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Kopf oben halten! Den Erfolg per Vororientierung vorbereiten

Vororientierte Mittelfeldspieler spielen genauere Pässe und verursachen weniger Ballverluste

Psychologie
Bewegungsanalyse & Biomechanik
Toni Kroos behält beim Spiel Deutschland gegen Niederlande den Überblick und bereitet sich per Vororientierung vor.
    • Analyse des Vororientierungsverhalten von zentralen Mittelfeldspielern der Nationalteams während der UEFA Euro 2016.
    • Mittelfeldspieler, die sich schon vororientieren, bevor der Mitspieler den Ball zu ihnen passt, besitzen eine höhere Passerfolgsquote.
    • Mittelfeldspieler, die sich kurz vor der Ballannahme vororientieren, verursachen seltener Ballverluste.
    • Unterschiede in der individuellen Klasse der beobachteten zentralen Mittelfeldspieler sind vermutlich für die „Streuung“ einiger Ergebnisse verantwortlich.
    • Profispieler mit herausragenden technischen Fertigkeiten können der Umgebungsorientierung größere Aufmerksamkeit schenken als dem Ball.
Abstract

Besonders Mittelfeldspieler sind einem ständigen Zeit-, Raum- und Gegnerdruck ausgesetzt. Wenn diese aber schon vor dem Zuspiel per Schulterblick die Umgebung gescannt haben, können sie den auf sie wirkenden Druck minimieren und die Erfolgschancen anschließender Ballaktionen erhöhen. Eine aktuelle Studie bestätigt: zentrale Mittelfeldspieler, die sich vermehrt vororientieren, erzielen eine bessere Passquote und unterliegen weniger Ballverlusten.  

Dem Gegnerdruck durch Vororientierung entgegenwirken

Xavi, einer der weltbesten Mittelfeldspieler des vergangenen Jahrzehnts, benannte die Vororientierung als eine der Fähigkeiten, die seine Spielweise auszeichneten:

Wenn ich ein Zuspiel erhalte, habe ich mich vorher bereits umgeschaut und weiß, ob ich Platz habe, um mich zu drehen, oder ob ich einen Gegner im Rücken habe.
Xavi

Was einfach klingt, ist während der Dynamik des Spiels eine gewisse Herausforderung. Gerade Mittelfeldspieler müssen ständig in komplexen Spielsituationen unter hohem Zeit-, Raum- und Gegnerdruck Lösungen finden. Wenn sich die Spieler schon vor Erhalt des Balls zum Beispiel durch häufige Schulterblicke vororientieren, wirken sie diesen Druckbedingungen entgegen und gewinnen möglicherweise entscheidende Sekundenbruchteile, die die Erfolgschancen der anschließenden Ballaktion verbessern.

„Wann“ und „Wo“ in Windeseile wahrnehmen

Studien zufolge zeigen Profifußballer im Vergleich zu Amateuren eine höhere „kognitive Schnelligkeit“: Elitespieler sind Amateuren in mehrfacher Hinsicht um einiges voraus: Sie nehmen Spielsituationen schneller wahr, verarbeiten und bewerten die Informationen zügiger, so dass eine Entscheidung zur Spielfortsetzung schneller getroffen wird und letztlich die Bewegungsausführung eher erfolgen kann. Verschiedene Untersuchungen unter Laborbedingungen zeigen, dass Profifußballer für gewöhnlich über eine ausgereifte „Visuelle Scan-Strategie“ verfügen. Mit Hilfe dieser Strategie ist es ihnen möglich, relevante Informationen (z. B. Fußstellung, Gegnerpositionierung) schnell herauszufiltern ohne das Szenario lange betrachten zu müssen [1, 2]. 

Im Fokus: Schulterblicke und Körperdrehungen

Ein wichtiger Kennwert der „Visuellen Scan-Strategie“ bei Fußballspielern ist die Anzahl der Schulterblicke. Sie beschreibt, wie häufig sich Körper und/oder Kopf vor der Ballannahme zur Seite drehen, um Informationen über die Situation abseits des Ballführers zu erlangen [3]. In einer aktuellen Studie haben Forscher bei europäischen Elite-Mittelfeldspielern wie Kevin de Bruyne, Luka Modric oder Toni Kroos untersucht, wie sich deren Schulterblickverhalten auf ihre Passquote auswirkt. Die Wissenschaftler analysierten das Videomaterial der K.O.-Phase der UEFA Europameisterschaft von 2016 und konzentrierten sich dabei auf die zentralen Mittelfeldspieler der Nationalteams. 

Vororientierung für hohe Passgenauigkeit

Die Forscher stellten einen positiven Zusammenhang zwischen der Vororientierung durch Schulterblicke und der Prozentzahl erfolgreich gespielter Pässe fest. Das bedeutet: Je häufiger die Mittelfeldspieler sich umsichtig vororientierten während ein Mitspieler den Ball noch am Fuß führte, desto mehr eigene Pässe kamen anschließend bei den weiteren Ballempfängern an. Eine Vielzahl früherer Studien konnte zeigen, dass die Passgenauigkeitsrate bei Einzelspielern und Mannschaften ein wichtiger Leistungsindikator darstellt [4]. Die Vororientierung bei zentralen Mittelfeldspielern könnte darum ein wichtiger Baustein für eine leistungsfähige und erfolgreiche Mannschaft sein, folgern die Forscher.  

Vororientierung vermeidet Ballverluste

Außerdem fanden die Forscher einen negativen Zusammenhang zwischen der Anzahl an Ballverlusten und dem Umblickverhalten in unmittelbarer Erwartung des Balls. Mit anderen Worten: Je häufiger die Mittelfeldspieler sich umschauten und vororientierten während ihnen der Ball zugepasst wurde, desto seltener kam es zu Ballverlusten der eigenen Mannschaft. Eine weitere aktuelle Studie stützt diesen Zusammenhang [5]. Der Faktor „Ballbesitz“ gilt als einer der Schlüsselfaktoren für erfolgreiche Spielausgänge. Das Team mit Spielern, die weniger Ballverluste verursachen, hat natürlich entsprechend eine höhere Ballbesitzquote. Folglich trägt die Vororientierung dazu bei, dass die Mannschaft erfolgreiche Spiele absolviert. 

Einschränkungen mit Blick auf die Studie

Die Studienautoren berichten, dass sie bei einigen Situationen des Videomaterials nicht eindeutig bestimmen konnten, ob es sich bei der Bewegung eines Spielers um einen Schulterblick gehandelt hat oder nicht. Eine Messung mit Bewegungssensoren am Körper der Spieler könnte diese mögliche Fehlerquelle ausschalten. Für ihre Untersuchung hatten sich die Forscher aber bewusst für die Analyse echter Spielsituationen auf höchstem Wettkampflevel entschieden, bei dem eine solche Technologie nicht einsetzbar ist.
Die Studienautoren geben außerdem zu bedenken, dass das statistische Bestimmtheitsmaß nur sehr wenige Prozent der Gesamtvarianz erklärt (3-4 %). Dies könne darauf hindeuten, dass die Vororientierung nur ein kleines Puzzlestück im Gesamtkonzept des erfolgreichen Fußballspiels darstellt und die individuellen Fähigkeiten der Elitespieler sich teilweise noch erheblich voneinander unterscheiden.
In einer Untersuchung des Umblickverhaltens unter Laborbedingungen wurden jedoch ähnliche Effekte gefunden, die die Ergebnisse der vorliegenden Studie bestätigen.

Die Inhalte basieren auf der Originalstudie "Keep Your Head Up—Correlation between Visual Exploration Frequency, Passing Percentage and Turnover Rate in Elite Football Midfielders”, die 2019 in "Sports" veröffentlicht wurde.

Literatur

  1. Phatak, A., & Gruber, M. (2019). Keep Your Head Up—Correlation between Visual Exploration Frequency, Passing Percentage and Turnover Rate in Elite Football Midfielders. Sports.
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    1. Williams, A.M.; Hodges, N.J.; North, J.S.; Barton, G. Perceiving patterns of play in dynamic sport tasks: investigating the essential information underlying skilled performance. Perception 2006, 35, 317–332.

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    2. Williams, A.M.; Davids, K. Visual search strategy, selective attention, and expertise in soccer. Res. Q. Exerc. Sport 1998, 69, 111–128.

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    3. Jordet, G. Perceptual training in soccer: An imagery intervention study with elite players. J. Appl. Sport Psychol. 2005, 17, 140–156.

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    4. Bialkowski, A.; Lucey, P.; Carr, P.; Yue, Y.; Sridharan, S.; Matthews, I. Large-Scale Analysis of Soccer Matches Using Spatiotemporal Tracking Data. In Proceedings of the 2014 IEEE International Conference on Data Mining, Shenzhen, China, 14–17 December 2014; pp. 725–730.

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    5. Tedesqui, R.A.B.; Orlick, T. Brazilian elite soccer players: Exploring attentional focus in performance tasks and soccer positions. Sport Psychol. 2015, 29, 41–50.

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