Meine Rolle als Sportdirektorin

Blogbeitrag von Nia Künzer im September 2024

    • ist seit dem 1. Januar 2024 die erste DFB-Sportdirektorin Frauenfußball
    • absolvierte 34 Länderspiele für Deutschland und wurde 2003 Fußball-Weltmeisterin
    • feierte mit dem 1. FFC Frankfurt sieben Meisterschaften, sieben DFB-Pokalsiege und drei Titel im UEFA-Cup

Das Besondere an meiner Position als Sportdirektorin ist sicherlich, dass es sie vorher noch nicht gegeben hat. Ich bin die Erste, die sich in dieser leitenden Rolle für die weibliche A- und U20-Nationalmannschaft verantwortlich zeichnen darf. Dass der Deutsche Fußball-Bund zu Jahresbeginn diese Position geschaffen hat, zeigt deutlich, welche hohe Priorität und Bedeutung der Frauenfußball genießt. Und wenn ich sehe – und selbst tagtäglich erlebe – welche zahlreichen und vielfältigen Aufgaben auf eine Sportdirektorin warten, dann war es bestimmt auch an der Zeit, diese Strukturen zu schaffen.

Erste Aufgabe: Einen neuen Bundestrainer finden!

In den ersten Monaten wurde es nie langweilig. Mit der Olympia- und der EM-Qualifikation standen bereits im Frühjahr sportlich wegweisende Begegnungen an. Nach dem enttäuschenden Jahr 2023 und dem Vorrunden-Aus bei der Weltmeisterschaft in Australien und Neuseeland war es umso wichtiger, wieder Erfolge zu feiern. Zumal es unser Anspruch sein sollte, dass die großen Turniere nicht ohne die deutsche Nationalmannschaft stattfinden.
Abseits des Platzes lief derweil die Suche nach einem neuen Bundestrainer auf Hochtouren. Ein Nachfolger für Horst Hrubesch musste her, der das Amt im vergangenen Herbst interimsweise übernommen hatte. Die Wahl fiel auf Christian Wück. Was mir an seinem Trainerprofil besonders gefällt? Er hat bewiesen, dass er Turniere erfolgreich gestalten kann! Für einen Nationaltrainer ist das sicher nicht die schlechteste Voraussetzung.  Aber auch seine Vision vom Fußball und seine Erfahrungen als Auswahltrainer passen zu uns. Genauso wichtig war es, ein Team aus Trainern und Trainerinnen aufzustellen und wir sind froh, mit Saskia Bartusiak und Maren Meinert zwei sehr gute Kräfte gewonnen zu haben. Wir wollen den Übergangsbereich stärken, Spielerinnen weiterentwickeln und sie an die Nationalmannschaft heranführen. Es geht nicht nur um den Status quo, um das Hier und Jetzt, sondern auch darum, den Blick zu weiten und zu überlegen: Wer ist womöglich zukünftig für das Team interessant? Für dieses Ziel haben wir die nötige Expertise eingeholt, schließlich haben Maren und Christian bereits einige Jahre U-Nationalmannschaften in führender Funktion betreut, Saskia hat Sportwissenschaften studiert und verfügt als Spielerin und als Analystin im U-Bereich über sehr viel Erfahrung. 

Erstes Highlight: Bronze bei den Olympischen Spielen!

Die Weichen für die Zukunft waren damit gestellt. Zeit für die Gegenwart und den sportlichen Höhepunkt 2024 – die Olympischen Spiele in Paris. Nachdem ich große Turniere bereits als Spielerin und TV-Expertin erleben durfte, erhielt ich als Sportdirektorin nun eine neue, weitere Perspektive auf das Geschehen. Auf dem Platz hat es natürlich am meisten Spaß gemacht. Als Spielerin Teil eines Teams sein zu können und gemeinsam Erfolge zu feiern war großartig und ist einer der Gründe, warum mich diese Sportart nicht mehr loslässt. In meiner TV-Zeit hatte ich dann den nötigen Abstand. Als Expertin betrachtet man – trotz aller Sympathien für die deutsche Nationalmannschaft – die Dinge objektiver und weniger emotional. Das fällt mir als Sportdirektorin nun nicht mehr ganz so einfach.  Die Verantwortung, die ich in meiner Position trage, sorgt für Anspannung, die sich dann in den K.o.-Spielen noch einmal steigerte. Der Turnierverlauf war sehr aufregend: Der Sieg nach Elfmeterschießen im Viertelfinale gegen Kanada, das Halbfinal-Aus in der Verlängerung gegen die USA und schlussendlich der erfolgreiche Abschluss mit dem 1:0-Sieg gegen Weltmeister Spanien im Spiel um Bronze. Wir, die Spielerinnen und auch das Team hinter dem Team, haben eine intensive Zeit erlebt und es freut mich sehr, dass wir uns für die tolle Leistung in einem herausfordernden Turnier mit einer Medaille belohnen konnten. Das Team hat gezeigt, dass es über großes Potential verfügt, auch wenn wir wissen, dass noch nicht alles rund lief. Es liegt nun an den Spielerinnen und an den neuen Trainer*innen, dieses Potential in den kommenden Monaten mit Blick auf die Europameisterschaft 2025 weiter auszuschöpfen.

Erster Einsatz: Neue U23-Auswahl als Perspektivteam

Meine Aufgabe ist es, diesen Prozess langfristig zu unterstützen. Auch wenn ich in erster Linie für die A-Nationalmannschaft und die U20 zuständig bin, habe ich die jüngeren Altersklassen stets im Blick. Ich stehe mit allen U-Nationaltrainerinnen im Austausch und gemeinsam erarbeiten wir Strategien, wie wir die Spielerinnen fördern und auf eine Karriere im Fußball vorbereiten können. Doris Fitschen hat einmal gesagt: „Vom Talent zum Titel.“ Genau diesen Weg möchten wir gehen und nach diesem Prinzip wollen wir arbeiten. Um die Durchlässigkeit zu erhöhen, haben wir uns dazu entschlossen, eine U23 zu melden und diese in der Saison 2024/25 an einer europäischen Spielrunde teilnehmen zu lassen. Viele Top-Nationen haben diese Mannschaft bereits installiert und auch wir versprechen uns davon Vorteile. Zahlreiche Spielerinnen, die für die U20 nicht mehr spielberechtigt sind, schaffen es nicht direkt in den Kader der A-Nationalmannschaft. Ihnen bieten wir im Verband eine weitere Fördermaßnahme. Sie erhalten die Möglichkeit, sich für Deutschland auf hohem Niveau zu beweisen. Zudem dürfen in der Spielrunde in jeder Partie auch bis zu fünf ältere Spielerinnen eingesetzt werden, das bietet neue Möglichkeiten.
Wir gehen offen an die Idee heran und schauen uns an, inwiefern das ein Erfolgsmodell sein kann. Ganz entscheidend ist in diesem Zusammenhang die Kommunikation mit den Clubs. Es ist meine Aufgabe, die Kanäle offen zu halten und Ansprechpartnerin für die Vereine zu sein. In den ersten Monaten war ich bereits überall vor Ort und habe mich bei den Bundesligisten vorgestellt. Schließlich sind es die Clubs, die für die Ausbildung der Spielerinnen verantwortlich sind. Die U20-WM in Kolumbien findet während der Saison statt und füllt zusätzlich den Terminkalender. Wir müssen schauen, wie wir unsere Interessen und die der Vereine miteinander kombinieren können. 

Erstes Fazit: Fußball, eine Herzensangelegenheit

Die Zukunft des deutschen Frauenfußballs bleibt spannend und ich freue mich, sie mitgestalten zu können. Seit 40 Jahren spiele ich, denke ich und beschäftige ich mich mit Fußball. Meine neue Position als Sportdirektorin verstehe ich als Privileg. In meinem vorherigen Job habe ich im Regierungspräsidium Gießen das Dezernat für den Bereich Integration, Sozialbetreuung und Ehrenamt geleitet und mich mit existenzielleren Dingen als dem Fußball auseinandergesetzt. Ich denke, dass mir diese Erfahrung und Zeit einen anderen und hilfreichen Blickwinkel auf die Dinge eröffnet hat. Fußball hauptberuflich ausüben zu dürfen, egal ob als Spielerin, Trainerin oder Sportdirektorin, ist ein Geschenk. Und ich schätze es sehr, beim Deutschen Fußball-Bund Teil eines tollen Teams sein zu dürfen, das gemeinsam das gleiche Ziel verfolgt: Sportliche Sternstunden für unsere A- und U-Nationalmannschaften. 

Wir wollen den Übergangsbereich stärken, Spielerinnen weiterentwickeln und sie an die Nationalmannschaft heranführen. Es geht nicht nur um den Status quo, um das Hier und Jetzt, sondern auch darum, den Blick zu weiten und zu überlegen: Wer ist womöglich zukünftig für das Team interessant?
Nia KünzerDFB-Sportdirektorin Frauenfußball