Wissen
Kopfverletzungen im Fußball
Ist der Fußball ein Risikofaktor für den Kopf?
- Kopfverletzungen im Fußball sind weniger häufig als in sogenannten Risikosportarten wie American Football, Rugby oder Eishockey.
- Akute Kopfverletzungen entstehen selten durch den Ballkontakt.
- Kopfverletzungen entstehen meistens durch Kopf-an-Kopf Kontakte oder durch die teils unfaire Nutzung der oberen Extremitäten (insbesondere Ellbogen-an-Kopf Kontakte).
- Duelle in der Luft mit der Intention zum Kopfball sind besonders verletzungsgefährdend.
- Verletzungspräventive Maßnahmen (Bsp.: Regeländerungen) können die Zahl der Kopfverletzungen reduzieren.
Abstract
Die Anzahl an Kopfverletzungen im deutschen Profi-Fußball ist im Vergleich zu anderen Sportarten (American Football, Rugby oder Eishockey) wesentlich geringer. Aufgrund ihrer potentiellen Spätfolgen sind sie aber nicht weniger erheblich. Hauptverantworlich für Kopfverletzungen sind Kopf-an-Kopf und Ellbogen-an-Kopf Kontakte, die während Kopfballduellen in der Luft geschehen. Eine Regeländerung zur stärkeren Ahndung von Ellbogenschlägen an den Kopf konnte die Anzahl an Kopfverletzungen reduzieren.
Im folgenden Podcast spricht Dr. Nina Feddermann-Demont über das Thema "Effekte des Kopfballspiels auf Hirnfunktionen und -strukturen":
Welche Kopfverletzungen können auftreten und wie häufig sind sie?
Kopfverletzungen im professionellen Fußball sind im Vergleich zu anderen Kontakt- und Kollisionssportarten wie American Football, Rugby oder Eishockey eher selten [2, 8, 25, 26, 33]. Dies ist nicht verwunderlich, da in den zuvor genannten Sportarten der harte und intensive Körperkontakt mit dem Gegenspieler einen fundamentalen Bestandteil des Spiels darstellt. Die Spanne von Kopfverletzungen reicht über Kopf- und Gesichtsprellungen, Platz- und Schürfwunden, Frakturen (typischerweise Jochbein-, Nasenbein- oder Kieferfrakturen) bis hin zu Schädel-Hirn-Traumen. Im Fußball treten sie entscheidend häufiger in Spielen als im Trainingsbetrieb auf [25]. Kopfverletzungen dürfen trotz ihrer – im Vergleich zu anderen Sportarten – geringeren Häufigkeit nicht bagatellisiert werden. Diese Verletzungen können langwierige Probleme mit sich ziehen. Insbesondere sich wiederholende Schädel-Hirn-Traumen können einen Risikofaktor für die Beeinträchtigung der langfristigen Hirngesundheit darstellen [12, 15, 20, 21, 30]. Die Gehirnerschütterung unter den Schädel-Hirn-Traumen ist in letzter Zeit besonders ins öffentliche Interesse gerückt. Ausschlaggebend sind hierfür vor allem dominierende Fälle in der National Football League (NFL) sowie das WM-Finale 2014. In den vorliegenden zwei Leitartikeln [2, 3] wurde eine medienbasierte (Kicker Sportmagazin) Datenbank über Kopfverletzungen in der 1. Fußballbundesliga über 13 Saisons (2000/01 – 2012/13) erstellt.
In diesem Zeitraum wurden 356 Kopfverletzungen erfasst, von denen 33% Platz- und Schürfwunden, 25% Gehirnerschütterungen bzw. Schädel-Hirn-Traumen, 25% Kopf- und Gesichtsfrakturen sowie 12% Kopf- und Gesichtsprellungen ausmachten. Des Weiteren wurde eine zusätzliche Kategorie „vermutete Gehirnerschütterung“ erstellt [9]. Diese Kategorie umfasste alle Kopfverletzungen, die unter die Rubrik Kopf- und Gesichtsfrakturen sowie Kopf- und Gesichtsprellungen (jeweils Lokalisation Schädelknochen und Jochbein) fielen. Man kann annehmen, dass eine erhebliche Krafteinwirkung benötigt wird, um eine Kopf- und Gesichtsfraktur zu verursachen. Dies könnte ebenfalls zu einer Verletzung am Gehirn, zum Beispiel Gehirnerschütterung oder mittleres bis schweres Schädel-Hirn-Trauma, führen [14, 27]. Auf der anderen Seite könnten diese Kopfverletzungen lediglich als Kopf- und Gesichtsprellungen diagnostiziert worden sein. Demnach kann davon ausgegangen werden, dass die Dunkelziffer von Gehirnerschütterungen im Fußball weitaus höher ausfällt als bisher erfasst wurde [10, 22, 23, 25, 31]. Für die Praxis sind diese Überlegungen immens wichtig, um einer Bagatellisierung von Kopfverletzungen vorzubeugen und das Augenmerk auf detailliertere Diagnosestellungen zu legen.
Welche Mechanismen liegen den Kopfverletzungen zugrunde?
Kopfverletzungen entstehen meistens durch Körper-an-Körper Kontakt oder durch Kontakt mit Objekten wie zum Beispiel dem Ball oder auch dem Torpfosten. Ebenso können sie durch unbeabsichtigtes Kopfballspiel (zum Beispiel Schuss gegen den Kopf) verursacht werden. Die vorliegende Videoanalyse über die 1. Fußball-Bundesliga hat gezeigt, dass der Kontakt mit dem Gegenspieler oder auch dem Mitspieler nahezu fast alle Kopfverletzungen verursacht hat (97%). Am häufigsten treten Kopf-an-Kopf Zusammenpralle auf (43%), gefolgt von Kopfkontakt mit der oberen Extremität (33%) (insbesondere dem Ellbogen) und der unteren Extremität (20%) (insbesondere dem Fuß). Diese Ergebnisse finden sich auch in anderen internationalen Studien [1, 5, 7, 11, 32] und scheinen sich auf andere Länder und Ligen zu übertragen. In letzter Zeit ist die Debatte aufgekommen, ob der Ball an sich ein Risikofaktor für Kopfverletzungen darstellt [16, 17, 19, 28, 29]. Nur eine Handvoll Kopfverletzungen konnte als Ursache „Kontakt mit dem Ball“ nachgewiesen werden. Allerdings handelte es sich bei all diesen Kopfverletzungen um unbeabsichtigte Kopfkontakte mit dem Ball, da jene Spieler von ihrem Gegenspieler beziehungsweise Mitspieler unabsichtlich angeschossen wurden. Demnach scheint der Ball an sich ein eher schwächerer Risikofaktor für Kopfverletzungen zu sein.
Welche Spielsituationen sind besonders verletzungsgefährdend?
Gewisse Spielsituationen im Fußball scheinen ein höheres Risiko für Kopfverletzungen aufzuweisen als andere. Die Identifikation solcher Umstände ist von großer Bedeutung, um das entsprechende Risiko zu senken. Dabei können 1) die Spielaktionen unmittelbar vor der Kopfverletzung der Spieler auf dem Feld, 2) der Ballbesitz oder freier Ball, 3) die Zweikampfrichtung, sowie 4) die subjektive Voraussicht eines möglichen Kopfkontaktes mit dem Ball oder Spieler charakterisiert werden. Spielaktionen unmittelbar vor der Kopfverletzung
Im Einklang mit den Ergebnissen einer anderen Studie [11] wurde in der vorliegenden Analyse zwischen Spielaktionen von „sich verletzendem Spieler“ und dem Gegenüber „sich nicht-verletzendem Spieler“ unterschieden. Die häufigste Aktion beider Spieler war das Springen zum Ball im Moment der entstandenen Kopfverletzung. Demnach scheinen Kopfballduelle in der Luft, wenn zwei Spieler um den Ball kämpfen, die größte Verletzungswahrscheinlichkeit zu besitzen. Das Ziel des Springens ist in der Regel das Kopfballspiel. In dieser Analyse konnte keine akute Kopfverletzung durch alleiniges absichtliches Kopfballspiel erkannt werden. Daher scheint das Kopfballspiel an sich eher weniger risikobehaftet zu sein. Fairerweise muss hier erwähnt werden, dass die Langzeitfolgen von wiederholtem Kopfballspiel weiterhin ungewiss sind. Verschiedene Übersichtsartikel über Kopfballspiel ermittelten bisher widersprüchliche Ergebnisse [19, 24, 28, 29] und müssen daher mit Vorsicht betrachtet werden, da an dieser Stelle zwischen mehreren Gehirnerschütterungen und sogenannter „sub-concussive blows“, also Aufprälle am Kopf mit geringerer Erschütterung, unterschieden werden muss. Neben dem Springen und dem Kopfballspiel konnte eine weitere dominante Spielaktion aufseiten des nicht-verletzten Spielers nachgewiesen werden. Während Kopfballduellen kam es häufig zu einem Ellbogenschlag gegen den Kopf des sich verletzenden Spielers. Ellbogen-an-Kopf Kontakt wurde auch in weiteren Untersuchungen als häufige Verletzungsursache erkannt [1, 5, 7, 11]. Als Konsequenz wurde 2006 eine neue Regel durch das International Football Association Board (IFAB) beschlossen und im offiziellen Spielbetrieb eingeführt: ein absichtlicher Ellbogenschlag oder ein gehobener Ellbogen, der Richtung Kopf des Gegenspielers führt, wird seitdem mit einer roten Karte geahndet. Die Effekte dieser verletzungspräventiven Maßnahme werden weiter unten im Abschnitt "Wie können Kopfverletzungen verhindert werden?" näher betrachtet. Zweikampfverhalten, Antizipation und Kopfkontakt
Die meisten Spieler, die eine Kopfverletzung erlitten, schienen den Kopfkontakt zu ahnen. Dies zeigt sich auch an der Richtung aus der der Zweikampf/das Tackling kam. Einwirkende Kräfte in Form von zum Beispiel dem Tackling des Gegenspielers von vorne und der Seite waren am häufigsten für Kopfverletzungen verantwortlich. Ein geringerer Anteil resultierte aus einem Tackling von hinten. Eine Vorahnung, dass eine Erschütterung des Kopfes bevorsteht, ist keineswegs irrelevant. Auf diese Weise kann ein Spieler die sich bahnende Spielsituation antizipieren und sich darauf einstellen. Dabei kann das Verletzungsrisiko oder möglicherweise die Schwere der Kopfverletzung gesenkt werden, da der Spieler zum Beispiel seine Hals- und Nackenmuskulatur vorspannen oder den Kopf aus der Gefahrenzone bewegen kann [13]. Dadurch könnten Beschleunigungskräfte am Kopf minimiert und der Kopf stabilisiert werden [4, 12]. Reduzierte Hals- und Nackenmuskulatur einhergehend mit verminderter Muskelkraft wird schon länger als Risikofaktor für hohe Beschleunigungskräfte am Kopf, inklusive erhöhtem Risiko für Kopfverletzungen, diskutiert [6].
Wie können Kopfverletzungen verhindert werden?
Die bereits zuvor erwähnte Regeländerung, dass ein absichtlicher Ellbogenschlag oder ein gehobener Ellbogen, der Richtung Kopf des Gegenspielers führt, mit einer roten Karte geahndet wird, war vor gut einem Jahrzehnt der erste Schritt, um Kopfverletzungen im Fußball zu minimieren.
Der Vergleich von sechs Saisons nach der Regeländerung und der gleichen Saisonanzahl vorher konnte zeigen, dass ein Drittel aller Kopfverletzungen sowie der zugrundeliegende Verletzungsmechanismus Ellbogen-an-Kopf reduziert werden konnte. Platz- und Schürfwunden reduzierten sich am meisten, gefolgt von Gehirnerschütterungen, Prellungen und Frakturen. Es scheint als hätte diese Regeländerung dazu beigetragen, dass weniger Foulspiele, die den Kopf betreffen, stattgefunden haben oder möglicherweise hat sich ein Fairplay-Gedanke, bezüglich Ellbogenschläge an den Kopf während Kopfballduellen, bei den Spielern eingestellt. Wenn man die Schiedsrichterentscheidungen der Kopfverletzungen näher betrachtet, so fällt auf, dass nur ein Drittel aller Situationen in denen Kopfverletzungen auftraten als Fouls geahndet wurden. Dies lässt den Schluss zu, dass die meisten Kopfverletzungen durch einen „unbeabsichtigten“ Schlag mit der oberen Extremität entstanden sind.
Weitere verletzungspräventive Maßnahmen könnten speziell auf Kopfballduelle bezogene Trainingsmaßnahmen sein. Spezifisches Krafttraining für den Schulter-, Hals- und Nackenbereich, gezieltes Kopfballtechniktraining, sowie Verbesserung des peripheren Sehens und Reaktionszeit könnten als verletzungspräventive Maßnahmen Einklang im Trainingsprozess finden. Zusätzlich könnte eine Verbesserung der Rumpf- und Beinkraft dabei helfen eine stabilere Körperposition in der Luft während Kopfballduellen zu behalten.
Protektives Equipment wie der Helm im American Football und Eishockey oder sogenannte „head gears“ (siehe Petr Čech) wurde mittlerweile auch schon ausgiebig als verletzungspräventive Maßnahme diskutiert. Allerdings finden sich bisher keine eindeutigen Hinweise auf einen verletzungsreduzierenden Effekt oder auf eine mögliche Verringerung der Schwere einer Kopfverletzung im Fußball [12, 18, 24].
Autor des Textes ist Florian Beaudouin von der Universität des Saarlandes. Die Inhalte basieren auf der Originalstudie "Head injuries in professional male football (soccer) over 13 years: 29% lower incidence rates after a rule change (red card).", die 2017 im "British Journal of Sports Medicine" veröffentlicht wurde.
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Literatur
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Beaudouin F, aus der Fünten K, Tröß T, Reinsberger C, Meyer T. Head injuries in professional male football (soccer) over 13 years: 29% lower incidence rates after a rule change (red card). Br J Sports Med 2017. June 23. [Epub ahead of print]
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