Wissen
Verletzungshäufigkeit in der Bundesliga nach dem Corona-Lockdown
Gab es mehr Verletzungen nach der pandemiebedingten Unterbrechung im Frühjahr 2020?
- Die unerwartete Saisonunterbrechung durch den Corona-Lockdown im Jahr 2020 hatte keinen negativen Einfluss auf die Verletzungshäufigkeit nach dem Neustart der Bundesliga.
- Der Anteil an Muskel- und Kopfverletzungen war nach dem Neustart signifikant geringer.
- Lediglich die Häufigkeit von Knöchelverletzungen war im Untersuchungszeitraum erhöht.
- Diese Studie deutet darauf hin, dass die Verletzungshäufigkeit verringert werden kann, wenn individualisierte Strategien und strukturierte Maßnahmen zur Verletzungsprävention und Regeneration ergriffen werden.
Abstract
Die COVID-19-Pandemie und der damit verbundene Lockdown im Jahr 2020 haben zu einer weltweiten Aussetzung des Profisports geführt. Eine aktuelle Studie liefert erstmals Daten zu den Auswirkungen der zehnwöchigen Trainings- und Wettkampfunterbrechung auf die Verletzungshäufigkeit in der Bundesliga. Entgegen der Erwartungen kam es nach dem Lockdown und dem kurzfristigen Neustart mit nur neun Tagen regulärer Vorbereitungszeit zu keinem Anstieg der Verletzungsrate innerhalb der letzten neun Spieltage. Im Vergleich zum Finale der Vorsaison (2018/19) war die Verletzungshäufigkeit sogar signifikant geringer. Insgesamt scheint sich die ungewollte Pause inmitten der Saison sogar positiv auf das Verletzungsgeschehen ausgewirkt zu haben. Nach Interpretation der Autoren bot die ungewöhnlich lange Pause ein Zeitfenster für einige Spieler, sich körperlich vollständig zu erholen und die individuelle Fitness durch gezielte Einheiten zu verbessern.
Keine optimalen Vorbereitungsbedingungen für die Spiele nach dem Lockdown
Das letzte Spiel vor dem Corona-Lockdown in der Bundesligasaison 2019/20 fand am 11. März 2020 statt. Nach einer Unterbrechung von 66 Tagen wurde der Spielbetrieb wieder aufgenommen und die verbliebenen neun Spieltage innerhalb von sechs Wochen erfolgreich absolviert. Während des Lockdowns beeinträchtigten die geltenden Kontaktbeschränkungen sowie die eingeführten Hygieneregeln den regulären Trainingsablauf und hinderten die Spieler daran, ihr normales fußballspezifisches Fitnessniveau aufrechtzuerhalten. Erst in den letzten neun Tagen vor Wiederbeginn erlaubten die politischen Vorgaben den 18 Bundesligateams eine Rückkehr zum normalen (d. h. gemeinsamen) Mannschaftstraining. Weiterhin war die Durchführung von Freundschaftsspielen – normalerweise ein fester Bestandteil der regulären Saisonvorbereitung – nicht gestattet. Somit war eine gewohnte Vorbereitung auf die Wettkampfbelastung nicht gegeben. Dies ist besonders im Hinblick auf die Verletzungsprävention relevant, da das Trainieren von fußballspezifischen Bewegungen unter wettkampfnahen Bedingungen als entscheidend beurteilt wird [1, 2].
Motivation für die Untersuchung
Basierend auf dem Wissen, dass kurzfristige Änderungen oder abrupte Steigerungen der Trainingsintensität schwere Knieverletzungen begünstigen [3], kann vermutet werden, dass die Saisonunterbrechung und die ungewöhnlichen Vorbereitungsumstände zu einer Häufung fußballtypischer Verletzungen geführt haben. Daher gab die schnelle Rückkehr in den Spielbetrieb Anlass für kontroverse Diskussionen und motivierte die Autoren einer kürzlich erschienenen Studie, diesem Sachverhalt mit wissenschaftlichen Methoden auf den Grund zu gehen. Hierfür analysierten die Forscher um Prof. Dr. Krutsch vom Universitätsklinikum Regensburg, in Kooperation mit dem Institut für Sport- und Präventivmedizin des Saarlandes, das Verletzungsgeschehen in der Zeit nach dem Lockdown bis zum Ende der Saison 2019/20. Zum statistischen Vergleich wurden dem Untersuchungszeitraum (16.5.-27.6.2020) drei in etwa gleichlange Kontrollzeiträume aus den vorangegangenen 14 Monaten gegenübergestellt. Die genauen Zeiträume sind ABB. 01 zu entnehmen.
Bundesliga-Verletzungsregister ermöglichte umfangreiche Analyse
Die Datenbasis für die vorgestellte Untersuchung liefert das Bundesliga-Verletzungsregister, welches vom Institut für Sport- und Präventivmedizin der Universität des Saarlandes vor etwa fünf Jahren initiiert wurde. In Kooperation mit dem Fußballfachmagazin kicker® werden darin alle Verletzungen von Spielern der 1. Bundesliga systematisch und medien-basiert erfasst, kategorisiert, verifiziert und auf ihre Genauigkeit hin überprüft. Die Analyse umfasste nur Verletzungsarten, welche im Rahmen eines Pflichtspiels bzw. einer Trainingseinheit erlitten wurden und den betroffenen Spieler zu einer mindestens eintägigen Pause zwangen [4]. Die Kategorisierung erfolgt nach dem FIFA Consensus Statement on Injury Definition [4] hinsichtlich der Verletzungsart, der betroffenen Körperregion, dem Schweregrad sowie dem Zeitpunkt des Auftretens während der Saison [4, 5]. Zur besseren Einordnung in die Studienlage wurde die Verletzungshäufigkeit in Inzidenzen pro 1000 Fußballstunden (h) angegeben, wobei nach Training-, Spiel- und Gesamtbelastung (Training und Spiel) unterschieden wurde. Neben der allgemeinen Verletzungshäufigkeit konzentrierten sich die Wissenschaftler besonders auf typische Fußballverletzungen, wie beispielsweise Bänderverletzungen des Knie- und Sprunggelenks, Muskel-Sehnen-Verletzungen am Oberschenkel sowie Kopfverletzungen.
Das Verletzungsprofil nach dem Neustart
In der gesamten Bundesligasaison 2019/20 wurden 787 Verletzungen registriert, was einer durchschnittlichen Anzahl von rund 44 Verletzungen pro Team entspricht. Im Untersuchungszeitraum der neun verbliebenen Spieltage nach dem Neustart der Bundesliga (26,5% aller Spieltage), traten insgesamt 138 Verletzungen auf (17,5% aller Verletzungen). Die Gesamtinzidenz nach dem Lockdown lag bei 4,9 pro 1000 h Fußballexposition und unterschied sich damit nicht von den beiden Kontrollzeiträumen der gleichen Saison (ABB. 01). Allerdings war dieser Wert signifikant geringer als im Finale der Vorsaison (2018/19), in welcher die Inzidenz bei 6,9 pro 1000 h lag. Eine detaillierte Auflistung des Verletzungsprofils im Untersuchungszeitraum ist TAB. 01 zu entnehmen. Am häufigsten von Verletzungen betroffen waren die Knie- (16,7%) und Sprunggelenke (15,9%), gefolgt von der Hüft- und Leistenregion (13,0%) sowie den Oberschenkeln (11,6%). Neben Muskelverletzungen (44,9%) waren Bänder- und Gelenkverletzungen (27,5%) die überwiegenden Verletzungsarten, wobei etwa zwei Drittel (65,2%) aller Verletzungen im Rahmen des Trainings erlitten wurden. Interessanterweise kam es nach dem Neustart zu signifikant weniger Muskel- und Kopfverletzungen sowie zu keiner Veränderung der Inzidenz der Knieverletzungen. Lediglich die Häufigkeit von Knöchelverletzungen war im Untersuchungszeitraum signifikant erhöht.
Lockdown als Chance zur Individualisierung
Bei der Diskussion der teils überraschenden Studienergebnisse argumentieren die Autoren, dass der Lockdown eine einmalige Chance zur konsequenten Individualisierung des Trainings geboten hat. Der Trainingsbetrieb wurde natürlich nicht vollständig eingestellt, sondern auf individueller Basis, unter besonderer Berücksichtigung konditionierenden und athletischer Elemente, fortgesetzt. Möglicherweise sind auch präventive Trainingsinhalte stärker in den Fokus gerückt als in der regulären Saison. Weiterhin bot sich die Gelegenheit, langwierige Überlastungsverletzungen oder kleinere Blessuren vollständig auszukurieren, die eventuell zu größeren Verletzungen hätten führen können. Letztlich führte die besondere Situation zu einer höheren Spielerverfügbarkeit nach dem Neustart und möglicherweise sogar zu konditionsstärkeren Spielern.
Limitationen
Obwohl der direkte Vergleich mit dem Saisonfinale 2018/19 prinzipiell sinnvoll erscheint, ist er dennoch nicht uneingeschränkt belastbar, da sich die Spielfrequenz deutlich unterschied. So wurden, wie bereits erwähnt, die letzten neun Spiele der Saison 2019/20 in nur sechs Wochen ausgetragen, wohingegen den Teams in der Vorsaison ganze drei Wochen mehr für dieselbe Anzahl an Spielen zur Verfügung standen. Das hatte (selbstverständlich) auch Auswirkungen auf Häufigkeit und Inhalte des Trainings, wobei davon auszugehen ist, dass der Anteil an Regenerationseinheiten, in denen Verletzungen praktisch ausgeschlossen sind, nach dem Lockdown deutlich höher war. Somit könnten diese Unterschiede ebenfalls ursächlich für die geringere Verletzungshäufigkeit sein. Weiterhin hat die FIFA, als Reaktion auf die Pandemie und im Sinne der Verletzungsprävention, eine wichtige Regeländerung vorgenommen und die Anzahl der möglichen Auswechslungen von drei auf fünf pro Spiel erhöht. Inwiefern diese Maßnahme tatsächlich zur Reduzierung der Verletzungsinzidenz beigetragen hat, bleibt spekulativ und muss in weiterführenden Untersuchungen geklärt werden.
Die Inhalte basieren auf der Originalstudie „No increased injury incidence in the German Bundesliga after the SARS-CoV-2 virus lockdown“, die 2021 in „Archives of Orthopaedic and Trauma Surgery" veröffentlicht wurde.
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Literatur
- Braun, H., Von Andrian-Werburg, J., Schänzer, W., & Thevis, M. (2018). Nutrition status of young elite female German football players. Pediatr Exerc Sci, 30(1), 159–169Studie lesen
Alentorn-Geli, E., Myer, G. D., Silvers, H. J., Samitier, G., Romero, D., Lázaro-Haro, C., & Cugat, R. (2009). Prevention of non-contact anterior cruciate ligament injuries in soccer players. Part 1: Mechanisms of injury and underlying risk factors. Knee Surg Sports Traumatol Arthrosc, 17(7), 705-729.
Krutsch, W., & Loose, O. (2020). Total concept for prevention of severe knee injuries in competitive football. Arthroskopie, 33, 282-287.
Krutsch, W., Zeman, F., Zellner, J., Pfeifer, C., Nerlich, M., & Angele, P. (2016). Increase in ACL and PCL injuries after implementation of a new professional football league. Knee Surg Sports Traumatol Arthrosc, 24(7), 2271-2279.
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