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Überwachung der Herzfrequenz

Herausforderung, Durchführung und Interpretation von Messungen der Herzaktivität

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Auf dem Bild sieht man drei Spieler der deutschen Nationalmannschaft beim Training. Der Spieler in der Mitte zieht sich gerade einen Pulsgurt an.
    • Herzfrequenzmonitoring unterstützt die Entwicklung von Trainingsstrategien.
    • Die Herausforderung liegt in der Interpretation der Daten.
    • Nur multivariable Methoden liefern ein umfassendes Bild.
    • Trainererfahrung und Trainerwissen spielen eine wichtige Rolle.
Abstract

Die Überwachung der Herzaktivität gilt als probates Mittel, um die aerobe Fitness von Profisportlern zu bewerten. Die Autoren kommen zu dem Ergebnis, dass Herzfrequenzmonitoring zwar einen wichtigen Beitrag leisten kann, um Trainingsprogramme anzupassen und zu optimieren. Unerlässlich ist aber die Berücksichtigung zahlreicher Einflussfaktoren und eine umfassende praktische Erfahrung, um die Daten richtig interpretieren zu können.

Im folgenden Podcast spricht Christoph Schneider über das Thema "Herzens-Sache - Momentaufnahme für aerobe Fitness":

Teamsport ist eine Herausforderung für das Monitoring

Das Belastungs- und Beanspruchungsmonitoring hat zum Ziel, im Trainings- und Wettkampfprozess die individuellen Reaktionen eines Athleten zu beobachten und zu bewerten. Diese Reaktionen erfolgen sowohl auf körperlicher als auch auf mentaler Ebene. Eingebettet in ein umfassendes Monitoring ist die Herzaktivität ein wichtiger Indikator für die aerobe Ausdauerleistungsfähigkeit und den Status des autonomen Nervensystems [1]. Das narrative Review (ohne systematische Suchstrategie) von Schneider und Kollegen (2018) zeigt Potenziale und Grenzen des Herzfrequenzmonitorings auf. Das Monitoring von Mannschaftssportlern ist weitaus schwieriger als die Überwachung eines Einzelathleten. Eine große Herausforderung im Fußball ist das komplexe und vielfältige Umfeld, das auf die sportliche Leistung der Spieler und auf die Trainingsergebnisse Einfluss nimmt: Spielfreie Zeiten und Verletzungspausen, enge Wettkampfkalender sowie Heim- und Auswärtsspiele, kurze oder lange Vorbereitungszeiten bedeuten für den einzelnen Spieler und das gesamte Team unterschiedliche Anforderungen [2]. Hinzu kommt eine große Anzahl von externen Faktoren, die ebenfalls eine Rolle spielen. Dazu gehören z. B. Umweltfaktoren wie Licht, Lärm und Temperatur, physiologische und psychologische Parameter (Blutvolumen, Gefühlszustand, Stresslevel), aber auch Lebensstil und die Art der Belastung. Trainer sowie sportwissenschaftliches und medizinisches Personal müssen zudem stets eine relativ große Anzahl von Spielern und deren individuelle Leistung, aber auch deren Leistung im Vergleich zu anderen Spielern der Mannschaft im Auge behalten. Das Herzkreislaufsystem reagiert direkt auf die körperliche Belastung. Das menschliche Herz arbeitet allerdings keinesfalls stetig und in einem gleichbleibenden Rhythmus. Vielmehr wird die Herzfrequenz (engl. Heart Rate, HR) durch verschiedene Regulationsmechanismen beeinflusst und unterliegt daher charakteristischen Schwankungen der Schlag-zu-Schlag-Dauer. Diese Herzfrequenzvariabilität (engl. Heart Rate Variability, HRV) ist eine Messgröße des kardial-autonomen Nervensystems. Eine hohe Schlag-zu-Schlag-Variabilität des Pulses gilt grundsätzlich als Indiz für ein gesundes Herz. HR und HRV sind eng gekoppelt an die Aktivität des vegetativen Nervensystems (Sympathikus und Parasympathikus), reagieren aber individuell unterschiedlich auf Belastung und Regeneration. Das bedeutet einerseits, dass verschiedene Spieler unterschiedlich auf die gleiche Trainingsbelastung reagieren. Andererseits ist es für eine Vergleichbarkeit von großer Bedeutung, dass Messungen von HR und HRV unter standardisierten Bedingungen und zu definierten Zeiten stattfinden. 

Durchführung von Herzfrequenzmessungen

Durch die Weiterentwicklung tragbarer digitaler Messgeräte (wearables) sind Analysen der Herztätigkeit heute schnell, kostengünstig und einfach.

  • Messung im Ruhezustand: im Sitzen oder in Rückenlage (gewöhnlich über eine Dauer von 5-10 min). Messungen am Morgen nach dem Aufwachen sind in hohem Maße standardisierbar, allerdings in der Trainingspraxis im Mannschaftssport oft nicht praktikabel. Vor allem auch, da mindestens 3-4 Messungen pro Woche (Einfluss von Tag-zu-Tag-Variabilität) benötigt werden, um zuverlässig Langzeitanpassungen beurteilen zu können. Alternativ könnten routinemäßige Messungen vor dem Training eingesetzt werden.

  • Messung während der Belastung: die Belastungsherzfrequenz (exercise HR, HRex) steht bei konstanter, andauernder Belastung direkt mit der Sauerstoffaufnahme und dem Energieverbrauch im Zusammenhang. Zur Leistungsdiagnostik wird grundsätzlich zwischen submaximalen und maximalen Belastungstests unterschieden. In Mannschaftssportarten scheinen submaximale standardisierte Lauftests empfehlenswerter zu sein. Der Praktikabilität wegen können submaximale Varianten etablierte Feldtests wie z. B. den Yo-Yo Intermittent-Test verwendet werden [3]. Im Kern basiert dieser Test auf kurzen Shuttle-Läufen wobei Anstrengungen und Intensitäten durch Vorgabe der zu absolvierenden Streckenlänge und Lauftempo graduiert werden können.

  • Messung nach der Belastung: Nach der Belastung sinkt die Herzfrequenz (HR) bei Profisportlern schnell ab. Herzfrequenzmessungen nach einer Belastung (HRR: HR recovery, HRVpost) spiegeln das Wiedereinpendeln der Herztätigkeit auf normalem Niveau wieder und sind abhängig vom individuellen, aeroben Fitnesslevel. Die Erholungsherzfrequenz lässt sich am einfachsten berechnen, indem die HR bei Belastungsende und erneut nach kurzer Erholung von z. B. 1 min gemessen wird. Die Differenz ergibt den HRR-Wert. 

Interpretation der Daten

Herzfrequenzanalysen liefern heute eine große Menge von Daten. Die eigentliche Herausforderung liegt in deren korrekter Interpretation. Beobachtete Veränderungen der Herzaktivität sind stets im Kontext mit Trainingsdaten (Trainingsphase, -art, -intensität), mit historischen Daten zu Belastung und Training des einzelnen Spielers und mit subjektiven Einflussgrößen wie Wohlbefinden, Motivation und Ermüdungszustand zu bewerten. Im Allgemeinen korrelieren HR-Werte mit der aeroben Fitness. Sportler mit hohem Trainingslevel haben in der Regel niedrigere Herzfrequenzen bei konstanter Belastung (HRex) – z. B. 12 km/h laufen - als weniger trainierte.  Eine korrekte Interpretation der Daten setzt Orientierungswerte voraus: Wie groß ist der Bereich physiologischer und technischer Unschärfen (u. a. Tag-zu-Tag-Variabilität, technische Messfehler), der gar nicht im Sinne von Belastung oder Ermüdung interpretiert werden kann? Um wieviel müssen sich physiologische Messwerte verändern, damit sie sich als bedeutsame Leistungsverbesserung niederschlagen? Ab welchen Veränderungen oder Abweichungen muss ein Trainer reagieren? Eine wichtige Größe ist dabei die „geringste erfassbare Veränderung“. Sie gibt an, wie groß eine Änderung sein muss, um über die natürlichen körperlichen Schwankungen oder technischen Unschärfen hinauszugehen [2,4]. Diese Größe wird als Indikator für die Zuverlässigkeit gemessener Daten herangezogen. Wichtig ist daneben das Wissen um die sogenannte „kleinste bedeutsame Veränderung“ (engl. Smallest Worthwhile Change, SWC). Sie gibt hier an, wie groß die Änderung in der Herztätigkeit mindestens sein muss, um Auswirkungen auf Leistung und Belastbarkeit zu erzeugen [5]. Im Fußball können beispielsweise 0,03 sec bei einem 20-m-Sprint darüber entscheiden, welcher Spieler sich den Ball erkämpft.  Wissenschaftlich ungeklärt ist bislang, wie Kurzzeit- und Langzeitveränderungen von Daten zur Herztätigkeit von Profisportlern präzise und praktikabel voneinander unterschieden werden können. Interpretationen zur individuellen Leistungsverläufen sind daher nur über längere Zeiträume möglich (siehe Abb 1). Ein kurzzeitiges Monitoring kann eher dazu dienen, die Reaktion des Spielers auf akute Umstände (z. B. Stress, Reisen) bzw. Belastungen zu dokumentieren und individuelle Empfindlichkeiten zu erkennen. 

Es werden insgesamt fünf Grafiken gezeigt, die jeweils unterschiedliche herzfrequenzbasierte Messgrößen darstellen.
Es werden insgesamt fünf Grafiken gezeigt, die jeweils unterschiedliche herzfrequenzbasierte Messgrößen darstellen.
Methodik im Monitoring: So entsteht das ganze Bild

Im Teamsport spielen Herzfrequenzdaten in Belastungssituationen eine größere Rolle als Daten der Ruhe- oder Regenerationsphase. Doch die einfachen Korrelationen zwischen Training und Herztätigkeit sind im Fußball nur begrenzt aussagefähig. Die unterschiedlichen Trainingskonzepte rufen eine Vielzahl von Reaktionen im Körper hervor – kardiovaskulär, hormonell und psychologisch. Ein einzelner Marker reicht also nicht, um Aussagen über das allgemeine Trainingsniveau eines Spielers zu treffen. Erst in Kombination mit anderen Messdaten entsteht ein gesamtheitliches Bild: Eine heute weit verbreitete Herangehensweise ist z. B. die Kombination mit externen Analysemethoden wie Videoauswertungen, GPS oder Beschleunigungssensoren. Zum Gesamtbild gehören zudem subjektive Einschätzungen des einzelnen Sportlers über Wohlbefinden, Motivation und Ermüdung.Die mathematische Beziehung zwischen der Aktivität des autonomen Nervensystems (ANS) und dem HR(V)-Wert ist zudem nur indirekt und kann daher zu Fehlinterpretationen führen. Die verschiedenen physiologischen Systeme beeinflussen sich gegenseitig, agieren und reagieren aber unterschiedlich. Sind z. B. Anstrengungsempfinden (RPE) und HRR-Wert nach einem mäßigen Belastungstraining deutlich erhöht, ist der Spieler mit hoher Wahrscheinlichkeit erschöpft. Gleichzeitig kann das Herzkreislaufsystem ermüdet sein, die Muskeln dagegen aber immer noch leistungsfähig oder umgekehrt. Daten aus dem Herzfrequenzmonitoring allein lassen beispielsweise also keinen Schluss auf das Verletzungsrisiko bei Sprints zu [7].

Resümee: Daten allein machen noch kein besseres Training

Fußballleistung hat viel mit Technik, Taktik, Physis und Psychologie zu tun – und die Reaktion des Spielers auf das Training erfolgen auf unterschiedlichen Ebenen. Das breit gefächerte Anforderungsprofil im Fußball erfordert also ein Monitoring, das ebenso breit aufgestellt ist. Objektive Einflussfaktoren müssen genauso berücksichtigt werden wie die subjektive Einschätzung von Fitness, Leistungsbereitschaft und Ermüdungszustand [8].Die Entwicklung tragbarer Wearables und digitaler Analysemethoden liefern innerhalb kurzer Zeit eine große Menge an Daten. Sie können durchaus eine Hilfe im Trainingsalltag sein, indem sie Trainer darin unterstützen, Überlastung oder Ermüdung einzelner Spieler zu erkennen.Daten allein allerdings machen noch kein besseres Training. Erst die richtige Interpretation der Messungen über eine längere Zeit führt zu richtigen Entscheidungen und zu optimierten Trainingskonzepten. Die große Herausforderung liegt darin, dass scheinbar eindeutige Daten mehrdeutige Variablen sind. In der Trainingspraxis ist es unbedingt notwendig, Messdaten im breiten Kontext zu sehen und zu interpretieren.Eine systematische Bewertung der vorhandenen Methodik steht noch aus und sollte durch weitere Forschungen erfolgen. Auch fehlt es bislang an Erkenntnissen, ob und wie Daten korrekt aufbereitet werden müssen, um zu einer integrierten Messgröße zu kommen, die einen Trainingszustand umfassend beschreibt. Da es aus heutiger Sicht kaum gelingen kann, alle Einfluss- und Störgrößen korrekt zu erfassen und zu bewerten, gehen die meisten Wissenschaftler davon aus, dass eine solche zentrale Größe ein schwer realisierbares Ziel darstellt.Daher wird es auch weiterhin wesentlich auf die Erfahrung und die Sorgfalt des Trainerstabs ankommen: aufmerksame Wahrnehmung und das Wissen um jeden einzelnen Spieler helfen, mit der hohen Komplexität zurechtzukommen und das Potenzial der Datenfülle im Sinne der sportlichen und mentalen Leistungssteigerung optimal zu nutzen.

Die Inhalte basieren auf der Originalstudie "Heart Rate Monitoring in Team Sports—A Conceptual Framework for Contextualizing Heart Rate Measures for Training and Recovery Prescription.", die 2018 im "Frontiers in Physiology" veröffentlicht wurde.

Literatur

  1. Schneider, C., Hanakam, F., Wiewelhove, T., Döweling, A., Kellmann, M., Meyer, T., & Ferrauti, A. (2018). Heart Rate Monitoring in Team Sports—A Conceptual Framework for Contextualizing Heart Rate Measures for Training and Recovery Prescription. Frontiers in physiology, 9: 639.
    Studie lesen
    1. Buchheit, M. (2014). Monitoring training status with HR measures: do all roads lead to Rome? Front. Physiol. 5:73. doi: 10.3389/fphys.2014.00073

    2. Thorpe, R. T., Atkinson, G., Drust, B., and Gregson, W. (2017). Monitoring fatigue status in elite team-sport athletes. Implications for practice. Int. J. Sports Physiol. Perform. 12, S227–S234. doi: 10.1123/ijspp.2016-0434

    3. Bangsbo, J., and Mohr, M. (2012). Fitness Testing in Football: Fitness Training in Soccer II. Espergaerde: Bangsbosport.

    4. McGuigan, M. (2017). Monitoring Training and Performance in Athletes.Champaign, IL: Human Kinetics.

    5. Hopkins, W. G. (2004). How to interpret changes in an athletic performance test. Sportscience 8, 1–7. Available online at: sportsci.org/jour/04/wghtests.htm

    6. Hopkins, W. G. (2004). How to interpret changes in an athletic performance test. Sportscience 8, 1–7. Available online at: sportsci.org/jour/04/wghtests.htm

    7. Lamberts, R. P., Swart, J., Noakes, T. D., and Lambert, M. I. (2011). A novel submaximal cycle test to monitor fatigue and predict cycling performance. Br. J. Sports Med. 45, 797–804. doi: 10.1136/bjsm.2009.061325

    8. Kellmann, M., Bertollo, M., Bosquet, L., Brink, M., Coutts, A. J., Duffield, R., et al. (2018). Recovery and performance in sport: consensus statement. Int. J. Sports Physiol. Perform., 13, 240–245. doi: 10.1123/ijspp.2017-0759