Spielanalyse

Angriffsmittel Halbfeldflanke

Bei zwei der weltbesten Teams lassen sich wieder vermehrt Halbfeldflanken beobachten. Doch warum setzen Jürgen Klopp und Pep Guardiola dieses doch scheinbar eher veraltete Angriffsmittel wieder ein?

Liverpools Trent Alexander-Arnold sucht den Abschluss © 2019 Richard Heathcote/Getty Images
  1. Marius Fischer

    Marius Fischer, Redakteur der DFB-Trainerzeitschrift „Fußballtraining“, analysiert Qualitätsmerkmale im internationalen Fußball.

Manchester City und der FC Liverpool gehören zweifelsohne zu den besten Mannschaften Europas. Bekannt sind sie vor allem für ihren flexiblen Ballbesitzfußball (City) und ihr pfeilschnelles Umschaltspiel (Liverpool). Doch gerade in dieser Saison zeigt sich verstärkt ein sonst eher selten zu beobachtendes taktisches Mittel: die Halbfeldflanke.

Mehr als nur eine Flanke

Knapp über 20 Flanken schlagen beide Teams pro Spiel: ein Höchstwert, auch im europäischen Vergleich. Dabei sind die meisten dieser Hereingaben sogenannte Halbfeldflanken, oft mit dem ersten Kontakt gespielt, die, bestimmten Mustern folgend, beiden Teams entscheidende Vorteile bringen – und das trotz der eher geringen Körpergrößen ihrer Offensivspieler.

"First-Touch-Flanke"

Ein Ablauf ist hierbei besonders auffällig: Das Spiel wird zunächst per Pass oder Dribbling in die Außenspur verlagert, um den Ball dann auf einen in der Halbspur wartenden Flankengeber abzulegen, der den Ball per Direktabnahme in den Strafraum spielt. Durch die Ablage Richtung Zentrum rückt die verteidigende Mannschaft zumeist intuitiv einen Schritt nach vorne und ist dadurch anfällig für Flanken in den Rücken der Abwehrspieler. Besonders Liverpool nutzt dieses Vorgehen immer wieder, um den Gegner in deren eigenem Strafraum festzusetzen und so permanent Druck ausüben zu können. Zudem kommt  es so auch ohne direkten Torabschluss sehr oft zu Eckbällen oder gefährlichen zweiten Bällen.

    1. Mahrez bekommt den Ball freistehend auf der rechten Außenspur zugespielt und dribbelt Richtung Strafraum.

    2. Mahrez kappt jedoch ab und legt züruck auf De Bruyne. Mit dem Pass rücken Evertons Verteidiger einen Schritt nach vorne und öffnen dadurch den Raum hinter sich.

    3. Gabriel Jesus startet mit einer Gegenbewegung im Rücken des Gegenspielers in die Zielzone. De Bruyne erkennt das und flankt den Ball mit seinem ersten Kontakt genau dorthin, ...

    4. ... sodass Gabriel Jesus per Flugkopfball ins lange Ecke abschließen kann.

    1. Shaqiri dribbelt in der Zentrums- und verlagert in die rechte Außenspur auf den startenden Alexander-Arnold.

    2. Dieser kappt ab und legt auf den in die Halbspur eingelaufenen Henderson. Die Verteidiger rücken mit der Ablage einen Schritt vor.

    3. Dieses Herausrücken nutzen Moreno und Sturridge aus und starten in die Zielzone.

    4. Burnleys IV befindet sich dort in einer 1-gegen-2-Situation und muss den Ball unter diesem Druck zur Ecke klären.

Zwischen Torwart und Verteidiger

Der gefährlichste Zielraum für eine Flanke ist der Raum zwischen dem generischen Torwart und den Innenverteidigern. Bei Flanken von der Grundlinie ist dieser Bereich im Normalfall bereits vor der Hereingabe von Verteidigern besetzt, sodass es kaum Möglichkeiten für die Angreifer gibt, um mit Tempo in den freien Raum zu laufen. In solchen Situationen bedarf es oftmals einem besonders großen, kopfballstarken Angreifer, um torgefährlich zu werden.

Bei Flanken aus dem Halbfeld steht die Abwehrreihe meist höher und der Raum dahinter kann von den Angreifern mit Tempo attackiert werden. Das ist nicht nur gegen tiefstehende Teams ein Mittel, sondern kann auch bei schnellen Kontern eingesetzt werden. Hierdurch wird es für die Verteidiger enorm schwierig, da sie im Vollsprint sowohl den Flankengeber als auch ihren Gegenspieler im Blick halten müssen. Wenn dann eine Flanke direkt, druckvoll und mit viel Effet in den angesprochenen Zielraum gespielt wird, ist dies für den Verteidiger, zumeist mit dem Gesicht zum eigenen Tor, kaum noch zu verteidigen.

    1. Nach einem Ballgewinn in der rechten Außenspur verlagert Alexander-Arnold den Ball auf den startenden Robertson.

    2. Robertson nimmt den Diagonalball an und mit und dribbelt einige Meter an. Mané zieht mit seinem Tiefenlauf einen Innenverteidiger (IV) aus dem Zentrum. Salah und Firmino laufen in vollem Tempo in Richtung Strafraum.

    3. Robertson erkennt die Laufwege seiner Mitspieler und flankt den Ball aus dem Lauf mit viel Effet Richtung Elfmeterpunkt ...

    4. ... wo der Verteidiger durch seine frontale Stellung zum eigenen Tor nicht mehr entscheidend klären und Salah den Ball ins Tor köpfen kann.

    1. Leicester klärt einen Ball zu Robertson und rückt kompakt nach vorne. Während Robertson leicht ins Zentrum dribbelt, bietet sich Alexander-Arnold in der Halbspur an.

    2. Robertson passt auf Alexander-Arnold und Evertons Verteidiger schieben weiter vor.

    3. Salah und Firmino erkennen die Situation und starten explosiv zum Tor. Ihre Gegenspieler haben nach dem Herausschieben die Zuordnung verloren und gehen deren Laufwege nicht mit.

    4. So kann Firmino am langen Pfosten aus vollem Lauf einköpfen.

Auf das Timing kommt es an

So simpel die Halbfeldflanke auch aussieht, so schwierig ist die effektive Ausführung. Technisch ist vor allem die First-Touch-Flanke sehr anspruchsvoll – Spieler wie De Bruyne, Robertson oder Alexander-Arnold sind absolute Spezialisten auf diesem Gebiet und können Bälle präzise und druckvoll in die anvisierte Zielzone flanken. Hierbei kommt es vor allem auf das richtige Timing an: Die Angreifer müssen die Bewegungen ihrer Gegenspieler erkennen und im richtigen Moment mit einer Gegenbewegung in ihrem Rücken in den Zielraum starten. Erreicht der Zielspieler den Ball dann auch noch in vollem Lauf, kann er ihn mit viel Wucht aufs Tor bringen und zumeist auch Treffer erzielen.

Wenn ich einlaufe, halte ich immer nach der Lücke zwischen den Verteidigern und dem Torhüter Ausschau. Als Abwehrspieler weiß ich, dass dies der Raum ist, der am schwierigsten zu verteidigen ist.
Andrew Robertson, Linksverteidiger Liverpool FC
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