akademien verschiedene Konzepte des Angriffs und der Verteidigung elernt haben, interagieren täglich mit Mitspielern und Trainern, die aus ganz unterschiedlichen Ländern stammen. Die Diversität innerhalb der Teams und nationalen Ligen sowie der zunehmende Austausch von Spielern und Trainern zwischen den Ligen führt so allem Anschein nach zu einem Ausgleich der Spielstile und technischen Fertigkeiten.
Die Inhalte basieren auf der Studie „Differences in technical performance of players from ‘The Big Five’ European football leagues in the UEFA Champions League”, die 2019 in „Frontiers in Psychology“ veröffentlicht wurde.
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Literatur
- Yi, Q., Groom, R., Dai, C., Liu, H., & Gómez Ruano, M. Á. (2019). Differences in technical performance of players from ‘The Big Five’ European football leagues in the UEFA Champions League. Frontiers in Psychology, 10, 2738.Studie lesen
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