Wissen
Verletzungstrends im Nachwuchsfußball
Langzeitstudie ermittelt Verletzungshäufigkeiten und Ausfallzeiten in U14- bis U19-Kadern eines Nachwuchsleistungszentrums
- Über alle Altersgruppen (U14-U19) und Saisons (2016/17-2018/19) hinweg wurden 562 Verletzungen gezählt. Das entspricht im Schnitt einer Häufigkeit von 42,2 Verletzungen pro Saison und einer durchschnittlichen Ausfallzeit von 11 Tagen.
- Am häufigsten sind Muskelverletzungen, während Kreuzbandverletzungen zu den längsten Ausfallzeiten führen und den höchsten Schweregrad aufweisen.
- Inzidenz und Schweregrad von Verletzungen sowie Verletzungslast unterscheiden sich deutlich zwischen den einzelnen Altersgruppen und es zeigen sich klare altersbezogene Muster für ausgewählte Verletzungsarten.
- In der U15 ist das Verletzungsrisiko am höchsten. U17-Spieler verletzen sich am schwersten.
Abstract
Eine Langzeitstudie hat die Häufigkeit von Verletzungen in den U14- bis U19-Kadern der Jugendakademie der TSG 1899 Hoffenheim ermittelt. Evaluiert wurden auch die Verletzungsarten und -schwere sowie die Zeit, bis die Spieler ins Training zurückkehren konnten. Eine Inzidenz von durchschnittlich 42,2 Verletzungen und eine mittlere Ausfallzeit von 11 Tagen pro Saison und Team zeigen, wie wichtig Präventionsprogramme und Belastungsmonitoring im Jugendfußball sind.
Steigende Verletzungszahlen in den U21-Kadern
Das Tempo im Fußball hat zugenommen und damit auch die Belastungen der Spieler. Dadurch sind diese heutzutage häufiger verletzt als in der Vergangenheit. Allein in der Saison 2021/22 zählten die fünf europäischen Topligen insgesamt 4 810 Verletzungen. Das zeigt der aktuelle European Football Injury Index. Viele Spieler verletzten sich mehrmals, im Durchschnitt 2,3-mal. Erstmals beleuchtet der Index auch die Nachwuchskader der fünf Topligen – und zeigt einen deutlichen Trend: Die Zahl der Verletzungen in der Altersgruppe der unter 21-Jährigen hat sich in den letzten vier Jahren verzehnfacht.
Nicht nur bei den Profis, auch beim Nachwuchs wird der Grat zwischen ausreichender Belastung und Überlastung immer schmaler. Frühere Beobachtungsstudien aus Jugendakademien in Katar [1], Brasilien [2] oder England [3] scheinen das zu bestätigen. Eine kürzlich durchgeführte systematische Überprüfung der Studienliteratur [4] hat gezeigt, dass die häufigsten Verletzungen die unteren Extremitäten betreffen und Verletzungen der Oberschenkel- und Unterschenkelmuskulatur zu den längsten Ausfallzeiten während einer Saison führen. Allerdings nehmen die betrachteten Studien unterschiedliche Altersgruppen mit unterschiedlichen Spielniveaus, Trainings- und Spielplänen in den Blick und geben daher nur punktuelle Einblicke.
Langzeitanalyse bei der Jugendakademie der TSG 1899 Hoffenheim
Einen tieferen Einblick liefert eine aktuelle Untersuchung der Nachwuchskader der Jugendakademie der TSG 1899 Hoffenheim. Insgesamt 166 männliche Spieler aus den Altersgruppen U14-U19 wurden über drei Saisons hinweg – von 2016/17 bis 2018/19 – in die Langzeitbetrachtung einbezogen.
Neben dem täglichen individuellen Techniktraining absolvierten alle Studienteilnehmer in den Altersgruppen U14-U16 in der Regel auch vier fußballspezifische Trainingseinheiten und nahmen an zwei Krafttrainingseinheiten pro Woche teil. Die Altersgruppen U17 und U19 hatten einen ähnlichen Trainingsplan mit einer zusätzlichen Einheit pro Woche am Vormittag. Alle Altersgruppen nahmen an einem Spiel pro Woche teil. Alle verletzungsbezogenen Daten der Spieler wurden für die Studie statistisch ausgewertet.
Was wurde erhoben?
Errechnet wurde die Verletzungshäufigkeit, als Anzahl der verletzungsbedingten Ausfälle pro Saison (Inzidenz), bezogen auf einen Kader von 25 Spielern sowie die gemittelte Verletzungsschwere und der Zeitverlust infolge der Verletzungen als Anzahl der verletzungsbedingten Ausfalltage pro Saison (Verletzungslast).
Ferner wurden alle Verletzungen und die damit verbundene Ausfallzeit klassifiziert: leichte Verletzungen (1-3 Tage), mittelschwere Verletzungen (4-7 Tage), schwere Verletzungen (8-28 Tage) und gravierende Verletzungen (> 28 Tage).
Ergebnisse:
Muskelverletzungen treten am häufigsten auf
Die Auswertung hat gezeigt, dass über alle Altersgruppen hinweg meist die unteren Extremitäten am Oberschenkel, am Knie und am Sprunggelenk verletzt werden. Nach Verletzungsarten aufgeschlüsselt, kommen insgesamt Muskelverletzungen am häufigsten vor, die meist an Oberschenkel, Knöchel, Knie und Leiste auftreten. Besonders schwer sind Muskelverletzungen am Oberschenkel (z. B. Bizeps-Femoris-Zerrung, distale Adduktorenzerrung, Rectus-Femoris-Zerrung) einzustufen. Sie führen zu Ausfallzeiten von 10-19 Tagen.
Kreuzbandverletzungen ziehen dagegen die längsten Ausfallzeiten nach sich (164,7 Tage pro Saison und Team) und weisen den höchsten Schweregrad (durchschnittliche Ausfalltage pro Spieler: 137,0) auf. Als schwerwiegend erweisen sich auch Knorpelverletzungen (107,0), gefolgt von Knochenverletzungen (72,5) an Knöchel, Leiste und Hüfte.
Verletzungsrisiko bei unter 15-Jährigen am höchsten
Insgesamt wurden über alle Altersgruppen und Spielzeiten hinweg 562 Verletzungen gezählt. Das entspricht im Schnitt 42,2 Verletzungen pro Saison und Kader. Damit ist die Verletzungshäufigkeit in den Nachwuchskadern des Vereins ähnlich hoch wie bei anderen Jugendakademien [1, 2]. Die höchste Inzidenz (67,7) tritt in der Altersgruppe U15 auf. Meist waren es Muskelverletzungen mit einem mittleren Schweregrad. Dass das Verletzungsrisiko bei den unter 15-Jährigen besonders hoch ist, erklärt sich mit den wachstumsbedingten biomechanischen Veränderungen, welche die Spieler in diesem Alter durchlaufen.
Nicht so häufig, aber dafür am schwersten verletzen sich die unter 17-Jährigen. Gleichzeitig steigen in der Altersgruppe die kontaktbedingten Verletzungen sprunghaft an, die nur noch in der U19-Gruppe höher ausfallen. Das erklärt sich damit, dass hochintensive Aktionen, Zweikämpfe und Sprünge in den höheren Altersgruppen zunehmen.
Verletzungsarten hängen mit dem Alter zusammen
Während Bänderverletzungen keinen Zusammenhang zum Alter aufweisen, zeigen sich bei den Häufigkeiten von überlastungsbedingten Verletzungen der Sehnen (Tendinopathien), Muskelverletzungen, Knochenverletzungen und Frakturen klare altersabhängige Muster, berichten die Autoren. So treten zum Beispiel Tendinopathien am häufigsten bei den unter 15- und unter 14-Jährigen auf (U15: 1,4; U14: 1,3), fallen besonders schwer aus und führen zu langen Ausfällen. In den höheren Altersgruppen ist die Inzidenz dagegen deutlich niedriger (U16: 0,4; U17: 0,8; U19: 0,6) und die Ausfallzeiten sind kürzer.
Bei Muskelverletzungen steigt die Häufigkeit mit der Zunahme des Alters an (U17: 1,7 bis U 19: 2,3). Schweregrad und Ausfallzeiten waren in allen Altersgruppen ähnlich. Wie bei der beobachteten Zunahme von Kontaktverletzungen, erklärt sich diese Entwicklung mit den zunehmenden Intensitäten, die von den Spielern mit zunehmendem Alter im Profifußball abverlangt werden.
Knochenbelastungsverletzungen waren bei den unter 17-Jährigen am schwersten, mit hohen Ausfallzeiten. Bei den unter 14-Jährigen waren sie weniger gravierend, dafür dauerte es länger als bei den Älteren, bis die Spieler wieder ins Training zurückkehren konnten. Bei Knochenbrüchen zeigte sich in allen Altersgruppen ein ähnliches Bild, nur bei den unter 19-Jähringen fiel die Schwere der Frakturen besonders hoch aus.
Auf Trainingsüberlastung achten
Die Verletzungstrends in den U14-U19-Kadern der Jugendakademie der TSG 1899 Hoffenheim machen deutlich, wie wichtig altersgruppenspezifische Präventionsprogramme sind. Weil die Trainingsbelastung von Altersgruppe zu Altersgruppe zunimmt, steigt die Häufigkeit von Muskelverletzungen und Knochenbelastungsverletzungen. Um solche Überlastungsschäden zu vermeiden, braucht es ein gewissenhaftes Monitoring der Trainingsbelastung und der damit verbundenen akuten und chronischen Reaktionen, argumentieren die Studienautoren.
Ihre Empfehlung lautet, bei der Entwicklung von Strategien zur Verringerung von Verletzungen – wie das neuromuskuläre Training oder die Überwachung der Trainingsbelastung vor allem auf Körperteile der unteren Extremitäten auszurichten, die oft und schwer verletzt werden. Weil viele Nachwuchssportler nach Kreuzbandverletzungen ihr früheres Leistungsniveau nicht wieder erreichen und aus dem Sport ausscheiden [5], sollte solchen Verletzungsarten multifaktoriell entgegengewirkt werden.
Die Inhalte basieren auf der Studie „Injury incidence, severity, and burden in elite youth soccer players – A 3-year prospective study”, die 2022 im „Journal of Science and Medicine in Sport” veröffentlicht wurde.
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Literatur
- Ruf, L., Altmann, S., Graf, F., Romeike, C., Wirths, C., Wohak, O., & Härtel, S. (2022). Injury incidence, severity, and burden in elite youth soccer players - A 3-year prospective study. Journal of Science and Medicine in Sport, 25(9), 737-742.Studie lesen
Materne, O., Chamari, K., Farooq, A., Weir, A., Hölmich, P., Bahr, R., Greig, M., & McNaughton, L. R. (2021). Injury incidence and burden in a youth elite football academy: a four-season prospective study of 551 players aged from under 9 to under 19 years. British Journal of Sports Medicine, 55(9), 493-500.
Cezarino, L. G., Grüninger, B., & Scattone Silva, R. (2020). Injury profile in a Brazilian first-division youth soccer team: A prospective study. Journal of Athletic Training, 55(3), 295-302.
Wik, E. H., Lolli, L., Chamari, K., Materne, O., Di Salvo, V., Gregson, W., & Bahr, R. (2021). Injury patterns differ with age in male youth football: A four-season prospective study of 1111 time-loss injuries in an elite national academy. British Journal of Sports Medicine, 55(14), 794-800.
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