Wissen
Sprints pro Spiel: Anhaltspunkte für Training und Prävention
Profifußballer erreichen nur selten die maximale Sprintgeschwindigkeit während des Wettkampfs
- Während Wettspielen erreichen Fußballprofis nur selten Geschwindigkeiten von über 90 Prozent der individuellen maximalen Sprintgeschwindigkeit.
- Zwischen den Halbzeiten zeigten sich keine bedeutsamen Unterschiede hinsichtlich der Sprinthäufigkeiten der Spieler.
- Je nach Spielposition sind Sprints, die sich der maximalen Geschwindigkeit annähern, unterschiedlich häufig. Zentrale Mittelfeldspieler und Innenverteidiger sprinten vergleichsweise selten, Außenverteidiger zählen zu den sprintstärksten Positionen.
- Je nach Spielposition und abhängig davon, ob und wie lange ein Spieler von der Bank zum Einsatz kommt, sollten Sprints im Training fehlende Belastungen ausgleichen, um Muskelverletzungen vorzubeugen.
Abstract
Erstmals haben Forscher untersucht, wie häufig Spieler eines französischen Profiteams annähernd die maximale Sprintgeschwindigkeit während des Wettkampfs erreichen. Dabei zeigte sich, dass nur wenige Spieler Sprints absolvieren, die an mindestens 90 Prozent der individuellen maximalen Geschwindigkeit herankommen. Positionsspezifische Unterschiede und eine hohe Variabilität von Spiel zu Spiel sollten für individuelle Trainingsableitungen berücksichtigt werden. Gerade für Spieler mit wenig oder keiner Spielzeit sind Trainingsformen mit entsprechender Sprintbelastung ins Training zu integrieren, um im Falle eines Spieleinsatzes plötzliche Belastungsspitzen zu vermeiden und das Risiko von Muskelverletzungen zu reduzieren.
Prävention von Hamstring-Verletzungen
Verletzungen der hinteren Oberschenkelmuskulatur gehören zu den häufigsten kontaktlosen Verletzungen im Profifußball [1] Spieler1, die sich an den Hamstrings verletzen, fallen in der Regel mehrere Wochen vom Spielbetrieb aus. Um das Verletzungsrisiko an der hinteren Oberschenkelmuskulatur zu minimieren, haben Sportmediziner diverse Präventionsstrategien entwickelt. Dazu zählen exzentrische Muskeltrainings (z. B. Nordic Hamstring Exercise) und Sprintläufe [2]. Im Vergleich zu anderen Krafttrainingsübungen, stellt der Sprint an sich den Sprint-spezifischsten Reiz dar [3]. Weil Sprintläufe mit Geschwindigkeiten von bis zu 22 km/h nicht ausreichend sein könnten, um einen Schutzeffekt auf die Hamstrings zu bewirken, empfehlen einige Autoren Sprints mit Maximalgeschwindigkeit in das Präventionsprogramm aufzunehmen [4, 5].
Ob Fußballer bei Sprints zwingend maximale Geschwindigkeit erreichen müssen, damit das Programm präventive Wirkung entfalten kann, ist in der Forschung noch ungeklärt. Es gibt Studien, die daraufhin deuten, dass bereits 90 Prozent der maximalen Sprintgeschwindigkeit (MSS = maximal sprinting speed) eines Spielers für einen schützenden Effekt ausreichen können [6]. Bei 90 Prozent der MSS wird beispielsweise schon die maximal mögliche Schrittlänge erreicht.
Wie oft sprinten Profis eigentlich pro Spiel?
Um für das Training ein effektives Präventionsprogramm zu erstellen, das den Belastungsreiz aus den Wettspielen sinnvoll ergänzt, ist zunächst einmal Wissen darüber nötig, wie häufig Profispieler während eines Wettspiels annähernd die MSS erreichen. Denn obwohl es zahlreiche Studien zu absoluten Höchstgeschwindigkeiten und zurückgelegten Distanzen bei intensiven und hochintensiven Läufen gibt, existieren bislang wenig Daten darüber, wie häufig Profifußballer in einem Wettspiel an individuelle Schwellenwerte in Abstufung zur MSS herankommen.
Um diese Wissenslücke zu schließen, hat ein Forscherteam um Martin Buchheit für vier Spielpositionen (Innenverteidiger, Außenverteidiger, Mittelfeldspieler und Stürmer) die Häufigkeiten von Sprints in Bezug zur individuellen MSS erfasst. Bei 35 Profispielern der französischen Ligue 1 wurde zunächst die persönliche maximale Sprintgeschwindigkeit ermittelt. Über mehrere Wettspiele hinweg (vier Saisons) analysierten die Forscher dann, wie häufig die Spieler die Schwellenwerte 80 Prozent, 85 Prozent und 90 Prozent der jeweiligen MSS erreichten.
Mehr Raum, mehr Sprints? Außenverteidiger sprinten am häufigsten
Insgesamt ergab sich pro Spiel eine recht geringe Häufigkeit für Sprints nahe an der individuellen MSS (durchschnittlich ein bis drei Sprints ≥ 90 Prozent der MSS pro Spiel). Ein zeitlicher Effekt war nicht bemerkbar, das heißt beide Halbzeiten unterschieden sich hinsichtlich der Häufigkeit der Sprints kaum voneinander. Die Sprinthäufigkeit war dagegen in großen Teilen positionsgebunden: Während die Außenverteidiger die meisten Sprints nahe an der MSS (≥ 90 Prozent) durchführten, absolvierten die zentralen Mittelfeldspieler die wenigsten Sprints in dieser Kategorie. Die Forscher erklären sich die Unterschiede zwischen den Spielpositionen vor allem durch den Umstand, dass den Spielern unterschiedlich viel Raum des Spielfelds zur Verfügung steht. So ist es nicht verwunderlich, dass die Geschwindigkeit eines Sprints direkt mit der Laufdistanz verbunden ist [vgl. 7].
Mal mehr, mal weniger – hohe individuelle Variabilität der Sprinthäufigkeit
Allerdings stellten die Forscher insgesamt und auch innerhalb der Spielpositionen eine recht hohe individuelle Variabilität fest. So erreichten die zentralen Mittelfeldspieler beispielsweise durchschnittlich in 58 Prozent aller untersuchten Spiele nicht ein einziges Mal die 90-Prozentschwelle der MSS, je nach Mittelfeldspieler ergab sich hier aber eine Spanne von 15 bis 86 Prozent. Unabhängig von ihren Spielpositionen gab es einige Spieler, die über mehrere aufeinanderfolgende Spiele hinweg kein einziges Mal die Schwellenwerte ab 80 Prozent der MSS überschritten. Diese Ergebnisse bestätigen Studien, die nicht nur eine hohe individuelle Variabilität der Sprinthäufigkeiten zeigen [8], sondern auch eine hohe Variabilität bezüglich der Sprintprofile von Spiel zu Spiel [9].
Regelmäßig Sprints ins Training integrieren
Aus den Ergebnissen leiten die Studienautoren einige praktische Anregungen für ein Training ab, das Muskelverletzungen vorbeugt. Angesichts der hohen Variabilität bei den Sprinthäufigkeiten der einzelnen Profis pro Spiel sollte die Sprintbelastung im Training auf die individuellen Lauf- und Sprintprofile der Spieler angepasst sein. Die Forscher empfehlen darüber hinaus für Einwechselspieler und Spieler ohne Spielzeit eine wöchentliche Sprintbelastung, die das Zwei- bis Dreifache des Spiels abbildet. Auf diese Weise würden Einwechselspieler, die unvorhergesehen zweimal pro Woche im Wettspieleinsatz sind, Belastungsspitzen vermeiden, die häufig zu Muskelverletzungen führen.
Extra Kompensationseinheiten für Einwechselspieler und Profis von der Bank
Kaderspieler, die einige Zeit nicht zum Spieleinsatz kommen, sollten die fehlende Belastung mit entsprechenden Trainingseinheiten kompensieren. Den Autoren nach, beinhaltet eine typische Kompensationseinheit bezüglich der Sprintbelastung für einen Außenverteidiger:
- 6-8 Sprints über 80 Prozent der MSS,
- davon 3 Sprints über 85 Prozent und 1-2 über 90 Prozent der MSS.
Generell sollte das Training den Forschern zufolge nicht nur Belastungen entsprechend der Sprintquantität ausgleichen, sondern auch spezifische Sprint- und Laufmuster integrieren, die sich aus möglichen Spielkontexten ergeben [vgl. 10]. Bestenfalls sind das Spielformen oder aus Spielsituationen abgeleitete Übungsformen, die das gewünschte Laufprofil (Kurvenläufe, offensive und defensive Sprintläufe) bedienen.
Die Inhalte basieren auf der Studie "Occurences of near-to-maximal speed-running bouts in elite soccer: insights for training prescription and injury mitigation", die 2020 in „Science an Medicine in Football" veröffentlicht wurde.
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1Anmerkung zum Sprachgebrauch: Im Folgenden wird aus Gründen der besseren Lesbarkeit in der Regel nur noch die männliche Form verwendet. Es sind damit alle Personen unabhängig von ihrem Geschlecht gemeint.
Weiterführendes Wissen
Vergleich der Muskelaktivität der Hamstrings zw. Krafttrainingsübungen und dem Sprinten (externe Infografik)
Diese Studie teilen:
Literatur
- Buchheit, M., Simpson, B. M., Hader, K., & Lacome, M. (2020). Occurrences of near-to-maximal speed-running bouts in elite soccer: insights for training prescription and injury mitigation. Science and Medicine in Football, 1-6.Studie lesen
Ekstrand J., Walden M., Hagglund M. (2016). Hamstring injuries have increased by 4% annually in men’s professional football, since 2001: A 13-year longitudinal analysis of the uefa elite club injury study. Br J Sports Med. 50, 731–737.
Studie lesenBuckthorpe M., Wright S., Bruce-Low S., Nanni G., Sturdy T., Gross A.S., Bowen L., Styles B., Della Villa S., Davison M., et al. (2019). Recommendations for hamstring injury prevention in elite football: translating research into practice. Br J Sports Med. 53, 449–456.
Studie lesenvan den Tillaar R., Solheim J.A.B., Bencke J. (2017). Comparison of hamstring muscle activation during high-speed running and various hamstring strengthening exercises. Int J Sports Phys Ther. 12,718–727.
Butler S. (2019). Running fast: the cause, the cure and a vaccine, in BJSM Blog.
Zur WebseiteEdouard P., Mendiguchia J., Guex K., Lahti J., Samozino P., Morin J.B. (2019). Sprinting: A potential vaccine for hamstring injury? Sport Perform Sci Rep. 48, v1.
Weyand P.G., Sternlight D.B., Bellizzi M.J., Wright S. (2000). Faster top running speeds are achieved with greater ground forces not more rapid leg movements. J Appl Physiol (1985). 89, 1991–1999.
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