Wissen
Entscheidungshandeln richtig schulen
Wie erfolgreich trainieren Jugendtrainer die schnelle Lösungsfindung?
- Um das Entscheidungshandeln zu schulen, benötigen Spieler ein Lernumfeld, das Raum für selbstständiges Denken lässt und das zugleich die Lösungssuche und Generierung von Lösungsoptionen durch einen zielgerichteten pädagogischen Prozess lenkt.
- Trainer sollten zur Schulung des Entscheidungshandeln den Einsatz von Fragen und mehr Spielformen statt Übungsformen nutzen.
- Nachfragen und Feedback sollten Spieler zur eigenständigen Lösungssuche mit verschiedenen Handlungsoptionen anregen.
Abstract
Spitzenfußballer müssen komplexe Spielsituationen schnell und angemessen lösen können. Dafür brauchen sie eine gute Wahrnehmung und die Fähigkeit, zu einem bestimmten Zeitpunkt, unter unterschiedlichen Bedingungen, aus verschiedenen Optionen eine angemessene Aktion auswählen zu können. Wie aber wird es gezielt geschult? Welche Mittel und Methoden wenden Trainer aus pädagogischer Sicht in der Praxis an – und mit welchem Erfolg? Das hat eine Studie näher untersucht. Dafür wurden die Schulungsmethoden von 29 australischen Trainern, die U 11-U 17-Kader trainieren, exemplarisch beobachtet und ausgewertet. Das Ergebnis: Häufig führen Lehrweise und Trainingspraktiken nicht zu den beabsichtigten Lehrzielen der Trainer. In der angewandten Trainingspraxis gibt es noch Verbesserungspotenzial, stellt die Studie fest.
Wer die Spielsituation schnell erfasst und richtig entscheidet, gewinnt!
Im modernen Fußball machen bei Spielern, die sich physisch und technisch auf höchstem Niveau bewegen, kognitive Prozesse oft den ausschlaggebenden Unterschied zwischen Sieg und Niederlage. Dazu gehört es,
- die Spielsituation wahrzunehmen,
- die aufgenommenen Informationen unter Zeitdruck zu verarbeiten,
- gedanklich eine geeignete Lösung zu finden und vorausschauend auf mögliche Spielzüge eine entsprechende Entscheidung zu treffen,
- um diese schließlich in eine motorische Handlung umzusetzen.
Wie schulen Trainer erfolgreich die Entscheidungsfindung?
Noch setzen viele Übungsleiter im Nachwuchstraining auf einen traditionellen trainerzentrierten Lehransatz. Meist setzen sie auf isolierte Übungen ohne Spielzusammenhang und geben dabei den Spielern permanent direkte Handlungsanweisungen. Das zeigen systematische Trainingsanalysen aus England [3, 4, 5]. Jedoch ist Sorgfalt bei der Gabe von Feedback geboten, da einfachste Hinweise dazu führen können, dass der Aufmerksamkeitsfokus von Nachwuchsspielern verkleinert wird und dadurch wichtige Merkmale von Spielsituationen (z. B. freie Mitspieler) beim Entscheidungshandeln nicht berücksichtig werden [6]. Die moderne Fußballpädagogik empfiehlt dagegen einen spielerorientierten Lehransatz, damit Nachwuchsspieler handlungsschneller werden [3, 4, 7, 8]: Spieler werden demnach mit möglichst realen Bedingungen des Wettspiels konfrontiert, die sie in unterschiedlichen Konstellationen situativ lösen müssen – ohne vom Trainer ständig instruiert zu werden. Die pädagogische Auffassung dahinter stellt auf unbewusst-beiläufiges, selbstentdeckendes Lernen ab: Um taktische Fähigkeiten wie blitzschnelles Entscheiden zu erlernen, brauchen Spieler eine Lernumgebung, die Raum für selbstständiges Denken lässt und das zugleich die Lösungssuche mit einem zielgerichteten pädagogischen Prozess verbindet. Statt ihren Spielern zu sagen, was sie tun sollen, sollten Trainer sie durch Methoden wie gezieltes Nachfragen, Stichwortansagen oder Feedback dahingehend unterstützen, die Spielsituation wahrzunehmen, mögliche Optionen zu erkennen und eigene Lösungen zu entwickeln [7, 9, 10]. Noch aber hat dieser Lehransatz in der Trainingspraxis zur Schulung des Entscheidungshandeln nicht vollends Fuß gefasst, sagen die Autoren der Studie. Das belege eine Untersuchung der Trainingsmethoden von Jugendtrainern in englischen Fußballvereinen [4]. „Diese Erkenntnisse deuten darauf hin, dass in der Trainingspraxis beabsichtigte Lehrziele und Lehrmethoden zur Schulung der Entscheidungsfähigkeit durchaus noch auseinanderklaffen“, so die Autoren. Um die Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis genauer zu beschreiben, haben die australischen Studienautoren ebenfalls praktisch angesetzt.
Wie wurde vorgegangen?
Für die Studie wurden insgesamt 29 Trainer (drei mit Grassroots Football Zertifikat, 18 mit FFA C-Lizenz, 8 mit FFA B-Lizenz), die U 11-U 17-Kader australischer Fußballvereine trainieren, ausgewählt und ihre Trainingseinheiten per Video aufgezeichnet und ausgewertet. Um ein genaueres Bild davon zu erhalten, mit welchen Mitteln die Trainer für geeignete Lernsituationen zur Schulung taktischer Fähigkeiten und dem Entscheidungshandeln im Training sorgen, wurden sie gebeten, zwei verschiedene Trainingseinheiten durchzuführen. Die erste reguläre Trainingseinheit sollte den Lehrempfehlungen des Lehrplans des Australischen Fußballverbands folgen, für die zweite, spezifisch taktische Einheit sollten die Trainer eigene Trainingsmittel, die sie für das Training des Entscheidungshandelns als besonders geeignet hielten, entwerfen und anwenden. Um beide Trainingseinheiten miteinander vergleichen zu können, wurden die gewählten Trainingsmittel, das Coachingverhalten und die Anzahl der Entscheidungssituationen bei Ballkontakt der Spieler analysiert.
Welche Trainingsmittel haben die Trainer eingesetzt?
Mit gezielten Veränderungen können Trainer die Anforderungen im entscheidungstaktischen Training gegenüber dem regulären Training erhöhen und die Frequenz der zu treffenden Entscheidungen aller Spieler deutlich steigern. Die in der Studie beteiligten Trainer haben auf unterschiedliche Trainingsmittel zurückgegriffen (Top 3 aller gewählten Trainingsmittel):
- Kleinfeldspiele (40 von 172),
- Über-/Unterzahlspiele (36 von 172),
- Ballbesitzspielformen (29 von 172).
Im Vergleich waren die Trainingsmittel beider Trainingseinheiten von ähnlicher Dauer, in beiden waren die Trainer gleich viel aktiv und die Zahl der Entscheidungssituationen bei Ballkontakt der Spieler annähernd gleich hoch.
In beiden Trainingseinheiten haben die Trainer überwiegend anleitende Fragen gestellt: Wo ist Raum? Wo ist der Verteidiger? Kannst du den Ball schneller abspielen? Offene, zum Denkprozess anregende Fragen (Welche Optionen stehen dir in dieser Situation zur Verfügung? Wie kannst du dich in dieser Situation freispielen? Was kannst du tun, um dem Spieler im Ballbesitz zu helfen?) wurden weniger oft gestellt.Nach den Lehrkonzepten für das Training zur Schulung der Entscheidungsfähigkeit befragt, ergaben die Antworten der Trainer drei wesentliche Ansätze
- Trainingsformen die so nahe wie möglich am Wettspiel sind und dennoch ein entdeckendes Lernen der Spieler zulassen (Trainer gibt Denkanstöße zur Wahrnehmung von Spielsituationen, Erkennen möglicher Handlungsoptionen und Entwicklung eigener Lösungen),
- Anregung der Entscheidungsfindung durch Hinweise oder Vorschläge und anschließendem Üben,
- Modifizierung der Rahmenbedingungen/Spielregeln (Provokationsregeln).
Wie erfolgreich waren die Trainer?
Die Mehrheit der Trainer (20 von 29) zeigte sich bei der Nachbefragung mit der Wahl der Trainingsmittel und Modifizierungen zufrieden und glaubte, das Trainingsziel erreicht zu haben. Ein kleinerer Teil gab an, die Trainingsmittel künftig noch stärker anpassen zu wollen, etwa durch noch gezieltere Provokationen wie den Zeitdruck zu erhöhen, das Spielfeld zu verkleinern, die Ballkontaktzahl zu reduzieren, mehr Wiederholungen einzusetzen und noch mehr offenere Fragen zu stellen. Die Auswertung der begleitenden Statistik zeichnet jedoch ein differenzierteres Bild: Die Aktivitätsprofile der Trainer deuten darauf hin, dass die Mehrheit der Trainer doch dem trainerzentrierten Lehransatz verhaftet ist. Das, so vermuten die Studienautoren, mag dem Zeitdruck geschuldet sein, unter dem die Trainer stehen, wenn sie in kurzer Zeit möglichst viel taktisches Wissen explizit vermitteln wollen. Eine Lösung dafür könnte sein, mit dem betreffenden Spieler, dem die Rückmeldung gilt, am Spielfeldrand zu sprechen, ohne die Aktivität für alle anderen zu unterbrechen, sondern weiterlaufen zu lassen. Die Häufigkeit der Coachingmaßnahmen durch den Trainer deutet auf ein „Over-Coaching“ hin. Wissenschaftliche Erkenntnisse [11, 12, 13] aber belegen, dass explizite Anweisungen des Trainers Anfängern zwar zu einem raschen Lernen in der Anfangsphase verhelfen (insbesondere beim Techniklernen). In komplexeren Wettkampfsituationen mit einem höheren Leistungsdruck aber kann das Erlernte häufig nicht abgerufen werden, weil die Erfahrung der eigenen Lösungsfindung fehlt und so das Erlernte nicht verinnerlicht wurde. Um stattdessen Raum für implizites Lernen zu schaffen, empfehlen die Studienautoren, dass Trainer statt permanent Einzugreifen die Trainingsform beobachten und sich Gedanken machen sollten, um bei der anschließenden Wiederholung eine geeignete Regeländerung (Erhöhung bzw. Reduzierung des Schwierigkeitsgrads) durchzuführen oder aber das beobachtete Entscheidungshandeln mit den Spielern in der Pause gezielt zu besprechen. Eine weitere Empfehlung im pädagogischem Sinne: Trainer sollten die Art und Weise, wie Trainer ihre Kommentare, anleitenden Fragen oder Feedback formulieren, anpassen und so formulieren, dass die Spieler angeregt werden, die Spielsituation kritisch zu hinterfragen und eigene Lösungswege zu entwickeln, die sie dann umsetzen und ausprobieren können [6, 7].
Fazit
Es gibt zwei Arten, wie ein Trainer die Lernprozesse seiner Spieler beeinflussen kann: Der trainerzentrierte Ansatz setzt auf ein geführtes Lernumfeld, in dem die Spieler Anweisungen und Kommentaren während der Trainingsform folgen und umsetzen. Der spielerorientierte Ansatz verlangt hingegen von den Spielern, Spielsituationen zu reflektieren, Optionen zu erkennen und Entscheidungen zu treffen und ihre gedachte Lösung in eine motorische Aktion umzusetzen. Aufgabe des Trainers ist es, diesen Ablauf anzustoßen und zu lenken, damit die Spieler die gemachten Erfahrungen verinnerlichen und durch wiederholtes Trainieren festigen können. Die Studie zeigt, dass in der Praxis Trainer, den für das implizite Lernen wichtigen Wahrnehmungs-, Verarbeitungs- und Entscheidungsprozessen noch zu wenig Raum lassen.
Die Inhalte basieren auf der Originalstudie "What learning environments help improve decision-making?", die 2017 im „Physical Education and Sport Pedagogy" veröffentlicht wurde.
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Literatur
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