Wissen
Nachwuchsspieler*innen während der Pubertät differenziert betrachten
Warum Trainer*innen Wachstumsschub und Reifegrad beachten sollten
- Jugendliche durchlaufen die Phase beschleunigten Wachstums (engl. Peak Height Velocity, kurz: PHV) zwischen 10,7 und 15,2 Jahren. Männliche Nachwuchsspieler wachsen in der Zeit schätzungsweise zwischen 7 und 12 Zentimeter pro Jahr.
- Die meisten Verletzungen im Jugendfußball sind kontaktlose Gewebeverletzungen.
- Trainingsformen, die mechanisch anspruchsvolle Aktionen fordern, können die Verletzungsgefahr während der PHV erhöhen.
- Stattdessen sollten Übungseinheiten angesetzt werden, die vielfältige Bewegungsmustern beinhalten, um die mechanische Belastung zu verringern, ergänzt um variabel gestaltete Kraft- und Konditionierungsübungen.
- Noch gibt es kein Gold-Standard-Verfahren zur ganzheitlichen Messung von Wachstum und biologischer Reifung.
Abstract
Wachstum und biologische Reifung von Heranwachsenden verlaufen in gleichen Altersgruppen sehr unterschiedlich. Entwicklungssprünge insbesondere während der Phase der maximalen Wachstumsgeschwindigkeit (engl. Peak Height Velocity, kurz: PHV) setzen zu verschiedenen Zeitpunkten und in unterschiedlichem Tempo ein. Während dieser Zeit sind die jungen Nachwuchstalente einem erhöhten Verletzungs- und Überlastungsrisiko ausgesetzt, wie eine Übersichtsstudie zum aktuellen Forschungsstand zeigt. Sie brauchen deshalb in der pubertären Wachstumsphase eine besonders differenzierte Trainingsüberwachung.
Biologische Reife im Nachwuchsleistungsfußball
Wie sich die körperliche Leistungsfähigkeit und motorisch-konditionelle Fähigkeiten bei jungen Fußballerinnen und Fußballern entwickeln, wird von Wachstum und Reifeentwicklung beeinflusst. Beides verläuft bei Jugendlichen sehr unterschiedlich: Während der Pubertät, die bei Mädchen früher einsetzt, finden Wachstumsschübe im Körperbau und Entwicklungssprünge in Kraft und Schnelligkeit zu verschiedenen Zeitpunkten und in unterschiedlichem Tempo statt. Während der Phase des höchsten Wachstumsschubs (engl. Peak Height Velocity, kurz: PHV), wenn sich die Körpergröße und das Längenverhältnis von Gliedmaßen besonders stark verändern, sind die Unterschiede besonders groß [1]. Die Phase durchlaufen junge Heranwachsende zwischen 10,7 und 15,2 Jahren. Männliche Nachwuchsspieler wachsen in der Zeit schätzungsweise zwischen 7 und 12 Zentimeter pro Jahr [1, 2]. Das Phänomen ist eine Herausforderung für die Talententwicklung im Nachwuchsleistungsfußball.
Zum einen, weil körperlich früh entwickelte Talente aufgrund ihres Entwicklungsvorsprungs in ihrer Altersgruppe beim Scouting und bei Sichtungsturnieren eher auffallen, während sportlich talentierte, aber physisch unterlegene Spieler nicht identifiziert und gefördert werden. Zum anderen, weil das Verletzungsrisiko während der Phase der maximalen Wachstumsgeschwindigkeit besonders hoch ist. Tatsächlich verzeichnen Verletzungsstatistiken in den letzten Jahren steigende verletzungsbedingte Ausfälle auch bei jugendlichen Nachwuchsspielern. Gerade in den Altersgruppen U14 und U15 ist die Verletzungshäufigkeit besonders hoch, wie jüngere Beobachtungsstudien zeigen, darunter auch bei den Nachwuchskadern der Jugendakademie des TSG 1899 Hoffenheim [3, 4, 5]. Dabei fällt auf, dass die meisten Verletzungen im Jugendfußball kontaktlose Gewebeverletzungen sind, was darauf hindeutet, dass diese Verletzungen auf eine unzureichende Steuerung der Trainingsbelastung zurückzuführen sind [5].
„Gelegenheitsfenster“ für verstärkte Trainingsreaktionen?
Zugleich diskutiert die Sportwissenschaft, ob es während der Pubertät bestimmte Zeitfenster beschleunigter Anpassung an das Training vor, um und nach der Phase des höchsten Wachstumsschubs gibt, die für die Verbesserung allgemeiner motorischer Fähigkeiten wie Kraft oder Schnelligkeit bei männlichen jungen Nachwuchsspielern optimal sind [6]. Einzelstudien scheinen solche Phasen beschleunigter Leistungssteigerungen zu belegen. Zum Beispiel hatten belgische Nachwuchsspieler zwischen 10,4 und 13,7 Jahren ihren Entwicklungshöhepunkt in Bezug auf Gleichgewicht, Explosivkraft, Schnelligkeit und Beweglichkeit um die PHV herum [7], während bei katarischen Jugendspielern eine Korrelation zwischen Alter und PHV in Bezug auf die körperliche Leistungssteigerung nachgewiesen werden konnte [8]. Obwohl es Anhaltspunkte dafür gibt, dass ein spezifisches Training bei männlichen jungen Nachwuchssportlern während der PHV aufgrund der höheren Ausschüttung anaboler Hormone eine verstärkte Trainingsreaktion hervorrufen kann [9] und so die Kraft- und Sprintleistung während und nach der PHV gesteigert werden konnte [10], ist sich die Trainingswissenschaft uneins, ob eine reifebedingte Anpassung des Trainingsumfangs gerechtfertigt ist oder nicht [11].
Anlass für eine britische Forschungsgruppe um den Sportmediziner Chris Towlson danach zu fragen, wie Reifegrad, Trainingsbelastung und Verletzungsrisiko miteinander zusammenhängen und wie sich eine gezielt veränderte Trainingsbelastung zum Zeitpunkt um oder während der maximalen Wachstumsgeschwindigkeit herum positiv oder negativ auf die körperliche Entwicklung und das Verletzungsrisiko der Spieler auswirkt.
Was sagt die Forschung?
Noch steckt die Forschung auf diesem Feld in den Kinderschuhen. „Der Einfluss des Reifezeitpunkts, des Status und des Tempos von Wachstum und biologischer Reifung ist derzeit unklar und wird kontrovers diskutiert“, stellen die Autoren fest. Direkte Rückschlüsse seien deshalb schwierig. Verschiedene Einzelstudien haben erkennbare Zusammenhänge aufgedeckt, wenn Nachwuchssportler häufigen intensiven Belastungen während des Zeitraums ihrer maximalen Wachstumsgeschwindigkeit ausgesetzt sind. Auch wenn die Untersuchungen methodisch unterschiedlich vorgehen, etwa in Bezug auf die Messung des Reifegrads, und die genauen Mechanismen noch unklar sind, ist ein Zusammenhang zwischen Verletzungen in Abhängigkeit zur körperlichen Entwicklung offensichtlich. So wurde etwa bei niederländischen männlichen Nachwuchsspielern zwischen 11 und 19 Jahren, die im letzten Monat um mehr als 0,6 cm gewachsen sind, ein 1,63-fach erhöhtes Verletzungsrisiko festgestellt [12].
Ursächlich für Verletzungen sind meist kontaktlosen Bewegungen oder eine Überlastung von Muskeln und Gelenken. Betroffen sind größtenteils die unteren Extremitäten. Sie sind durch das extreme Längenwachstum der Beine besonders anfällig, weil sich die Weichteile nicht so schnell an die veränderte Körpergröße und das veränderte Körpergewicht anpassen. Die Folge dieser „Ungleichzeitigkeit“ ist eine vorübergehende veränderte Bewegungsmechanik, die Muskel-, Sehnen- und Bandstrukturen besonders beansprucht. Und dies zu einer Zeit, in der Trainings- und Spielpläne ohnehin schon besonders dicht sind. Die heranwachsenden Nachwuchsspieler sind in dieser körperlichen Entwicklungsphase also hohen Belastungen ausgesetzt, „ohne dass dabei nebenher viel Zeit für begleitendes Krafttraining bleibt“, erklären die Studienautoren.
Was sollten Trainer*innen tun?
Towlson und sein Team vermuten zudem, dass die im Jugendbereich vorherrschende Trainingsform der Kleinfeldspiele das Verletzungsrisiko negativ beeinflusst. Die in Kleinfeldspielen mechanisch anspruchsvollen Aktionen wie Sprünge, Richtungswechsel, Sprints, Beschleunigungen und Abbremsungen könnten die Verletzungsgefahr erhöhen. Zwar gebe es zwischen der Belastungsakkumulation als solche und der Verletzungshäufigkeit keinen direkten ursächlichen Zusammenhang. „Allerdings sehen wir deutliche Zusammenhänge, wenn sich diese häufige und potenziell übermäßige Belastung mit den Wachstumsveränderungen überlagert“, erklären die Studienautoren. Trainer*innen empfehlen sie daher, in dieser Zeit wiederholte mechanische Belastungen, die eine schnelle Abbremsung und Richtungsänderung erfordern, zu reduzieren. Stattdessen sollten sie eher technisch orientierten Bewegungsübungen ansetzen. Diese Übungen sollten zudem eine größere Vielfalt an Bewegungsmustern beinhalten, um so die Bewegungskompetenz zu fördern, während die mechanische Belastung verringert wird. Ergänzend empfehlen Towlson und Kollegen variabel gestaltete Kraft- und Konditionierungsübungen. Sie helfen, das Verletzungsrisiko während der kritischen Wachstumsphase zu senken und die Spieler optimal auf die Wettkampfanforderungen vorzubereiten.
Der Forschungsstand in diesem Feld macht deutlich: Heranwachsende Nachwuchstalente brauchen in der pubertären Wachstumsphase eine besonders differenziertes Trainingsmonitoring. „Wir schlagen zu besseren Steuerung der Trainingsbelastung vor, keine aufeinanderfolgenden Trainingstage einzuplanen.“ Speziell für Nachwuchsleistungszentren ist diese Forderungen allerdings eher unrealistisch. Hier kommt es vor allem auf die ausgewogene Belastungssteuerung und -mischung an, die von den Autoren ebenfalls gefordert wird. Außerdem sollten Trainer den Spielern zwischen den Trainingseinheiten und Spielen mehr Zeit zur Erholung einräumen und ihre Einsatztauglichkeit regelmäßig überprüfen. Fallen Spieler dabei als besonders verletzungsanfällig auf, sollten Trainer ihre Trainingseinheiten speziell für diese Kandidaten entsprechend modifizieren. Zum Beispiel könnten sie diese aktuell wenig zu belastenden Spieler bei Ballbesitzübungen oder Übungen im Kleinfeldspiel strategisch als „Neutrale“ einsetzen und für sie einen Teil der Trainingseinheiten verstärkt auf Mobilität und Bewegungskompetenz ausrichten.
Wieviel ist zu viel?
Klar ist, dass ein systematisches Training mit angemessenen Belastungen die körperlichen Fähigkeiten von Heranwachsenden im Laufe der Zeit verbessert. Zugleich nimmt die Trainingsbelastung mit dem Aufstieg in höhere Alters- und Spielklassen mit dem Alter zu. Frühere Studien deuten zwar auf einen Dosis-Wirkungs-Effekt hin [13]. „Unseres Wissens aber hat noch keine Studie den Zusammenhang zwischen Dosis-Wirkungs-Effekt und der Trainingsbelastung über einen längeren Zeitraum unter Berücksichtigung des unterschiedlichen Reifestatus um die PHV herum untersucht“, stellen die Studienautoren fest. Auch gebe es noch keine aussagekräftigen Untersuchungen zu den potenziellen Auswirkungen von Veränderungen der Trainingsbelastung in Bio-Banding-Gruppen. Umso wichtiger sei es, die körperliche und biologische Entwicklung der jugendlichen Spieler genau zu überwachen.
Wie wird der Reifestatus ermittelt?
„Der Reifestatus der Spieler sollte alle drei bis vier Monate während einer Saison bestimmt werden“, empfehlen Towlson und sein Team, „mit besonderem Augenmerk auf Spieler, die sich der PHV nähern oder gerade durchlaufen“. Noch gibt es allerdings kein Gold-Standard-Verfahren zur ganzheitlichen Erfassung des Wachstums und der biologischen Reifung. Die Erhebungsmöglichkeiten der biologischen Reife werden in radiographische oder anthropometrische Herangehensweisen unterteilt. Weil eine Messung des Skelettalters mittels Röntgenaufnahmen aus verschiedenen Gründen schwierig ist, verlässt sich die Praxis auf Messungen von Körpergröße und -gewicht, auf deren Grundlage der Reifestatus und der Zeitpunkt des Eintritts der maximalen Wachstumsgeschwindigkeit mithilfe von mathematischen Gleichungen errechnet wird. Am häufigsten wird im Nachwuchsleistungsfußball die sogenannte Maturity-Offset-Methode (Verhältnis von Beinlänge und Sitzhöhe zur Körpergröße) nach Mirwald et al. [2] und die Predicted Adult Height-Methode (prozentual geschätzte Erwachsenengröße aus Basis der Maße der Eltern) nach Khamis und Roche [15] verwendet. Beide Methoden haben in der Anwendung ihre Fehlerquellen. Bei der Mirwald-Methode zum Beispiel hat sich in Überprüfungen gezeigt, dass sie zu verfälschten PHV-Ergebnissen führt – Frühentwickler werden eher über- und Spätentwickler unterschätzt. Trainer und Betreuer sollten daher sicherstellen, dass sie für ihre Messungen qualitativ hochwertige, standardisierte Geräte mit einheitlichen Protokollen und Verfahren verwenden. Das heißt, die gleiche Person sollte zur gleichen Tageszeit die Messungen mit den gleichen Hilfsmitteln vornehmen. Bei der Methode nach Khamis und Roche, die auf Daten der Eltern basieren, sind die möglicherweise ungenauen Selbstauskünfte der Eltern potenzielle Fehlerquellen.
Auch wenn die zur Wachstumsschätzung verwendeten Methoden noch Schwächen haben, sollten Trainer und Betreuer die körperliche Entwicklung ihrer Nachwuchstalente weiterhin routinemäßig erheben und konsequent überwachen, schlussfolgern die Autoren. Wer Daten systematisch erhebt und Wachstumskurven (cm/Monat) erstellt, könne daran Beginn und Ende des höchsten Wachstumsschubs ablesen, heranwachsende Spieler entsprechend klassifizieren und Trainingsbelastungen entsprechend individuell steuern.
Die Inhalte basieren auf der Studie „Maturity-associated considerations for training load, injury risk, and physical performance in youth soccer: One size does not fit all“, die 2021 im „Journal of Sport and Health Science“ veröffentlicht wurde.
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Literatur
- Towlson, C., Salter, J., Ade, J. D., Enright, K., Harper, L. D., Page, R. M., & Malone, J. J. (2021). Maturity-associated considerations for training load, injury risk, and physical performance in youth soccer: One size does not fit all. Journal of Sport and Health Science, 10(4), 403-412.Studie lesen
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