Spielanalyse
Aktiv zum Ballgewinn
Von den Leitlinien der DFB-Spielauffassung zu den Spielkonzeptionen des FC Barcelona und von Atletico Madrid!
Für die Defensive lässt sich ein Katalog an übergreifenden „Erfolgsregeln” festmachen, wie aus einer kompakten Grundordnung nicht nur der Torerfolg des Gegners verhindert, sondern als vorgelagertes Ziel der Ball aktiv erobert werden kann. Wie vielseitig die Umsetzungsmöglichkeiten sind, verdeutlicht die Analyse zweier Spitzenmannschaften mit völlig konträren Spielkonzeptionen.
Die Leitlinien als Basis
Welche Anforderungen leiten sich aus dem Fußballspiel ab, um den Ball aktiv zu gewinnen? Diese Frage stand bei der Konzipierung der Spielauffassung für die Defensivphase im Mittelpunkt. Es ging darum, übergeordnete Merkmale eines erfolgreichen und weniger erfolgreichen Defensiverhaltens zu finden und allgemeingültige Ableitungen zu formulieren:
Die Leitlinien zur Defensivphase geben jedem Trainer bei der individuellen Erstellung der eigenen Spielkonzeption eine Orientierung für das system- und situationsunabhängige Lösen von Defensivaufgaben. Denn Spielauffassung ist nicht gleich Spielkonzeption. Die Spielkonzeption umschreibt im Detail, wie sich eine Mannschaft in welcher Spielphase verhalten soll – beim Pressing aus der Organisation also beispielsweise, welche Pressingzone besetzt oder wohin der Spielaufbau gelenkt werden soll. Die Leitlinien der Spielauffassung bilden die Basis hierfür und finden sich in jeder erfolgreichen Konzeption wieder.
Von der Theorie zur praktischen Umsetzung
Die Qualität der Umsetzung und damit auch die Frage, ob die jeweilige Strategie zum Erfolg führt, ist allerdings zumeist davon abhängig, inwieweit die Leitlinien konsequent umgesetzt werden.
Die nachfolgenden Beispiele aus der UEFA Champions-League 2015/16 verdeutlichen exemplarisch die Möglichkeiten an völlig konträren Spielkonzeptionen. Der FC Barcelona verfolgte die Konzeption des dominanten Ballbesitzspiels, wohingegen Atlético Madrid zumeist schnelle Konterangriffe aus dem organisierten Pressing bevorzugte. Beide Konzeptionen stellen unterschiedliche Interpretationen in der Umsetzung der defensiven Leitlinien dar.
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Über den Positionsangriff kommt Barcelona mit vielen Spielern ins Angriffsdrittel. Die Abstände zwischen den Mannschaftsteilen sind gering.
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Der Raum hinter dem Ball ist gut abgesichert. Die kurzen Wege ermöglichen aktiven Raum-, Zeit- und Gegnerdruck nach Ballverlust.
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Nach dem Ballverlust wird der Ballführende u. a. vom rechten Außenverteidiger Alves mit dem Mut zum Ballgewinn nach vorne attackiert.
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Suarez und Busquets sichern den Raum hinter Alves, verstellen Passoptionen und setzen die Passempfänger unter Zeit-, Raum- und Gegnerdruck.
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Der direkte Zugriff des Innenverteidigers Piquet verhindert das Auflösen der Pressingsituation. Das energische Nachlaufen von Suarez ...
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... ermöglicht die Rückeroberung des Balles im persönlichen Duell – innerhalb von 10 Sekunden und noch in der Hälfte des Gegners.
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Nach einem Rückpass zum Torwart stellt Barcelona hoch zu. Munir, Kaptoum und Messi laufen die kurzen Anspielmöglichkeiten aktiv an.
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Auch die Mittelfeldreihe steht hoch, sodass sechs Spieler Barcelonas die Aktionsräume von vier Gegenspielern einengen.
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In der Ebene dahinter spielt Barcelona in Gleichzahl. Der Flugball kann abgefangen und direkt ins Mittelfeld weitergeleitet werden.
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Im Mittelfeldpressing läuft Iniesta den ballführenden Innenverteidiger aktiv an. Aus dem nominellen 4-3-3 wird ein 4-2-4.
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In der Folge lenkt Messi den Passempfänger aus dem Zentrum nach außen. Suarez agiert gegnerorientiert im Raum, löst sich mit der ...
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... Ballkontrolle von seinem Gegenspieler und zwingt den Ballführenden so zu einem Fehlpass. In der Abwehrreihe spielt Barcelona in Gleichzahl.
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Der lange Abstoß war Teil der Spielkonzeption von Atlético Madrid und führte zu weniger Zugriff im Moment des Ballverlustes.
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Hier kann der Ball daher nicht unmittelbar zurückerobert werden. Das aktive Nachsetzen zwingt den Gegner jedoch zu einem Rückpass.
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Atlético nutzt dies, um sich zu organisieren, Kompaktheit herzustellen und den Gegner aus dem Mittelfelddrittel mutig zu attackieren.
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Nach einer Spielverlagerung läuft Gabi zurück auf seine Position, ordnet sich seinem Gegenspieler zu und schließt das Zentrum. Gleichzeitig ...
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... läuft Juanfran seinem Gegenspieler mannorientiert nach, verhindert das Aufdrehen und provoziert so einen Querpass.
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Diesen attackiert Thomas, der aktiv nach vorne verteidigt, das persönliche Duell sucht und Piquet zu einem Befreiungsschlag zwingt.
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Im Vergleich zu Barcelona greift Atlético im Pressing aus der Organisation in der gegnerischen Hälfte in Unterzahl an.
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Torres und Griezmann als Stürmer sowie Saul als rechter Mittelfeldspieler agieren im Raum, aber mannorientiert.
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In der letzten Ebene verteidigt Atlético in Überzahl und hält mit dem zentralen Mittelfeldspieler Koke den Raum vor der Abwehr kompakt.
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Im Abwehrpressing bildet Atlético einen kompakten Block, wobei sich Juanfran hier stark an Costa orientiert und dem Gegner so den Pass...
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... in den Lauf von Bernat anbietet. Koke hat dies im Blick und läuft Bernat gegnerorientiert nach. Der ballnahe Innenverteidiger kommt...
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... unterstützend hinzu. Gemeinsam können sie Bernat nach außen abdrängen, mit dem Rücken zum Tor stellen und den Ball erobern.
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Zwei unterschiedliche Wege zum Erfolg
Beide Teams waren mit der jeweiligen spielkonzeptionellen Ausrichtung in der Defensive in der damaligen UEFA Champions-League-Saison 2015/16 überaus erfolgreich (Atlético Madrid: 7 Gegentore in 13 Spielen und FC Barcelona: 8 Gegentore in 10 Spielen). Für Atlético war das Defensivkonzept sogar der Grundstein für das Erreichen des Finales gegen Real Madrid. Der Erfolg stützte sich dabei auf dieselben übergeordneten und speziellen Leitlinien.